Arnold Höllriegel
Du sollst dir kein Bildnis machen - Ein Roman aus Hollywood
Saga
Du sollst dir kein Bildnis machen - Ein Roman aus Hollywood Coverbild / Illustration: Shutterstock Copyright © 1929, 2020 Arnold Höllriegel und SAGA Egmont All rights reserved ISBN: 9788726416374
1. Ebook-Auflage, 2020
Format: EPUB 2.0
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„Die wir dem Schatten Wesen sonst verliehen,
Seh;’n Wesen jetzt als Schatten sich verziehen.”
(„Peter Schlemihl.”)
Der New-Yorker Broadway an einem schönen, nur ein bisschen dunstigen Abend im Oktober 1926. Von dem Dutzend Millionen Menschen, die Gross-New-York bewohnen, ist seit fünf Uhr, seit der Stunde des Arbeitsendes, vielleicht eine Million unterwegs, auf der Suche nach Lichtern und Freude.
Unter den Zahllosen, in ihnen verloren, sind drei, die zusammengehören. Ein deutscher Schriftsteller, erst vor wenigen Stunden in New-York angelangt. Dr. Paul Pauer heisst er. Die zierliche Frau mit den schönen, rotbraunen Haaren ist Claire Pauer. Matelian ist bei ihnen, Josef Baron Matelian, Pauers Freund. Er hat sie am Hafen erwartet.
Die Strasse, durch die sie langsam vorwärtsrücken, der Broadway, ist jetzt wie ein Strom einer anderen Welt; zwischen hohen, phantastischen Ufern wälzt er sich mit einem dumpfen Rollen und Brausen, ein Mississippi von Menschen. Es ist sonderbar, in so einer Menge zu sein, in der man niemanden kennt, keinen Menschen, kein Ding und keinen Gedanken. Es ist wie ein Abendspaziergang in einem Traum. In der Mitte der endlosen Strasse, auf der breiten Fahrbahn, verschieben sich ruckweise, langsam und fast ohne Lärm die Autos, unzählbare, zur dichtesten Kette zusammengefügt; die schönen lackierten Dächer werfen das blendende Licht von den Häusern zurück wie dunkle Spiegel. Langsam verschieben sie sich und willenlos; es ist, als ob nicht die Autos führen, von Menschen gelenkt, es ist, als führe unter ihnen die Strasse; eine zentrale Maschine, verborgen und unermesslich, scheint alles hier zu bewegen, ein übertechnisches Uhrwerk. Die Gehsteige wieder sind menschlich, organisch lebendig; die Fussgänger, eng beieinander, bilden zwei Strömungen, Strasse auf, Strasse ab, jede ein zähes Gemenge von einzelnen und von kleinen, zusammenhängenden Gruppen. Zwei sind immer beisammen, drei oder mehr, verbunden durch Wort und Geste, durch Blutsverwandtschaft und Ehe und Liebe, oder nur durch blosse gesellige Adhäsion, so wie aus Wasseratomen ein Tropfen sich bildet. Die Tropfen, öfters entzweigerissen im Wirbel der Strömung, finden sich wieder, vereinigen sich, bleiben schliesslich doch abgegrenzt. Nie verfliesst der Mensch mit dem Menschen, so sehr sie einander gleichen. Hier, auf dem breiten Weg der grössten Weltstadt, der tausendsprachigen, sind sie einander erstaunlich gleich, und bleiben doch einzelne. Neger sind unter ihnen, Chinesen, Malaien, was nicht? Ein Sioux, der mit seinen Adlerfedern auf dem Kopf spazierengeht, von irgendeiner Missionsgesellschaft zu irgendeinem Kongress nach New-York gebracht; er fällt gar nicht auf, wird nicht angeblickt; zu gross ist um ihn die Menge der völlig normal Gekleideten, sie presst ihn ein, seine Federn verschwinden unter den tausend und tausend weissgrauen Hüten der Männer, den Glockenhüten der Frauen, all der Herbstmode, aus den nämlichen Warenhäusern stets von den nämlichen Menschen bezogen. Auch sieht man einander nicht an, zu überwältigend ist dieses Schauspiel der nächtlichen Strasse; das Menschenantlitz zählt nicht mehr mit, und nicht, was man denkt oder sagt; nur die Augen bleiben im grossen Wirbel erhalten, Augenpaare, die gierig schauen ― ―
Tief unten sind diese Menschen, die Hunderttausende. Dort, wo sie sich um sie presst, in der Höhe des Menschenleibes, ist die steinerne Strasse ganz deutlich und tut sich ihnen ganz auf; die Steine zerfliessen zu Glas, und Tore öffnen sich weit, und riesige Fenster lassen den Blick durch. Dann höher, über den Köpfen, ist auch noch Glas, doch es spiegelt, ist nur noch ein Glanz auf ungeheuren, steilen Wänden, die in das Unendliche ragen, auf beiden Seiten des Broadways. Ein Cañon aus Wolkenkratzern am Tage, eine Alpenschlucht aus Geschäftsgebäuden; jetzt in der Nacht schwindet vollends die Wirklichkeit, da der Himmel mit den unsichtbaren Dächern verschwimmt: das ist schon kein Cañon mehr, keine Alpenklamm; nichts, was die Natur selbst erbaut hat, kann hier mitverglichen werden; Kulissen aus Glas und Stahl und Stein und Nebel und Licht, aus dem Kosmos herabgehängt, von einem Schnürboden irgendwo, rechts und links von den vielen, kleinen Statisten des Schauspiels: so kann man es fassen.
Die beiden Menschen aus Deutschland, die ihr New-Yorker Freund durch diese Nachtmar steuert, stehen, japsend und fassungslos, an einer Strassenecke, in einem geschützten Winkel, den irgendein Baugerüst von den flutenden Massen abdämmt. Er, Paul Pauer, schlank, geschmeidig, nicht gross, in den Dreissigerjahren, eher zu mager; im Grunde noch knabenhaft, aber vom Leben ein wenig ausgedörrt und trocken geworden; Kriegsjahre, sibirische Jahre des Kriegsgefangenen, dann Bohème und mancherlei Künstlernot haben den Körper da hager gehämmert. Die blondbraunen Haare werden über der Stirn schon ein wenig dünn, das Gesicht aber ist noch ganz jung, und die feine Mundpartie sogar schön: die weichen Lippen des Träumers über einem entschieden männlichen, kraftvollen Kinn. Die graublauen Augen, mit grünen Reflexen manchmal, reden die gleiche Sprache wie dieser Mund; es sind Augen in Versen, doch nicht in schmachtenden Versen. — Jetzt legt der Mann der Frau, die neben ihm steht, eine leichte Hand auf die Schulter, eine Hand, die liebkost und doch auch Besitz ergreift, eine Ehehand. Claire Pauer, in einem armen, kleinen, grauen Reisekostüm, ein bisschen faltig, hat einen guten Hut auf, einen Hut von der Farbe des Perlhuhns, er steht gut zu dem wundervoll schönen Rotbraun der Haare, die sie halblang trägt; das Köpfchen ist fein und scharf gezeichnet. Josef Freiherr von Matelian, der frühere k. u. k. Husarenrittmeister, jetzt, nach New-Yorker Jahren, ein wenig plumper geworden, gealtert, in fertiggekauften Kleidern, doch angesichts einer schönen Frau schon wieder der Kavalier von einst, nimmt sich vor, ihr etwas Freundliches über den Hut zu sagen; er fängt an, sie aber hört nicht und weiss nicht, dass er vorhanden ist, sie weiss nicht einmal, dass sie einen Hut hat; so kindisch-fassungslos steht sie da und starrt auf die leuchtende Wunderstrasse, auf die Wasserfälle von buntem Licht, die überall stürzen und rieseln und tröpfeln und dann wieder aufwärts schäumen.
Nach oben verlieren sich diese traumhaft schimmernden Mauern in ein unbestimmtes Verdämmern, nur dass dort oder hier phantastische Kuppeln und Zinnen und Türme schneeweiss beleuchtet sind oder blauviolett, aus magisch durchfunkten Röhren und kriechenden gläsernen Schlangen. Darüber ist eine fahle Helle, im durchleuchteten Nebel erlöschen die Sterne der Gottesnacht; dann reisst ein Scheinwerferlicht, in den Weltraum bombardiert, auf einmal den Himmel weit auf, brutal dringt das Licht in ihn ein, dann verfliegt es wieder. Und Licht ist auf Licht gestickt, läuft über das Licht, tanzt über das Licht, buntes Licht über weisses Licht, geometrisch liniiertes Licht über Flächen von Licht, bewegtes Licht über das stille. Da drehen sich blutrote Kreise; dort schreiben unsichtbare Gigantenhände die Worte der Flammenschrift; es entstehen Bilder: der feurige Wagen Elias fährt über den Himmel, schnell, schnell; zwei Cherubim, ganz aus edelsteinfarbigen Flammen, beginnen miteinander zu kämpfen, wie Satan und Gabriel; Autoreklame, Reklame für den morgigen Boxkampf; sogar ein lohendes Kreuz ganz hoch oben im Atelier ist eine Reklame, für eine bekannte Evangelistin, die predigen wird und Sünder bekehren ― ―
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