Isabel lachte laut. „Das kann mich alles nicht reizen, Vater. Gib dir gar keine Mühe. Ich bleibe hier, und ich trete auf, und wenn dir das Zirkusleben über ist, dann stelle mich an die Spitze. Sollst dein blaues Wunder erleben, wie ich alles leite!“
„Das glaube ich, dass ich dann mein blaues Wunder erleben würde,“ bestätigte er, wider Willen lächelnd. „Aber ich trage gar kein Verlangen danach.“
Isabel stürzte auf den Vater zu. Mit einem Sprung schwang sie sich hoch, hing an seinem Halse. „Du wirst in einer Stunde in die Manege kommen, Sennor Direktor. Ich lasse dich nicht eher los, bis du ja sagst.“
Was blieb ihm übrig? Es war Isabel bisher immer gelungen, ihn ihren Wünschen geneigt zu machen. „Ansehen will ich mir deine Nummer, aber die Erlaubnis, darin aufzutreten, steht auf einem anderen Blatt.“
Franz Herbert empfing ein paar kräftige Küsse rechts und ein paar kräftige Küsse links, dann gab ihn Isabel frei.
Er machte, dass er aus dem Zimmer kam. Isabel hatte es auch heute verstanden, ihn herumzukriegen. Er ärgerte sich darüber, aber er fiel doch immer wieder darauf herein.
Er kam sich schwach vor, machte sich schon vor der Tür Vorwürfe und suchte ärgerlich sein Arbeitszimmer auf. Vor seinem Schreibtisch stand er lange vor dem Bilde seiner schon vor sechzehn Jahren verstorbenen Frau. Isabel war ihr so ähnlich — bis auf das Haar. Das ihrer Mutter war schwarz gewesen, mit einem Schimmer wie von dunklem Stahl. Er setzte sich an den Schreibtisch, stützte den Ellenbogen auf die Platte und legte das Kinn in die hohle Hand. Er musste in letzter Zeit so viel an seine Schwester denken, mit der er in einem kargen Briefwechsel stand.
Vor fünfundzwanzig Jahren hatte er Deutschland verlassen. Ein gefallsüchtiges Mädchen, das ihn am Gängelband geführt und dann, als sie Gelegenheit dazu hatte, den Reicheren zum Manne nahm, war der Grund, der ihn aus der Heimat trieb. Das kleine Gut der Eltern, das er nach deren Tod bewirtschaftete, verkaufte er, gab die Hälfte des Erlöses seiner mit einem Arzt verheirateten Schwester und zog in die Welt.
In San Franzisko wurde er, als vorzüglicher Reiter, Mitglied des Zirkus Marca, heiratete nach einigen Jahren die einzige Tochter des Direktors, und so wuchs Isabel in der Zirkusluft auf.
Anfangs liess er sie in allem gewähren, aber Isabel war tollkühn und spielte mit der Gefahr. Er wünschte nicht, dass sie dieses Leben fortsetzte. Er dachte an das Elternhaus, sah die Schwester als junges Mädchen vor sich, im weissen Volantkleid mit glattem Scheitelhaar und dicken Zöpfen. Die Tanzstunde in der Kreisstadt war der Höhepunkt ihrer Jungmädchentage gewesen. Isabel aber ritt wie ein Cowboy, turnte am höchsten Reck und fuhr in ihrem kleinen Auto aus, während neben ihr der junge Tiger „Bonito“ sass, trotzdem es deshalb nur so Strafzettel regnete.
Sie hatte eine Nummer einstudiert mit Pferd und Tiger, aber er würde sie nicht darin auftreten lassen. Isabels Name sollte endgültig vom Programm verschwinden.
Seit einiger Zeit beschäftigte ihn nur die Frage, wie es ihm gelingen könnte, sie ins Privatleben zu drängen. Solange sie jünger gewesen, hatte sie sich leidlich seinen Anordnungen gefügt, nun sie älter geworden war, machte es ihr jedoch Vergnügen, förmlich mit ihrem Leben zu spielen.
Es klopfte. Ein Mestize meldete: „Sennor Aldaz!“ Er erschrak. Richtig. Sennor Aldaz wollte sich ja Antwort auf seinen Antrag holen.
Sennor Yorge Aldaz trat ein. Er war ein hübscher, schlanker Mann. Einem Menschen ohne Vorurteil fiel nichts von dem an ihm auf, was Isabel an ihm bemängelt hatte. Nur etwas selbstbewusst schien er, als er fragte: „Nun, Sennor ’Erbert, darf ich hoffen?“
Franz Herbert, der ihm Platz angeboten hatte, lächelte etwas verlegen. „Nein, Sennor, es bleibt bei Isabels Nein —“
Der Jüngere starrte ihn an. „Ich kann das nicht glauben. Sie hat mir manchmal ganz grosse Augen gemacht.“
Franz Herbert biss auf seiner Unterlippe herum. „Isabel denkt sich nichts dabei.“
In diesem Augenblick flog die Tür auf. Isabel trat ein, und neben ihr trabte weichpfotig ein junger Tiger.
Sennor Aldaz sah plötzlich sehr blass aus. „Donna Isabel, legen Sie das Tier doch an die Kette!“ rief er ihr entgegen und erhob sich zur Begrüssung.
„Wozu?“ lachte sie. „Bonito gehorcht aufs Wort. Wenn ich ihm keinen anderen Befehl gebe, bleibt er an meiner Seite, und wenn ich befehle, er soll Ihnen ein Küsschen geben, dann tut er es.“
Yorge Aldaz zuckte die Achseln. Er fand den Scherz sehr töricht. Wenn das Mädel nur nicht so selten schön wäre, weiss der Himmel, er ginge davon und würde ihrem Vater morgen die Kündigung des Geldes senden. Denn es war ja eine Unverschämtheit, ihm, der die ergiebigsten Petroleumminen in ganz Mexiko besass, einen Korb zu geben. Aber der Korb war vielleicht doch nicht so ernst zu nehmen.
Er äugte nach dem Tiger, der ihn mit seinen schrägen Lichtern neugierig betrachtete. „Schaffen Sie doch, bitte, das Vieh hinaus, Donna Isabel, ich möchte in Gegenwart Ihres Vaters eine Frage an Sie richten.“
„Bonito stört nicht, im Gegenteil, er nimmt grossen Anteil an allem, was mich angeht,“ gab sie zurück und strich dem schön gezeichneten Tier zärtlich über den grossen Katzenkopf. „Oder haben Sie etwa Angst vor Bonito, Sennor? Ich fände das sehr unmännlich.“
Yorge Aldaz versuchte zu lächeln, aber der schräge Blick des Tieres störte ihn. Dennoch sagte er: „Ihr Herr Vater teilte mir eben mit, Sie schlügen meinen Antrag ab. Ich bescheide mich damit noch nicht und wiederhole Ihnen meinen Antrag persönlich. Ich bitte sie, genau zu überlegen, dass ich Ihnen viel, sehr viel zu bieten vermag. Ich bin sehr reich, als meine Gattin dürfen Sie sich jeden Wunsch erfüllen.“
Isabel nickte ihm zu. „Es klingt sehr verlockend, Sennor Aldaz, aber ich darf nicht ja sagen, weil ich Sie nicht liebe!“
Yorge Aldaz atmete unfrei. Er hatte bestimmt mit Isabel Herberts Jawort gerechnet, schon deshalb, weil ihr Vater in seiner Schuld stand und diese Schuld, wie er genau wusste, vorläufig nicht zurückzahlen konnte, ohne schwere Verpflichtungen auf sich zu nehmen.
Isabel sah ihn an. „Nein, Sennor, ich liebe Sie nicht. Sie werden Ihren Wunsch vergessen. An mir hätten Sie doch keine Freude, denn ich bin eine Wildkatze, wie Vater mich manchmal nennt, und Wildkatzen passen gar nicht zur Ehefrau.“
Yorge Aldaz sagte leise: „Sie werden Ihren Entschluss ändern, ich gebe Ihnen Bedenkzeit!“
Isabel machte eine Bewegung lebhaften Verneinens. „Ich liebe Sie nicht und werde Sie nie lieben.“
Er fragte fast heftig: „Sie lieben einen anderen?“
Isabel lachte und neigte sich zu dem Tiger nieder. „Ja, meinen Bonito liebe ich!“
Yorge Aldaz empfand die unüberlegte, etwas übermütige Antwort als Spott. „Sennorita ’Erbert, ich vermag Sie nicht zu zwingen, meine Frau zu werden, ich muss mich fügen, aber nun habe ich noch eine Kleinigkeit mit Ihrem Vater zu besprechen.“
„Ich soll hinausgehen, heisst das, nicht wahr?“ Sie setzte sich. „Ich darf mit anhören, was Sie mit meinem Vater reden wollen, Vater erlaubt das.“
Yorge Aldaz zuckte die Achseln. „Wie Sie wünschen!“ Er wandte sich an Franz Herbert. „Sennor ’Erbert, ich muss Ihnen leider die geliehenen fünfzigtausend Pesos kündigen, wir haben monatliche Kündigung ausgemacht.“
Also doch! Franz Herbert war zusammengezuckt. Er hatte diese Kündigung befürchtet und dennoch nicht daran geglaubt. Er entgegnete fest: „Als Sie mir das Geld liehen, betonten Sie, die monatliche Rückzahlung in unserem Vertrag sei nur eine Formsache.“
„Es wäre auch eine Formalität geblieben, wenn Ihre Tochter —“ Mit lebhaftem Achselzucken brach Aldaz den Satz ab.
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