1 ...6 7 8 10 11 12 ...17 Sie fragte sich, was geschehen würde, wenn der Mönch jemals die übrig gebliebenen Mitglieder der Fliegenden Operngesellschaft kennenlernte. Sie konnte sich gut vorstellen, dass er ihnen seine Hilfe anbieten würde, um ihrem Daofei -Leben zu entkommen. Und im Gegenzug würden sie wahrscheinlich versuchen, ihm seinen Bison zu klauen.
Nur eines würde sie dazu bewegen können, mit den Weisen zu sprechen. »Es steht aber in keinem Brief irgendwas über …«
»Meister Yun? Leider nicht. Er bleibt weiterhin verschollen.«
Kyoshi ließ ihren Atem langsam durch die Zähne entweichen. Während der Zeit, als die Welt noch geglaubt hatte, Yun wäre der Avatar, hatte er einen großen Aufwand betrieben, mit der Elite des Erdkönigreichs zu verhandeln. Was bedeutete, dass nur sie sein Gesicht kannten. Einen Mann irgendwo im Erdkönigreich aufzuspüren, wenn niemand wusste, wie er aussah, und ihnen einen Hinweis geben konnte, war so, als versuchten sie, in einer Kiesgrube einen bestimmten Kiesel zu finden. »Dann sollten wir die ausgesetzte Belohnung noch einmal erhöhen.«
»Ich weiß nicht, ob das was bringt«, entgegnete Jinpa. »Die prominenten Persönlichkeiten des Erdkönigreichs haben einen großen Gesichtsverlust hinnehmen müssen, weil sie Meister Yun fälschlicherweise als Avatar eingestuft haben. An ihrer Stelle würde ich gar nicht wollen, dass er wieder auftaucht. Ich würde so tun, als wäre das alles nie passiert. Ich hab gehört, Lu Beifong würde niemandem in seinem Haushalt, nicht einmal Gästen, erlauben, von Jianzhu oder seinem Schüler zu sprechen.«
Für einen Luftnomaden bekam Jinpa erstaunlich viel politischen Klatsch zu hören, aber gewöhnlich stimmten seine Beobachtungen. Lu – wie ein verfluchter Dorn im Auge . Als Jianzhus Unterstützer trug er in Kyoshis Augen ebenso viel Schuld an dem Fehler, wies aber nach wie vor alle Verantwortung von sich.
Sie hatte Lu Beifong persönlich gebeten, Yun zu finden, in der Erwartung, der alte Mann würde wenigstens einen Hauch großväterlicher Verbundenheit zeigen. Stattdessen hatte er nur kaltherzig auf den Brief hingewiesen, den er wie zahllose andere Weise im ganzen Erdkönigreich bekommen hatte. In diesem Brief stand, Kyoshi sei der Avatar – und dass Yun tot sei. Lu hatte sich zwischen den letzten Worten Jianzhus und Kyoshis wirrem Bericht vom Vorfall in Qinchao entscheiden müssen und hatte sich das ausgesucht, was am bequemsten für ihn war. Was ihn anging, hatte sich der Skandal erledigt. Ein Sieg des neutralen Jing .
Jinpa schenkte ihr ein mitfühlendes Lächeln. »Es verlangt ja niemand, dass Ihr die Suche nach dem falschen Avatar aufgebt, aber vielleicht …«
» Nenn ihn nicht so! «
Ihre Rüge hallte im Zimmer wider. Sie musste nur daran denken, wie leicht alle Yun aufgegeben hatten, erst Jianzhu, dann Lu und der Rest des Erdkönigreichs, und sofort stieg frischer Zorn in ihr hoch. Jinpa wich ihrem Blick aus und senkte den Kopf. Während sie betreten schwiegen, wippte er nervös mit dem Fuß. Sie brauchte keine Bändigerfähigkeiten, um das Beben im Boden zu spüren.
»Ich werde jedem wichtigen Passkontrollpunkt Meister Yuns Beschreibung zukommen lassen«, sagte er schließlich. »Deren Arbeit besteht darin, Namen und Gesichter abzugleichen. Die gucken genauer hin als der durchschnittliche Beobachter.«
Das war eine gute Idee. Besser als alle, die ihr bisher gekommen waren. Nun tat es ihr doppelt leid, dass sie die Beherrschung verloren hatte. Sie musste sich für ihren Ausbruch entschuldigen, musste aufhören, solche Ausbrüche zu haben, wenn sich die Distanz zwischen Jinpa und ihr jemals verringern sollte.
Sie fürchtete sich jedoch vor dem, was Freundschaft mit sich brachte. All ihre bisherigen Wegbegleiter hatte sie in Gefahr gebracht. Und sie konnte ihre Erinnerungen an einen gewissen Luftnomaden nicht abschütteln, an seine Witze, seine Wärme, sein Lächeln.
»Kümmere dich darum«, sagte Kyoshi knapp.
Jinpa nickte. Dann zögerte er, als müsste er sich überlegen, wie er seine nächsten Worte am besten formulieren sollte. »Ich habe nicht alle Briefe von heute geöffnet. Einen hat ein Sonderkurier gebracht.«
»Die Hälfte aller Briefe werden von irgendwelchen ›Sonderkurieren‹ gebracht«, erwiderte Kyoshi verächtlich. Solche Schreiben kamen immer schrecklich pompös daher, auf die Umschläge war in greller grüner Tinte Dringend oder Ausschließlich für den Avatar bestimmt gestempelt. Es waren die üblichen Tricks, mit denen die Erdweisen um ihre Aufmerksamkeit buhlten.
»Dieser ist aber wirklich etwas Besonderes.« Jinpa griff in seine Robe und zog eine Postrolle hervor, die er dort verstaut hatte.
Sie war rot.
Auf dem Verschluss der stabilen Metallröhre prangten goldene Flammen. Inmitten der farblosen, aber fürs Erdkönigreich typischen Einrichtung ihres Apartments wirkte die Rolle wie ein glühendes Kohlenstück in einem ausgetrockneten Wald. Eine Armee von Wachssiegeln hielt die Nähte zusammen.
Jinpa überreichte ihr die Rolle mit beiden Händen, als handele es sich um ein wertvolles Relikt. »Ich glaube, sie kommt von Feuerlord Zoryu persönlich.«
Es war das erste Mal, dass ein Staatsoberhaupt sie direkt anschrieb. Kyoshi war dem Feuerlord noch nie begegnet und er hatte ihr bisher auch noch keine Nachrichten geschrieben. Ihr bisher einziger Kontakt mit der Regierung der Feuernation hatte stattgefunden, als die Neuigkeit ihrer Avatarschaft die Runde gemacht hatte: Damals war ein Abgesandter nach Yokoya geschickt worden. Der gut gekleidete Minister hatte zugesehen, wie sie nacheinander ein Quäntchen jedes der vier Elemente heraufbeschworen hatte, und er hatte jedes Mal genickt und einen Vermerk in seine Notizen gekritzelt. Er hatte Kyoshi seine Ehre erwiesen, war höflich zum Abendessen geblieben und am nächsten Morgen gen Heimat aufgebrochen, um seinen Bericht abzuliefern. Sie hatte es sehr zu schätzen gewusst, wie wenig Kummer er ihr im Gegensatz zu ihren eigenen Landsleuten bereitet hatte.
Die Siegel zu brechen und die Hülle zu öffnen kam ihr vor, als würde sie ein historisches Artefakt beschädigen. Sie gab acht, dass die ursprüngliche Form des Wachses weitestgehend erhalten blieb, dann entrollte sie das Papier in der Hülle.
Das Schreiben kam direkt zum Punkt, entbehrte jeglicher Schnörkel, die Erdkönigreichsbeamte für nötig erachteten, um sich bei ihr einzuschmeicheln: Lord Zoryu brauche die Unterstützung des Avatars in einer national bedeutsamen Angelegenheit. Wenn sie als sein Ehrengast in den Königspalast kommen und am Szeto-Fest teilnehmen würde, einem wichtigen Feiertag der Feuerinseln, dann könne er ihr alles Weitere persönlich erklären.
»Und was steht drin?«, fragte Jinpa.
»Es ist eine Einladung, die Feuernation zu besuchen.« Ein Debüt auf der Weltbühne. Sie schluckte die Nervosität herunter, die ihr plötzlich die Kehle zuschnürte.
Jinpa sah, dass sie zögerte, und legte flehentlich die Hände zusammen. »Genau hiervon spreche ich, Avatar. Die Vier Nationen werden es nicht zulassen, dass Ihr für immer das Licht der Öffentlichkeit scheut. Bitte sagt nicht, dass Ihr ausgerechnet den Feuerlord brüskieren wollt.«
Kyoshi grübelte. Sie bezweifelte, dass der Herrscher der Feuernation leichtfertig um ihre Hilfe bitten und ihre Zeit verschwenden würde. Und die Scherereien mit ihrem eigenen Volk sorgten dafür, dass sie nervlich ziemlich am Ende war. Ein Tapetenwechsel wäre vielleicht genau das Richtige.
»Und es ist ein Festtag«, fügte Jinpa hinzu. »Ihr könntet sogar Spaß haben. Ihr dürft nämlich gelegentlich Spaß haben!«
Man konnte sich darauf verlassen, dass ein Luftnomade auf Spaß als letztes Argument zurückgreifen würde. »Du kannst dem Feuerlord schreiben, dass ich mich geehrt fühle und die Einladung gern annehme«, sagte sie. »Morgen fangen wir mit der Reiseplanung an. Für heute hab ich genug von Geschäftsdingen, glaub ich.«
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