Isabel sah mit grossen Augen zu ihm hinüber. „Ich kann mir nicht denken, dass der reiche Petroleumfürst einer so überaus kleinlichen Rache fähig wäre.“
Yorge Aldaz blickte an ihr vorbei. „Sennor ’Erbert, ich halte meine Kündigung aufrecht.“
Da sprang Isabel von ihrem Stuhle empor. „Sie halten die Kündigung aufrecht, auch wenn Sie wissen, dass Vaters Unternehmen vielleicht daran zugrunde geht?“
„Auch dann!“ versetzte er, ruhig scheinend, während er vor Wut über den Korb innerlich zitterte.
„Ich bitte Sie herzlich, die Kündigung zurückzunehmen,“ sagte sie weich.
Er nickte. „Sofort! Wenn Sie meine Frau werden wollen!“
„Aber ich liebe Sie doch nicht,“ wehrte sie sich, „und es ist hässlich, wenn man ohne Liebe heiratet.“
Sein Stolz empörte sich. Die schönsten Mädchen aller Nationen hätten das Glück, seine Frau zu werden, besser zu schätzen gewusst als diese Zirkusprinzessin. Er lächelte mit leichtem Spott, der sein Beleidigtsein verhüllen sollte. „Die Kündigung bleibt bestehen, und nun will ich mich empfehlen.“
Franz Herbert ging einen Schritt auf ihn zu. „Sennor Aldaz, lassen Sie mir wenigstens ein Vierteljahr Zeit.“
„Vier Wochen, Sennor ’Erbert, vier Wochen. Ich brauche mein Geld!“
Franz Herbert wollte noch einmal sein Heil versuchen, doch Isabel liess ihn nicht dazu kommen.
„Demütige dich nicht unnütz, Vater,“ rief sie ihm zu. „Ich will’s einmal auf andere Weise versuchen.“ Sie wandte sich Yorge Aldaz zu. „Sennor, die Art, wie Sie sich gegen meinen Vater benehmen, gleicht einer Erpressung, finde ich.“
Er lachte noch immer voll Spott. „Sennorita, ich habe leider keine Zeit mehr.“
Er wollte auf die Tür zu. Sie vertrat ihm den Weg, der junge Tiger hielt mit ihr Schritt. Sein schräger, grünlicher Blick beengte Yorge Aldaz.
„Nehmen Sie die Bestie beiseite,“ sagte er ärgerlich.
Sie lächelte. „Sofort, wenn Sie es meinem Vater schriftlich geben, dass die Rückzahlung des Geldes ein Jahr Zeit hat.“
Franz Herbert blickte seine Tochter plötzlich entsetzt an. „Isa, Kind, treibe nicht solche Scherze!“
„Lass nur, Vater, ich treibe keinen Scherz. Erpressung gegen Erpressung! Anscheinend traut Sennor Aldaz meinem lieben Bonito nicht. Und er hat bis zu einem gewissen Grade auch recht. Jedenfalls gibt Bonito den Weg nur frei, wenn Sie meinem Vater entgegenkommen, Sennor. Dass Sie mich lieben, dafür kann ich nicht und mein Vater noch weniger. Ich dulde es aber nicht, dass Sie sich an ihm rächen.“
„Rufen Sie die Bestie aus dem Wege,“ befahl Yorge Aldaz noch einmal.
„Nur wenn Sie unterschreiben, was ich Ihnen sagte.“
„Isa, verlass mit dem Tier das Zimmer!“ drängte Franz Herbert.
Isabel schüttelte den Kopf. „Ich nütze unseren Vorteil, Sennor Aldaz hat Strafe verdient, ein Caballero handelt nicht wie er.“ Sie wendete sich an Aldaz. „Soll Ihnen Bonito Pfötchen geben oder Küsschen? Er macht das sehr liebreich.“ Sie lachte. „Sie wollten mich heiraten und haben Angst vor meinem Liebling.“ Sie tätschelte den Tiger, zeigte auf Aldaz: „Schau, Bonito, der Sennor fürchtet sich vor dir.“
Das Tier musste die Bewegung seiner geliebten Herrin falsch gedeutet haben, denn plötzlich schnellte sein weicher und doch nerviger Körper gegen Yorge Aldaz an, der zu Boden stürzte, während der Tiger die rechte Pranke hob.
Nur einen schmalen Streif trug Yorge Aldaz auf der Wange davon, denn Isabel riss das Tier sofort zurück, aber Aldaz war fahl vor Wut. Er riss seinen Revolver aus der Tasche, und in den gellen Schrei Isabels mischte sich schon der Schuss. Das Tier richtete sich steil auf, fiel dann zurück, ein Zucken ging durch den Körper von Isabels verhätscheltem Liebling, dann streckte er sich. Seine grünen Lichter glimmten noch einmal wie in voller Erkenntnis des letzten Abschiedes zu Isabel hinüber, dann brach ihr Glanz.
Verzweifelt warf sich das Mädchen über das tote Tier, ihr Schluchzen war herzbrechend.
Yorge Aldaz trat zu Franz Herbert „Notwehr, Sennor ’Erbert. Sennorita Isabel hat vorhin angezweifelt, dass ich ein Caballero bin. Behalten Sie deshalb, bitte, das Geld, solange Sie es brauchen.“
Er wollte etwas zu Isabel sagen, doch eine leidenschaftliche Geste scheuchte ihn fort. Er verliess das Zimmer. Hinter sich hörte er Isabels Weinen.
Franz Herbert neigte sich über seine Tochter. „Kind, Kind, wie durftest du dich so benehmen! Du hast nur den Schaden davon.“ Er seufzte. „Höre auf zu weinen, Kind! Du hättest Bonito sowieso nicht mehr lange als Haustier behandeln können. Wilde Tiere gehören hinter Gitterstäbe.“
Isabel sass inmitten des Zimmers, der Kopf des toten Tieres lag in ihrem Schoss.
„Vater, ich darf Sennor Aldaz nicht mehr begegnen, ich hasse ihn, ich verabscheue ihn. Ich möchte deshalb fort von hier. Vater, jetzt bitte ich dich, lass mich weit fort, zu Tante Helene nach Deutschland, dort sind die Menschen ruhiger, herzwärmer, niemand hätte dort meinen Bonito getötet.“
„Aber sie wären vor ihm ausgerissen,“ lächelte Franz Herbert, der glücklich war über Isabels Entschluss.
Es war wirklich für sie die höchste Zeit, in andere Verhältnisse zu kommen. Die eben durchgemachte Stunde hatte ihm bewiesen, wie selbstherrlich Isabel war. Bei seiner Schwester würde sie sich ändern. Und es war gut, wenn sie jetzt sobald wie möglich fortkam. Bei ihrem Naturell bestand Gefahr für Yorge Aldaz, wenn er ihr in den Weg kam.
Er half seinem Kinde aufstehen und bettete ihr Köpfchen an seiner Brust. „Liebes, liebes Mädelchen, mit dem nächsten Dampfer schicke ich dich nach Europa.“ Er streichelte sie. „Es wird dir in Deutschland gefallen, wenn der Himmel auch nicht so blau ist wie hier und es einen Winter dort gibt mit Eis und Schnee.“
Er fuhr sich mit den Fingerspitzen über die Augen. An sein Herz klopfte plötzlich urgewaltig das Heimweh, das er niemals so stark, so elementar verspürt hatte wie eben.
Die verwitwete Frau Geheimrat Helene Kornelius sass wie vernichtet in ihrem Armstuhl am Fenster. Der Briefträger hatte vorhin einen Brief aus Mexiko gebracht von ihrem Bruder Franz. Er kündigte ihr darin ganz unvermittelt den Besuch seiner einzigen Tochter Isabel an, die schon kurz nach diesem Brief eintreffen sollte.
Sie las den Brief immer wieder, schob mit verzweifelter Geste ihre Hornbrille auf die Stirn und rief überlaut: „Tine, Tiiinee! Tiiiiiineee!“
Tine Mottebusch schlief wohl wieder. Nach dem Frühstück schlief sie meistens ein halbes Stündchen in der Küche ein.
„Tiiinee!“ Gell klang es.
In der Tür erschien die alte Köchin und Vertraute der Frau Geheimrat.
Tine war schon zu ihr gekommen, als sie heiratete, dann später ein Jahr von ihr fort gewesen, weil sie selbst heiratete, und als ihr Mann, ein notorischer Säufer, starb, zog sie wieder zu ihr und war ihr nun seit achtundzwanzig Jahren treu geblieben.
Wenn Frau Geheimrat Kornelius ärgerlich war, redete sie Tine nicht bei ihrem Vornamen an. „Frau Mottebusch, Sie haben wohl wieder ein Verdauungsnickerchen gemacht? Natürlich, da kann ich mir die Kehle ausschreien, aber Sie kommen nicht, und ich weiss vor Angst nicht, was ich anfangen soll.“
Tine rieb sich die roten Hände, ihr Vollmondgesicht nahm einen tragischen Ausdruck an. „Ach, du mein liebes Himmelchen, haben Sie wieder Magendrücken? Na, warten Sie man ich koche Baldriantee, oder wollen Sie lieber Pfefferminztee? Und zuerst hole ich ein Wacholderschnäpschen.“
Die Geheimrätin machte eine unmutige Bewegung. „Ach was, damit können Sie mir nicht helfen. Das kommt aber auch so plötzlich —“ Sie schüttelte den Kopf.
Tine war schon an der Tür. „Nur nicht gleich verzweifeln, Frau Geheimrat! Sie wissen, meine Hausmittel helfen für alles. Und plötzlich kommt das bei Ihnen doch immer.“ Schon schloss sich die Tür hinter ihr.
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