Julius Voss - Ini - Ein Roman aus dem ein und zwanzigsten Jahrhundert
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Julius von Voss
Ini: Ein Roman aus dem ein und zwanzigsten Jahrhundert
Vorrede
Jean Paul sagt: „Friede mit der Zeit! sollte man öfter in sich hineinrufen. Wie uns ein quälender Tag nicht in den Hoffnungen unsers Lebens irret, so sollte uns ein leidendes Jahrhundert nicht die entziehen, womit wir uns die weite Zukunft malen.“ Wenn nun aber die Zeit gar unfriedlich ist, sollte da nicht ein Blick in die Zukunft das bedrängte, oft zagende Herz trösten, beleben, erheitern? Und eine bessere Zukunft naht so gewiß, als die Vergangenheit von der Gegenwart übertroffen wird. Wenigstens gilt die Behauptung, insofern wir, von der immer mehr entwickelten Kultur, das Heil der Sterblichen erwarten. Was wir aber noch nicht sehen können, träumen, ist ja wohl poetisch und religiös. Und
Sind’s gleich nur Welten aus Ideen,
So baut man sie so herrlich als man will.
Erklärung der Kupfer
Das Titelkupfer stellt eine von Wallfischen gezogene Reiseinsel dar, wovon Seite 294 die nähere Beschreibung.
Bei der Vignette, eine Luftpost abbildend, wäre ein Ball von größerem Umfang zu wünschen. Jedoch tragen die Adler, übrigens etwas zu groß, ein wenig mit.
Der Verfasser merkt an, daß, ob er schon die Adler wählte, ihm deshalb Zambeccaris Theorie nicht unbekannt war. – Auch noch, wie ihm diejenige philosophische Kompensazion, nach welcher die Möglichkeit höherer Wohlfahrt der Erdensöhne, billig in Zweifel gezogen wird, so wenig fremd ist, daß er sich vielmehr ihr zugethan erklärt.
Erstes Büchlein
Ich Unglücklicher soll dich meiden, rief Guido wehmüthig.
Wozu die Klage, entgegnete Ini. Mögen dich rüstige Adler zum Pol tragen, magst du dich in die Tiefen des Ozeans senken, mein Bild bleibt dir nahe. Frei durchfliegt der Gedanke des Liebenden die Ferne, und die Region der Phantasie ist eine wirkliche. Auch wäre daheim dein Ziel nicht zu umarmen. Das Anschaun der Welt, die Uebung der Kraft in Thaten, müssen jene Bildung der Schönheit vollenden, deren Lohn meine Gegenliebe sein wird. Darum scheide männlich!
Guido war ein Jüngling von etwa zwanzig Jahren. Seine Herkunft blieb ihm noch immer geheim. Die Sage machte ihn zum Fündling, und als solchen, wollten die Gesetze, daß die Landespflege ihn erziehen ließ. Früh hatte man ihn in das große Knabenhaus gebracht, das am Meerstrande unweit Palermo angelegt war, und wo die sinnigen Vorsteher, bis zum zwölften Jahre, für die Entwicklung des Körpers durch Laufen, Ringen, Schwimmen und für die Stärkung des Denkvermögens durch Gimnastik des Kalküls Sorge trugen. In vergangenen Jahrhunderten würde auch der tiefsinnigste Geometer nicht geahnt haben, was im Felde der Rechnung junge Knaben hier schon vermogten. Allein es war überhaupt so weit damit gekommen, (zudem die mechanischen und optischen Handwerke so leicht durch Maschinen, so einfach durch neue Entdeckungen, so allgemein bekannt durch Schulen), daß Hirten, welche die Sternkunde gleich ihren Altvätern wieder trieben, sich bei Tage Teleskope fertigten, zur Nacht den Himmel beobachteten, und die Finsternisse der vielen neugewahrten Planeten und ihrer Trabanten ausmittelten.
Von da ward Guido dem treuen Gelino übergeben, dessen Villa nicht weit von dem großen Lustgarten, der den Aetna einschließt, lag. Dieser Mann hatte, ehe er sich nach dem Wohnplatz der Ruhe zurückgezogen, am Hofe zu Rom ein Amt bekleidet und umfaßte die Kunst zarte Jünglinge auf die Bahnen der Tugend zu leiten, mit Liebe.
Der Kaiser, gewohnt, wenn ihn nicht wichtigere Dinge abhielten, den lieblichen Februar auf Sizilien zu verleben, hatte den jungen Guido gesehn – wie es schien – Behagen an dem Knaben gefunden und ihm Fürsorge zugesagt. Ehrender Antrieb für ihn.
Doch möchte es vielleicht nicht gelungen sein, die mit Guidos flammender Lebenskraft verbundenen wilden Neigungen zeitig zu entwaffnen, wenn nicht folgender Umstand hinzugetreten wäre.
Neben Gelino wohnte seit einiger Zeit die edle Athania, Wittwe des afrikanischen Helden Medon. Sie hatte nach des Gatten Tode ihren Sitz auf dem lieblichen Eilande genommen und eine Pflegetochter mitgebracht, über deren Geburt auch viele Dunkelheit lag.
Guido sah das Mädchen in seinem siebzehnten Jahre. Ini zählte kaum vierzehn, doch prangte ihre Schönheit in üppiger Fülle, ihr Verstand entzückte.
Im ein und zwanzigsten Jahrhundert hatte man die Erziehungskunde einer Arithmetik unterworfen, die schon lange genaue Anzeigen ergab und sich immer mehr erweitete. Streben und Erfahrung hatten die Linie gefunden, bis an welche die Natur Freiheit zu reinen Ausbildungen der Formen bedingt, und wieder das Maas von Gegenwirkungen entdeckt, mit welchem ihr am glücklichsten zu begegnen ist. Da nun zugleich die Chemie der höheren Arzneikunst, diejenigen Krankheiten nach und nach in ihren Stoffen vertilgt hatte, welche sonst das Geschlecht entstellten, da die edlere Verfassung, jene Eigensucht, mit ihren leidenschaftlichen Ausgeburten, Neid, Haß, niedrige Sinnlichkeit, meistens entfernte, so konnte sie auch nicht mehr, wie Ehedem Antlitz und Haltung verunbilden. So mußte von Geschlecht zu Geschlecht die menschliche Schönheit sich lieblicher entfalten, und jene harmonischen Gestalten, welche einst Bildner in Athen aussannen , erblickte die Wirklichkeit da lange schon lebend, wo die Kultur waltete. Ja, jene Statuen wurden bereits auf eine nie zuvor geahnte Weise übertroffen, denn eine ganz neue Ideenmasse hatten die Menschen in sich aufgenommen, welche der Schönheit einen neuen irdisch-göttlichen Ausdruck zulegte. Wie würden die Phidias und Raphael gestaunt haben, wäre ihnen vergönnt gewesen, aus dem Todtenlande wiederzukehren, und die Formen dieses Zeitalters zu betrachten.
Die Schädelkunde, am Ende des achtzehnten Jahrhunderts entdeckt, sparsam im neunzehnten vervollkommnet, doch im zwanzigsten und ein und zwanzigsten zur tiefen Wissenschaft erhoben, leistete auch zur allgemeinen Veredlung bedeutende Hülfe, wie wir in der Folge zeigen wollen.
Guido sah die junge Ini kaum, als er ahnte, von den Strahlen dieser Schönheit werde ein neuer Frühling in seinem Gemüthe aufblühen. Süße Betäubung, schmachtende Unruhe, stellten sich als Vorboten der Liebe ein, holde Träume umgaben ihn wachend.
Guido war im siebzehnten Jahre so stark und gewandt, daß er manches Raubthier mit unbewaffneten Händen würde überwunden haben. Er sprang in die See, wenn ein Orkan ihre Wogen erhob, und kämpfte dann lächelnd mit der empörten Flut. Er konnte im Laufen das fliehende Reh ereilen und den Gemsen des Hochgebirgs nachklimmen. Dabei war er ein fleißiger Mathematiker, hatte eine Karte von dem Meergrunde zwischen Sizilien und Kalabrien gefertigt, die Beifall fand. Kriegerische Künste beschäftigten seine Einbildungskraft, und mit Chemie vertraut, gab er die Konstrukzion einer dichten Gewitterwolke an, die ein künstlicher Wind über ein feindliches Heer treiben, wo sie in so viel Blitzen niederwärts sich entladen sollte, als das Heer Köpfe zähle. Anmaaßend, wie es unerfahrner Jugend wohl eigen ist, hatte er, ohne seines Lehrers Darumwissen, den Entwurf nach Rom gesandt und dem Strategion zur Prüfung übergeben. Die Männer aber, welche diesen Rath bildeten, lachten allgemein, indem sie einwandten, die Gegner dürften sich ja nur sämtlich mit Ableitern versehn und der Wolke spotten. Doch setzten sie hinzu: der Jüngling möge nicht ohne gute Anlage sein, und ihm gebühre einige Aufmunterung.
Manches andere Wissen dagegen war unserm Guido noch fremd. Besonders konnte er sich immer nicht an die Geschichte ketten, weil ihm gar zu winzig und unbedeutend schien, was die vergangenen Jahrhunderte vollbracht hatten.
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