Josef Jurajda, geboren am 5. 3. 1903 in Olmütz, die Adresse versprachen die Brünner zu ermitteln, nach der Lehre Zimmermaler bei der Firma Valnoha und Sohn mit Filialen in ganz Mähren, war mehrmals wegen sexueller Abartigkeit bestraft worden. Er verschaffte sich die Höhepunkte, ohne mit den Frauen zu verkehren, zwei Prostituierte verschnürte er nacheinander mit einer Wäscheleine, brachte sie mittels eines Knebels zum Schweigen, onanierte vor ihnen und stach ihnen dabei mit einer Stecknadel in die Brüste. Das Alibi für den schicksalhaften Zeitpunkt schien seinerzeit unerschütterlich: Er arbeitete bei einer Firma in Košice, und die Eisenbahnverbindungen zwischen den Zeiten, zu denen er von Mitarbeitern gesehen worden war, hätten ihm für das zeitaufwendige Verbrechen in Brünn nur knappe zwanzig Minuten erlaubt. Die Ermittlungsbeamten hielten es wegen des spärlichen Verkehrs auf den slowakischen Straßen für ausgeschlossen, daß er sich als zufälliger Mitfahrer in einem Auto hätte rechtzeitig hin- und zurückfahren lassen können.
Alfons Hunyady, geboren am 16. 12. 1915 im damals noch ungarischen Komarom, der Herkunft nach Zigeuner, Analphabet, von Gelegenheitsarbeiten lebend, vor allem aber von kleinen Diebereien, war neben anderen Strafen als Jugendlicher 1931 und ein zweites Mal 1935 wegen Vergewaltigung auf «unbedingt» verurteilt worden. In beiden Fällen fesselte er die Opfer mit Draht und schnitt ihnen in die Brüste, um sie sich gefügig zu machen. Die zweite Frau war nur durch ein Wunder nicht verblutet. Hunyadys Alibi für die Oktobernacht, da Maruška Kubílková zu Tode gemartert wurde, war kurios. Er verbrachte sie im Städtchen Ivančice bei Brünn im Gemeindekarzer, der jedoch laut Aussage anderer Arrestanten frei zugänglich war: Gegen eine Gebühr lieh der notorische und deshalb ewig eingesperrte Ortsdieb seinen Dietrich aus. Der Leiter der Gendarmeriestation wies bei der Hauptverhandlung diese Verleumdung erbittert zurück, und weder der Richter noch der Staatsanwalt riskierten aus Gründen des öffentlichen Interesses einen Prozeß wegen Meineids mit dem Vertreter der Staatsgewalt. Alfons H. behielt man bis 1941 im Rahmen der politisch veränderten Grenzen im Auge, dann schloß die Akte plötzlich mit einem unheilverkündenden Tilgungsvermerk aus der Einwohnerkartei.
Überaus interessant schien damals wie heute die dritte der verdächtigen Personen.
Jakub Malatínský, geboren am 6. 4. 1905 im mährischen Mikulov, war ein Weinbauernsprößling, der es bis zum Kellermeister im berühmten Valticer Kreuzkeller gebracht hatte. Seine Karriere endete 1926 über Nacht, als er seine junge Ehefrau erstach, die er, offensichtlich zu Recht, der Untreue verdächtigt hatte. Der Toten schnitt er beide Brüste ab, was er bei der Gerichtsverhandlung mit seiner maßlosen Wut rechtfertigte, daß ein anderer Mann sie berührt habe. Der Staatsanwalt forderte «lebenslänglich», doch das Gericht neigte, dem Plädoyer des offenbar ausgezeichneten Verteidigers folgend, der Auffassung zu, der Angeklagte habe im höchsten Affekt gehandelt, und blieb bei fünfzehn Jahren. Wegen tadelloser Führung und tätiger Reue wurde er im Frühjahr 1937 nicht nur entlassen, sondern sogar noch als Hausmeister des Gerichtsgebäudes angestellt. Am Mordtag hatte er sich als einziger der vier Verdächtigen in Brünn aufgehalten, jedoch als Patient der internen Klinik nach einer Blinddarmoperation. Zur inkriminierten Zeit war er zwar schon größtenteils beschwerdefrei, teilte jedoch das Zimmer mit einem schwachsinnigen Patienten; doch auch in diesem Fall widersprach es jeder Logik, daß er es geschafft haben könnte, das Mädchen, eine junge Witwe, deren Bekanntschaft ihm nicht zu beweisen war, ausfindig zu machen, sie bestialisch zu ermorden und noch vor Mitternacht unbesudelt in sein Krankenhausbett zurückzukehren, wo eine Schwester mit ihm sprach. Erst vorletztes Jahr hatte er es gewagt, in seinen Heimatbezirk zurückzukehren, wo ihm die guten Empfehlungen noch einmal zu einem Posten als Kellermeister verhalfen.
Die unselige Gruppe der vier beschloß Bruno Thaler, geboren am 12. 8. 1913 in Iglau, deutscher Herkunft, gelernter Fleischer, der 1936 in psychiatrische Behandlung kam, weil er nach wiederholter Vivisektion an Tieren – er schlitzte beispielsweise Schweinen den Bauch auf, ehe er sie tötete – den Mitarbeiterinnen angedroht hatte, auch sie bei lebendigem Leibe auszuschlachten, falls sie ihn anzeigten. Seine Aussage, er sei in den Tagen um den Mord als Angehöriger von Henleins Stoßtrupps in Österreich gewesen, die von dort aus gegen die Tschechoslowakei operierten, hatte der Gauleiter persönlich per Stempel bestätigt, und nach der Besetzung des Landes wagte niemand mehr, es zu bezweifeln.
«Auch Thaler wurde dann als Volksdeutscher aus den Akten der tschechischen Behörden herausgenommen», schloß Morava sein Referat.
«Ich werde es überprüfen!» kommentierte Buback lakonisch.
Dann lehnte er sich hoch aufgerichtet in seine Ecke und blieb mit geöffneten Augen die letzten langen vier Stunden so sitzen, bis sie sich zwischen Militär- und Zivillastwagen nach Brünn hineinlavierten. Morava kämpfte angestrengt mit dem Schlaf, denn er wollte gerade vor diesem Menschen nicht die geringste Schwäche zeigen.
Da», sagte sie zu dem vom Schicksal geprüften Mann aus Zlín, «suchen Sie sich was Warmes aus.»
Barbora Pospíchalová stand vor dem geöffneten Kleiderschrank und hätte ihn beinahe wieder mit einer Ausrede zugemacht, nochmals schien ihr, als schreibe sie Jaroslav auf verräterische Weise ab, obwohl während des ganzen Heimwegs, auf dem sie dem armen Teufel ihr Schicksal geschildert und auch Jindřich nicht verheimlicht hatte, ihr das Herz sagte, es sei alles so, wie es sein müsse. Der Gast stand still und starr neben ihr, das Gepäck in der Hand, und wirkte verlegen, als habe er ihre Gedanken gelesen. Beherzt ermunterte sie ihn, um die Sache wenigstens rasch hinter sich zu bringen.
«Nur keine Hemmungen, ich hätte es sowieso weggegeben!»
Der Flüchtling stellte den Koffer ab, machte ihn auf und fing aus unerfindlichen Gründen an, darin zu kramen. Dabei fiel ihm ein mehrfach zusammengefalteter grüner Stoff auf den Teppich. Als er aufschlug, erkannte Barbora einen guterhaltenen Lodenmantel.
«Aber Sie haben doch ...», stieß sie verblüfft hervor, dann verschlug es ihr die Sprache, als sie in der Hand des Mannes Riemenzeug sah; auch sein bisher sanfter Blick war urplötzlich kalt und farblos wie Wasser.
Gleich darauf schlug er ihr mit der freien Hand zwischen die Augen. Das vertraute Zimmer, immer noch vom Mittagslicht durchflutet, zersprang in einem bunten Kaleidoskop. Sie fiel in den Schrank, sank langsam zwischen den dicht hängenden Kleidern nieder, und der Geruch der Mottenkugeln wich dem Duft Jaroslavs.
Erwin Buback wollte von dem tschechischen Polizisten nichts. Sein Eindruck, gleich bei der ersten Begegnung von dem Schulheftchen vermittelt, hatte sich mit der Zeit vertieft. Der junge Mann war fähig und strebsam, kein Wunder, daß Beran ihm so vertraute. Gleichzeitig war er jedoch das geradezu beispielhafte Exemplar einer «Lotosblüte», wie Hilde allzu offene und vertrauensvolle Seelen immer nannte. Diesen Titel hatte sie sich bald selbst von ihm verdient. In der Zentrale der Prager Kripo, wo er auf so etwas am wenigsten gefaßt war, stieß er gleich auf zwei solcher Exemplare. Neben dem Adjunkten war es auch Berans Sekretärin, dieses Beinaheporträt der jungen Hilde.
Während er steif im Wagen saß, was er in Gegenwart von Bürgern der okkupierten Länder seit Kriegsbeginn immer tat, preußisch soldatische Haltung weckt für sich allein schon Respekt! wußte er nicht zu sagen, welche der beiden Frauen er gerade mit seinem inneren Auge wahrnahm. Seit Antwerpen widerfuhr ihm dies zum erstenmal, und er wußte sich damit keinen Rat. Frischt dieses unbekannte tschechische Mädchen das Andenken seiner geliebten Frau auf, oder hat die unauslöschliche Erinnerung an Hilde eine Beziehung in ihm geweckt, woran er erst kürzlich in der Bar gedacht hat? Ist es überhaupt möglich, diese verblüffende Ähnlichkeit des Gesichts und des Charakters anders zu verstehen als einen Wink des Schicksals?
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