1 ...6 7 8 10 11 12 ...16 Verdammte Scheiße war das beeindruckend.
Schließlich hatte er seinen hohen Lebensstandard aber aufgegeben und stattdessen die Einsamkeit gewählt, weil er die Gesellschaft einfach nicht mehr hatte ertragen können. Seinen Lebensunterhalt hatte er damit verdient, Bücher zu schreiben und online schriftliche Lesungen zu publizieren.
Sämtliche Mega-Nerds in den gesamten USA müssen sich vor diesem Typen in die Hosen gemacht haben. Ich kann mir kaum vorstellen, wie es sein muss, mit ihm aufgrund unterschiedlicher Meinungen zu den Grundlagen der Teilchenbeschleunigung aneinanderzugeraten. Vermutlich hatte ein Seitenblick von ihm ausgereicht, damit die Streber sofort gestrauchelt waren und sich dem gefügt hatten, was Ship gesagt – beziehungsweise in sein Notizbuch geschrieben – hatte. Bei der Vorstellung von Ship als König der Nerds musste ich unwillkürlich kichern, woraufhin dieser mich fragend ansah. Ich teilte ihm meine Gedanken mit und auch er lächelte daraufhin. Dann erzählte ich ihm meine Geschichte und er hörte aufmerksam zu. Gerade wollte ich darüber berichten, wie es war, gebissen zu werden, als er sich versteifte und seinen Blick nervös umherschweifen ließ. Er bewegte sich dabei so gut wie gar nicht, sondern führte lediglich einen Finger an seine Lippen. Seine massige Gestalt bewegte sich nun ganz langsam in meine Richtung und er löschte die Lampe, die wir angeschaltet hatten. Dann öffnete er die dunklen Vorhänge einen Spalt breit, um nach draußen sehen zu können, und bedeutete mir kurz darauf, es ihm gleichzutun.
Im schwindenden Licht des späten Nachmittags konnte ich Gestalten entdecken, die sich nicht allzu weit vom Baumhaus entfernt bewegten, und direkt unter uns sah ich etwas, das ich niemals im Leben vergessen würde. Vollkommen unbeeindruckt von der Kälte stand dort ein Mann im Schnee, der eine blutige Polizeiuniform trug und dem ein Pfeil aus der Brust ragte. Er blickte zu mir hoch, während ich zu ihm nach unten sah. Sein Mund war unnatürlich weit geöffnet und er stieß ein schwermütiges Stöhnen aus, das seine Freunde wie eine Essensglocke anzulocken schien. Diese kamen nämlich jetzt angetorkelt, so schnell ihre toten Beine sie tragen konnten.
Ship und ich wichen sofort beide vom Fenster zurück. Wir wechselten einen kurzen Blick, woraufhin er mit den Schultern zuckte und mir bedeutete, ihm zu folgen. Er fuhr seinen Laptop hoch und wir setzten uns davor. Dieser war mit der Wand verkabelt. Ich fragte ihn, woher er den Strom bezog, und er erklärte mir daraufhin, wie die Solarpaneele funktionierten und dass er zusätzlich noch auf einer etwa zweihundert Meter entfernten Lichtung zwei Windräder betrieb. Die daraus gewonnene Energie wurde in sechsundfünfzig Jachtbatterien gespeichert, mit denen er das Haus sowie zwei kleine Schuppen unabhängig vom öffentlichen Stromnetz betrieb. Einfach genial.
Er kritzelte nun wieder etwas in sein Notizbuch und reichte es mir.
Haben genug zu essen und zu trinken. Falls sie gehen, ist es gut, falls nichts, erledigen wir sie morgen früh. Stromversorgung ist im ganzen Land zusammengebrochen, aber manche Kernkraftwerke und Solar- beziehungsweise Windanlagen funktionieren noch.
Ship deutete auf den Monitor, auf welchem nun eine Karte der USA mit unterschiedlich farbigen Punkten darauf verteilt zu sehen war.
Rot oder schwarz heißt kein Strom. Gelb bedeutet Schwankungen in der Versorgung und Grün heißt alles funktioniert dort noch.
Der Großteil des Landes war schwarz. Einfach nur ein schwarzer Bildschirm. Nur vereinzelte Lichter sprenkelten die Karte. Überraschenderweise befand sich im südöstlichen Massachusetts ein leuchtend grüner Punkt. Ich deutete drauf. »Pilgrim?«, fragte ich erstaunt.
Er nickte mit seinem riesigen Ei (Ei im Sinne von Eierkopf natürlich, immer sofort diese schmutzigen Gedanken). Es war tatsächlich das Pilgrim Kernkraftwerk in Plymouth, Massachusetts. Scheinbar versorgte es immer noch ein paar Haushalte mit Saft. Mir war zwar klar, dass ein Großteil dieser Anlagen automatisiert waren, dennoch musste dort noch jemand am Leben sein, um Schalter umzulegen und Knöpfe zu drücken.
Meine Augenbrauen zogen sich zusammen und ich fragte ihn, wie es sein konnte, dass er noch ins Internet kam.
Solange die Server und Netzknoten noch mit Strom versorgt werden, dürften die Clientprogramme kein Problem damit haben. Doch einige Seiten werden bald zusammenbrechen, sobald deren Batterien erschöpft sind. Andere bedeutende Seiten verfügen hingegen über unerschöpfliche Stromzufuhr und werden demnach online bleiben, doch sobald die Netzknoten ausfallen, können wir trotzdem nicht mehr darauf zugreifen.
»Netzknoten?«
Er verdrehte die Augen und schüttelte gleichzeitig den Kopf. Dann griff er nach dem Notizbuch, gab es jedoch fast sofort wieder zurück. Nur ein einzelnes Wort stand auf dem linierten Papier.
Amateur!
Hey, das war gemein.
Ship sah sich noch auf einigen anderen Seiten um, unter anderem auf der des Pentagons, die nach wie vor funktionierte und anscheinend überwacht wurde. Diese waren allerdings absolut nicht glücklich über sein Eindringen und ließen es ihn auch wissen. Ich beobachtete also gerade tatsächlich jemanden dabei, wie er Regierungsseiten hackte. Ich befand mich offenbar in der Gegenwart eines weiteren Kriminellen. Mit einem Mal stürzte sein Rechner jedoch einfach ab. Er versuchte ihn wieder zum Laufen zu bringen, aber es klappte nicht.
Jemand hat mich bombardiert. Mehr schrieb er nicht. Wir unterhielten uns noch ein wenig, bis die Sonne unterging. Ship wollte kein Licht anschalten, also zeigte er mir den Weg zu der absolut unbequemsten Couch auf der ganzen Welt und gab mir einen Schlafsack und ein Kissen. Er deutete anschließend auf seinen Schritt und dann auf eine Tür, hinter der sich wohl das Bad befand. Ich nickte, um ihm zu zeigen, dass ich ihn verstanden hatte, und ging zu Bett.
Was ist für euch das unangenehmste Geräusch der Welt? Fingernägel auf einer Tafel? Wenn eure Mom euch anschreit? Ein weinendes Baby? Vielleicht das Geräusch einer Zellentür, wenn sie sich zum allerersten Mal hinter einem schließt? Also, das ist wirklich schrecklich und furchterregend. Doch nicht einmal die besagte Zellentür kann es mit den Tönen aufnehmen, welche die Untoten von sich geben. Das Geräusch, das sie machen, ist einfach … falsch. Während ihr das liest, könnt ihr meinetwegen stöhnen und versuchen, es so gruselig und befremdlich wie möglich klingen zu lassen, aber es wird trotzdem niemals dasselbe sein, und da es unmöglich ist, dass ihr zum jetzigen Zeitpunkt noch lebt, ohne es jemals gehört zu haben, wisst ihr sowieso, was ich meine. Ihre Schreie können einfach nicht nachgeahmt werden. Sie sind irgendwie daneben .
Sie machen einen außerdem verrückt. Ich konnte Ships leises Schnarchen aus dem Nebenzimmer hören, aber das verdammte Gejammer fand gut fünfzig Meter unter mir statt und es hörte sich an, als käme es von überall gleichzeitig her. Ich wollte mir die Ohren allerdings nicht mit irgendwas zustopfen, für den Fall, dass einer von denen es doch zu uns nach oben schaffen sollte. Doch irgendwann war ich so müde, dass ich mir schließlich doch in jedes Ohr eine .38er Patrone steckte. Es half tatsächlich. Ich schlief ein.
Doch dann wurde ich von dem unverwechselbaren Geräusch einer Schrotflinte, die gerade geladen wurde, geweckt. Noch so ein furchteinflößendes Geräusch. Ich riss die Augen auf und spähte direkt in den unfassbar großen Lauf besagter Schrotflinte. Ich musste dringend pinkeln und meine Morgenlatte schrumpfte augenblicklich in sich zusammen.
Ohne die Hand von der Waffe zu nehmen, deutete ein wutentbrannter Ship auf mein Bein, welches locker über das Birkenholzsofa hing. Die Bisswunde war äußerst gut zu sehen. Sie war nach wie vor Rot und Lila verfärbt, sah aber schon deutlich besser aus als gestern, als ich den Verband endgültig abgenommen hatte.
Читать дальше