«Haben wir einen Agenten da?»
«Sogar zwei, einen Techniker und vor allem den Garagenmeister. Aus ihren saftlosen Berichten läßt sich nur schließen, daß sie nicht mehr an unseren Sieg glauben und um ihre Haut fürchten. Meine Erfahrungen aus den Niederlanden lehren mich, daß gerade solche Leute uns zuerst in den Rücken fallen, um sich ein Alibi zu verschaffen. In den operativen Einheiten der tschechischen Polizei ist die Situation gewiß noch schlimmer, weil es sich um einen Teil des Repressionsapparats der Kollaborateursregierung handelt. Die Gefahr, daß sie fünf vor zwölf offen gegen uns auftreten, um sich zu rehabilitieren, wird bei weiterer Frontverschiebung akut.»
«Wie läßt sich dem vorbeugen? Sollen wir ein paar von ihnen einsperren? Oder umlegen?»
Verdammte Arbeit! dachte Buback, daß nicht mal dem etwas Klügeres einfällt ...!
«Ich fürchte, das würde die tschechische Polizei unnötig radikalisieren, immerhin gibt es allein in Prag ein paar hundert zwar schlecht bewaffnete, dafür aber gut ausgebildete Leute.»
«Also was dann??»
Meckerle begann sich offenbar gefährlich zu langweilen.
«Lassen Sie mir etwas Zeit, Standartenführer! Ich werde versuchen, das Vertrauen einer jungen Beamtin, der persönlichen Sekretärin von Beran, zu gewinnen.»
Die Augen des Riesen verrieten erneut Interesse.
«O ja! Zwei Fliegen mit einer Klappe? Endlich. Für den ewigen Witwer sind Sie viel zu jung. Und zu ansehnlich. Also nutzen Sie das.»
«Ebendas habe ich vor ...»
Er stand immer noch unter dem außerordentlichen Eindruck, den die Begegnung mit der jungen Tschechin in ihm hinterlassen hatte: Im Vorzimmer des Hauptkommissars der Prager Kriminalpolizei blickten ihn scheu und wehmütig die Augen seiner Hilde an, als er ihr das erstemal begegnet war ...
«Und wie sieht es nun mit dem Abartigen aus?» entsann sich Meckerle, als Oberkriminalrat Erwin Buback sich erhob, um sich gemessen abzumelden.
«Die heißeste Spur führt nach Brünn. Heute nachmittag fahre ich mit Berans Assistenten hin. Brünn liegt nahe der Front, auch unsere eigentliche Problematik läßt sich dort um so besser ermitteln.»
Beran unterbrach ihn mit keiner verräterischen Frage, er folgte den Ausführungen, die Morava ihm aus seinem linierten Heft vortrug, ohne sich eine einzige Notiz zu machen, und Moravas Selbstvertrauen nahm mit jeder Seite zu.
«Es ist also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit anzunehmen, daß der Täter dieselbe Person ist, die 1938 den sadistischen und nie aufgeklärten Mord an der Näherin Maruška Kubílková in Brünn begangen hat. Die Unterschiedlichkeit der verwendeten Mittel kann nicht verbergen ...» Morava hob die Stimme, um seine Nervosität zu übertönen, denn in diesem Punkt spürte er selbst die Angreifbarkeit seiner Theorie, «daß derselbe Täter jetzt das gleiche versucht hat, was ihm vor sieben Jahren nicht gelungen ist, entweder aus Unerfahrenheit oder weil sich das erste Opfer rasend gewehrt hat.»
Selbst jetzt wandte der Hauptkommissar nichts ein und machte sich auch keine Notiz. Morava bedauerte schon, die Verbindungstür aus Angst vor Blamage geschlossen zu haben, so hätte Jitka unmittelbare Zeugin seines ersten ungetrübten Erfolgs sein können, mit eigenen Ohren hören, wie Beran anerkennend die magische Formel aussprach, Gut, Morava!
Sie hat den Löwenanteil an meiner Ameisenarbeit! dachte er dankbar.
«Ich fasse zusammen», fuhr er laut fort, in der Hoffnung, seine Liebste werde den Grund für diese ungewöhnliche Lautstärke verstehen, «am zweckmäßigsten scheint es mir, den erwähnten Fall wiederaufzunehmen, dessen Ermittlungen im März 1939 unterbrochen wurden, als nach der Errichtung des Protektorats Böhmen und Mähren zwei verantwortliche Mitarbeiter der Brünner Polizei nach England flohen. Die Akte schließt mit der Feststellung, alle begründet Verdächtigen hätten damals ein Alibi beigebracht und seit jener Zeit sei keine nicht einmal entfernt ähnliche Tat auf unserem Gebiet registriert worden, was den Schluß zuließe, auch der Mörder hat sich rechtzeitig ins Ausland abgesetzt. Die neuen Erkenntnisse zwingen mich jedoch zu der Vermutung, daß er die ganze Zeit hier war und noch einmal gesucht werden muß, vor allem im Kreis der ursprünglich Verdächtigen.»
Morava schloß und wartete in einem Ansturm neuen Zweifels darauf, daß der unüblich untätige Chef ihn spätestens jetzt mit einer Bemerkung oder Feststellung niedermachte, die seine sinnreiche Argumentation ins Lächerliche zog. Statt dessen stand Beran auf und überraschte ihn mit der seltsamen Frage.
«Hätten Sie nicht Lust, einen kleinen Spaziergang zu machen? Meine Frau behauptet schon seit einer Woche, wir hätten Frühling draußen.»
Als Morava hinter Berans Rücken durch das Vorzimmer ging, versuchte er, Jitka mit einem Achselzucken anzudeuten, daß er keine Ahnung habe von dem, was vorging. Der Hauptkommissar hatte es so eilig, daß er trotz seiner Länge kaum mit ihm Schritt hielt. So ließ er sich bis zur Schützeninsel führen, ohne den Mut zu finden, als erster das Schweigen zu brechen. Wenig später ertappte er sich dabei, daß er tatsächlich die schwellenden Knospen betrachtete, was er seit Ewigkeiten nicht mehr getan hatte. Als sie von der Brücke über eine Steintreppe auf den Parkweg gelangten, glaubte er, sein Chef wolle ihn tatsächlich nur an die frische Luft führen. Deshalb erlaubte er sich schließlich zu bemerken.
«Oberkriminalrat Buback wartet auf Bescheid, wann ich mit ihm nach Brünn aufbreche ...»
«Ja», bestätigte Beran, «seinetwegen drehen wir hier unsere Runden.»
Morava mußte wohl ein ziemlich dummes Gesicht machen. Der Hauptkommissar lächelte amüsiert.
«Haben Sie gedacht, Morava, ich will Ihnen zeigen, wie die Weidenkätzchen sprießen? Das besorgt Jitka bestimmt besser!»
Der Kriminaladjunkt spürte wieder, wie seine Wangen verräterisch glühten. Und Beran, eine ungewöhnliche Geste! tätschelte ihm die Schulter.
«Sie können doch nicht annehmen, ich hätte Augen nur für Leichen. Meinen Glückwunsch, weder Jitka noch Ihnen konnte Besseres widerfahren. Bleibt nur, gesund über den Krieg wegzukommen.»
«Sie hat schreckliche Angst um ihren Vater. Er ist wegen Schwarzschlachtung verhaftet worden.»
«Ich vergesse das nicht. Ich komme schon drauf zurück.»
Der Rundgang führte sie zu der gegen die Karlsbrücke gerichteten Inselspitze. In der klaren Luft ragte der Hradschin, von hier aus durch keine Fahne der Okkupanten entstellt, nicht als Sarkophag eines minderwertigen und deshalb untergegangenen Volkes empor, sondern als das unvergängliche Symbol einer Metropole, deren Ruhm im Geiste der alten Sage bis zu den Sternen reichen würde. Selbst an diesem abgelegenen und verlassenen Ort blickte sich Beran wachsam um.
«Wie denken Sie über Buback?»
«Ohne Zweifel ein fähiger Kriminalist ... davon zeugt auch seine Stellung, oder ...?»
«Eben. Ein etwas zu großes Tier für einen so kleinen Fall, meinen Sie nicht auch?»
Morava fühlte sich getroffen. Damit war auch seine Rolle gemindert.
«Mir schien, Sie messen dem Fall außerordentliche Bedeutung zu, Herr Hauptkommissar ...»
«Natürlich, natürlich!» als ob ihn Beran besänftigen wollte, «deshalb habe ich mich doch selbst seiner angenommen. Doch in Wahrheit befassen Sie sich damit, und ich lenke weiter den Gang der ganzen Kripo. Ziehen wir in Betracht, daß auch Buback die ganze deutsche Dienststelle in Prag leitet, widmet er da dem Fall nicht allzuviel Aufmerksamkeit und Zeit?»
«An der Bedeutung des Opfers gemessen ...», wandte Morava ein.
«Ich hab meine Fühler ausgestreckt und einen interessanten Umstand festgestellt. Die Familie von Pommeren war den Nazis zutiefst verdächtig. Die posthume Auszeichnung des Generals sollte hervorheben, daß auch der alte deutsche Adel zu Hitler steht, doch in den Kreisen der Prager Deutschen hält sich das Gerücht, russische Partisanen seien der Gestapo nur knapp zuvorgekommen. Der General war schon längst der Unterstützung jener Richtung verdächtig, die letztes Jahr erfolglos zum Anschlag auf den Führer führte.»
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