Elsbeth Schneiderist am Niederrhein geboren und aufgewachsen und lebt seit 2005 mit ihrer Familie in der Nähe von Tübingen. Ursprünglich Ärztin, arbeitet sie seit Jahren als freie Autorin und hat u. a. unter dem Autorennamen Isabell Pfeiffer mehrere historische Romane und Jugendbücher veröffentlicht. Besonders interessiert sie sich für Geschichte, Politik und Psychologie.
www.elsbethschneider.de
ELSBETH SCHNEIDER
EIN ROMAN AUS SCHWABEN
1. Auflage 2020
© 2020 by Silberburg-Verlag GmbH,
Schweickhardtstraße 5a, D-72072 Tübingen.
Alle Rechte vorbehalten.
Umschlaggestaltung: BUCHFLINK
Rüdiger Wagner, Nördlingen.
Coverfoto: Zwangsarbeiter im
Auffanglager Görden 1942, @ akg-images /
Sammlung Berliner Verlag / Archiv.
Satz und Layout: Sabine Düde,
César Satz & Grafik GmbH, Köln.
Lektorat: Michael Raffel, Tübingen.
Druck: CPI books, Leck.
Printed in Germany.
ISBN 978-3-8425-2293-0
eISBN 978-3-8425-2334-0
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Über den Autor Elsbeth Schneider ist am Niederrhein geboren und aufgewachsen und lebt seit 2005 mit ihrer Familie in der Nähe von Tübingen. Ursprünglich Ärztin, arbeitet sie seit Jahren als freie Autorin und hat u. a. unter dem Autorennamen Isabell Pfeiffer mehrere historische Romane und Jugendbücher veröffentlicht. Besonders interessiert sie sich für Geschichte, Politik und Psychologie. www.elsbethschneider.de
1942 1942
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
1943
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
1945
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Danksagung
Dies ist eine erfundene Geschichte, denn alle handelnden Personen hat es nie gegeben, genauso wenig wie das Dorf Laifingen. Dies ist eine wahre Geschichte, denn während des Zweiten Weltkriegs gab es im Deutschen Reich rund acht Millionen ausländische Zwangsarbeiter, darunter knapp zwei Millionen Polen. Acht Millionen Schicksale, acht Millionen Geschichten – wie sollte man da etwas erfinden können, das es nicht gegeben hat?
1942
Der Marktbetrieb war schon in vollem Gange, als Tomasz gegen neun Uhr am Morgen den Kercelak-Platz erreichte. Käufer und Verkäufer drängten sich zwischen den hölzernen Buden, lärmten, schubsten, feilschten; Eimer voller Kartoffeln, getragene Herrenanzüge, Kochgeschirr, französisches Parfum, Kristallvasen, gefälschte Papiere wechselten den Besitzer, zerlumpte Kinder sammelten heruntergefallene Abfälle auf oder bettelten. Wie konnte es sein, dass nach gut zweieinhalb Jahren Besatzung immer noch so viele Leute kostbare Dinge besaßen, die sie auf dem Schwarzmarkt verscherbelten?, überlegte Tomasz, während er sich seinen Weg bahnte. Und woher konnte das französische Parfum stammen, wenn nicht durch die Hände der Wehrmacht direkt aus dem besetzten Paris? Mittlerweile hatte er Barteczko erreicht, der ihm immer einen Platz neben sich freihielt. Der Alte hob grüßend die Hand.
»Und, Tomasz? Keine Schwierigkeiten heute Morgen?«
Tomasz stellte seinen Rucksack ab und klopfte Barteczko leicht auf die Schulter. »Nein, alles war ruhig. Die einzige Schwierigkeit war das Aufstehen.«
Barteczko lachte leise. Früher, in einem anderen Leben, war er Dozent für Kunstgeschichte an der Universität Warschau gewesen, ein Feingeist, der stundenlang über das kulturelle Leben im Florenz der ausgehenden Renaissance diskutieren konnte, heute war er ein verhärmter Wicht in einem verschlissenen Wollmantel, der auf einem Klapptisch antiquarische Bücher anbot. Er hatte immer noch gute Verbindungen in die ehemalige akademische Welt oder was davon noch übrig geblieben war, so dass sein Zustrom an Erstdrucken und anderen interessanten Druckerzeugnissen unerschöpflich schien. Tomasz und Barteczko hatten sich im Arbeitsamt kennengelernt, als sie für eine Arbeits-Kennkarte anstanden und überrascht feststellten, dass sie beide eine Stelle als Nachtwächter gefunden hatten, Tomasz bei einem Eisenbahndepot, der Professor beim Fernmeldeamt – Stellen, die sich mühelos mit einer Tätigkeit auf dem Schwarzmarkt verbinden ließen.
»Hast du ’ne Zigarette für mich?«
Unwillig beugte sich Tomasz über seinen Rucksack, holte die letzten beiden Zigaretten aus dem Seitenfach, hielt Barteczko eine hin und steckte die andere wieder zurück.
»Hier, mehr gibt’s nicht … Ich hoffe, ich kann heute ein paar Packungen eintauschen, Wolski hat mir den ganzen Rucksack mit Selbstgebranntem vollgepackt. Mein Gott, wenn du dessen Bude sehen könntest, das ganze Chaos auf diesem Hof! Irgendwann fliegt er mit seiner gesamten Destille mal in die Luft.«
»Ist vielleicht kein schlechtes Ende«, sinnierte Barteczko und nahm einen gierigen Zug. »In einer Schnapswolke zum Himmel aufsteigen.«
»Ich dachte, du bist ein Freigeist und glaubst nicht an den Himmel?«
Der Professor kniff die Augen zusammen. »Hab meine Meinung geändert. Da es meiner Erfahrung nach an der Existenz der Hölle keinen vernünftigen Zweifel mehr geben kann«, er vollführte eine Handbewegung, die den ganzen riesigen Platz, vermutlich sogar die ganze Stadt Warschau mit einschließen sollte, »stehen die Chancen auf einen Himmel vermutlich gar nicht so schlecht.«
»Immer noch der alte Optimist! Kann ich meinen Fusel mit zu deinen Sachen stellen?« Auf Barteczkos Nicken hin packte Tomasz seinen Rucksack aus und stellte ein paar Literflaschen Wodka hinter die fleckigen Bände einer polnischen Literaturgeschichte.
»Wenn du früher kommen würdest, könntest du dein Zeug leichter loswerden«, bemerkte Barteczko, drückte die halb gerauchte Zigarette an seiner Schuhsohle aus und schob den Rest bedauernd in seine Hosentasche. »In der Dämmerung trauen sich auch die Deutschen aus ihren Löchern und stöbern hier herum. Die besten Geschäfte machst du mit denen, bevor es hell wird.«
»Vielleicht will ich ja gar keine Geschäfte mit denen machen? Vielleicht bin ich ja ganz zufrieden damit, wie es jetzt läuft? Ich brauche nicht viel.«
Der Alte schüttelte den Kopf. »Eine ehrenwerte, aber schwachsinnige Haltung.«
Tomasz schob sich die Mütze in den Nacken, gähnte und rieb sich die Augen. »Verdammt, ich bin einfach hundemüde. Gestern Abend war ich erst um zwölf von Wolski zurück, und heute Morgen bin ich schon um halb sechs wieder aufgebrochen.«
»Ich dachte, du hast ein Fahrrad?«
»Ja. Aber es ist mir zu gefährlich, damit in die Stadt zu fahren. Wenn irgendeiner von denen auf die Idee kommt, es zu beschlagnahmen, bricht mein Geschäftsmodell zusammen. Ich brauche das Fahrrad, um zu meinen Bauern zu fahren.« An zwei, manchmal auch an drei Tagen in der Woche fuhr Tomasz seine Runde ab zu den Bauern, die er noch aus den Anfangsjahren seiner Zeit als Reporter kannte, bevor er seine Liebe zum Sportressort entdeckt hatte. Als Grünschnabel der Redaktion war er für das Warschauer Umland zuständig gewesen und hatte regelmäßig über die Fortschritte in der Schweinezucht, die Jahrmärkte und die Pflege dörflicher Traditionen geschrieben. Damals hatte er das langweilige Einerlei gehasst, heute kamen ihm seine Kontakte zugute. Er hatte sich auf den Alkoholschmuggel spezialisiert, weil die Flaschen, die er bei einer Tour auf seinem Fahrrad transportieren konnte, ein Vielfaches von dem einbrachten, was etwa mit Kartoffeln oder Gemüse zu verdienen war. Die Bauern verkauften an ihn, weil sie ihm trauten, und waren froh, dass er sie dafür mit Zigaretten und Nachrichten aus der Hauptstadt versorgte.
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