Alsdann, das ist eine Geschichte für sich. Gut. Eines Tages, weisst du, kommt ein Gent zu uns ins Geschäft und schmökert in den neuen deutschen Büchern herum und weiss halt nicht recht, was er eigentlich haben möchte. Ich sehe, er kann nicht einmal ordentlich Deutsch, ein Deutschamerikaner, mit einem Wort. Alsdann, ich sage ihm, was in einigen von den Büchern steht, soweit ich nämlich — — Weisst, es wird einem manchmal fad, und man liest in dem Zeug. — Gut, es stellt sich nachher heraus, dass dieser Kerl so eine Art Lektor in einer Filmfabrik ist, in der Fantoma Film Corporation, die ihre Zentrale hier auf Long Island hat und das Atelier drüben in Hollywood. Da ist er halt Chief Editor, wie sie das sagen. Alsdann, er ist auf der Suche nach europäischen Büchern, in denen vielleicht ein guter Filmstoff für ihn stecken könnte. Wie ich das im Gespräch bemerken tu’, fallt mir der Varietésketch ein, den du mir da geschickt hast — —“
Matelian lächelt, brüderlich ungeniert, zum erstenmal wieder: „Alsdann, denk’ ich, einer Music Hall hab’ ich den Dreck nicht verkaufen können, vielleicht dass er idiotisch genug ist für einen Film! Ich sage also dem Mister Brakenbosh, das ist der Lektor, das trifft sich gut, ich bin doch der amerikanische Generalrepräsentant für den grössten Dichter in Deutschland, selbstredend, Paul Pauer persönlich, you know, und ich habe den grössten Filmstoff sämtlicher Zeiten zum Alleinvertrieb, Riesen-Box-Office garantiert, wetten Sie Ihr süsses Leben, Mister — —“
„Box Office ist die Kasse“, sagt Matelian mit einer anderen Stimme und fällt aus dem Schmunzeln in einen trockenen Hohn. „Alsdann, natürlich wichtiger wie alles andere. — Gut, den Rest weisst du. Zufällig finden sie, dass dein Sketch eine passende Rolle für Dan Silver enthält, den einzigen namhaften Star, den das Fantoma-Studio derzeit bezahlt; es ist nämlich eine schäbige kleine Quetsche von Firma, bild’ dir nur ja keine Schwächen ein! — Der Inhalt des Zeugs, mein Lieber, hat den Leuten eigentlich nicht sehr gefallen; sie werden deine Geschichte verändern, dass dir das Sehen und Hören vergeht — — Aber der Titel: ,Blackmail‘, ist gut; der hat sie überzeugt. Ich glaub’, sie haben eigentlich mehr den Titel erwerben wollen, nimm mir’s nicht übel! — — Das ist doch Wurst, sie haben das Geld doch richtig hinterlegt, zweitausendfünfhundert Dollars für das Verfilmungsrecht, — was ein unerhört schäbiger Preis ist, übrigens, und ich hab’ ja doch eine Riesenfreude, kannst du dir denken, und ich schicke dir gleich am nächsten Samstag ein Weekend-Kabel — —“
„Und ich“, sagt Paul Pauer, „habe noch eine viel grössere Freude gehabt, du kannst die Claire fragen! Du wirst das erraten haben, es ist uns nach unserer Verheiratung eher mies gegangen; ich muss es dir ja geschrieben haben — —. Kein Erfolg und kein Erfolg und kein Erfolg, immer nur die blödsinnige Brotarbeit, du, sogar eine Zeitschrift für praktische Kaninchenzucht habe ich redigiert, den „Rammler“, den mein Schwiegervater Daberkow in Steglitz druckt, stell’ dir das vor, — und wenn einmal eine Zeitung eine Buchkritik von mir veröffentlicht hat, oder ein illustriertes Blatt ein Gedicht, das war schon ein Ereignis und eine Hoffnung, wirklich, und wir sind an so einem Abend feierlicher beieinander gesessen, in unserer Wohnung im Gartenhaus, drei Treppen, Claire und ich, und haben beraten, was wir mit den dreissig Mark anfangen sollen, ob ich die Hosen schon unbedingt brauche, oder unser kleiner Junge die Schuhe! Scheusslich, kann ich dir sagen. Man will doch — —“.
Paul Pauer hat eine lange, dünne, holländische Zigarre im Mund und beisst mit trockenen Zähnen hinein, wie immer, wenn ihm etwas nicht recht ist. Die Geschichte von seiner jungen Ehe mit Claire, die er dem Freund jetzt anvertrauen müsste, kommt ihm nicht über die Lippen; zu lange haben die beiden einander formelle Briefe geschrieben: „Es geht mir gut.“ Paul Pauer runzelt die Stirn und ärgert sich über sich selbst und beisst die arme Zigarre entzwei und macht dann doch einen schmählichen Bogen um seine und Claires intime Geschichte herum. „Man will doch“, sagt er, von Wort zu Wort vorsichtig schreitend, „einer jungen Frau, die man gern hat, ein weniger ärmliches Leben bieten. — Schau, wo doch die Claire erst Schauspielerin war und es aufgegeben hat, meinetwegen — —“.
Hier liegt die Geschichte begraben, und Josef Matelian wäre nicht, der er immer gewesen ist, der feine Instinktmensch, vor allem in Frauensachen, wenn er nicht irgend etwas merkte; allein er schweigt, wird gewiss nichts fragen. — Paul Pauer gleitet ein bisschen schwächlich ans sichere Ufer hinüber:
„Und auf einmal, stell’ dir das vor, kommt so ein amerikanisches Kabel, und du teilst mir mit: zweitausendfünfhundert Dollars, zehntausend Mark für diesen Bockmist, den Sketch! Du, und nur eine Woche später kommt dann die zweite Bescherung vom Himmel geflogen, noch schöner womöglich: mein Band Sonette, der gar nicht eingeschlagen hat, nicht zweihundert Exemplare ist der Idealist von Verleger losgeworden, für den Gedichtband — —.“
Josef Matelian macht ein verblüfftes Gesicht.
„Für den Gedichtband bekomme ich feierlichst den Mörike-Literaturpreis, wieder tausend Mark! Das ist nur so ein zweitklassiger Preis, nicht der richtiggehende Kleist-Preis, um den ich mich gleichfalls beworben hatte, was versucht man nicht alles, aber, Mensch, doch mal eine Anerkennung für das Eigentliche; das hat wohlgetan nach dem „Rammler“, kann ich dir sagen! Natürlich, und auch das Geld. Im ganzen mehr als elftausend Mark, für uns, die wir nie einen Pfennig ersparen konnten! Nicht, dass wir Schulden gehabt hätten, nein, darauf habe ich mich niemals eingelassen. Wie wir das Mordsgeld kriegen, haben wir uns zusammengesetzt, die Claire und ich, und wunderbar überlegt, was man kaufen könnte, Kleider und Möbel und Bücher und so — —. Dann kommt mir mit einemmal die Erleuchtung: nein, nicht bürgerlich Zeug zusammenkaufen, sondern alles an alles wagen, heraus aus Steglitz und all dem Dreck dieses Rammler-Lebens, wir sind noch jung und können ein Abenteuer riskieren. ,Du,‘ sage ich zu der Claire, ,wir fahren nach Hollywood, wenn dort mein Film gedreht wird‘ — —. Sie glaubt erst, ich bin meschugge, dann fällt sie mir gleich um den Hals. Der Film, das war immer mein grosser Traum — —. Ich glaube daran; das ist doch die rasche Kunst, die dem Tempo der Zeit entspricht, nicht tintene Worte auf Druckpapier. Diese kostbare Möglichkeit, einmal den Massen etwas zu sagen, an die der Bücherschreiber von heute sonst überhaupt niemals rankam! — Du, mehr will doch unsereiner von seinem Leben nicht! Ein Dichter, der das nicht möchte, auf alle wirken und allen sein Bisschen erzählen, wer ist denn der überhaupt? Die Bücher? Wenn einer sein Bestes gegeben hat, und das Buch hat das, was man einen Riesenerfolg nennt; — wieviel Exemplare werden verkauft? Hunderttausend? So viele Menschen gehen an einem mittleren Abend allein in Berlin in die Kinos, denke ich mir; einen Film, der ein bisschen Erfolg hat, sehen hundert Millionen Menschen, vielleicht! — —“
Paul Pauer schliesst ein wenig die Augen, da sieht er wieder den flammenden Broadway und den lohenden Himmel über dem Broadway, die Titel von Filmen, hellauf zwischen die Sterne geschrieben, weithin — —.
„Wir fahren nach Hollywood,“ sagt er und unterdrückt den Enthusiasmus, „weil ich das doch einmal im Leben versuchen möchte, ob das nicht geht, ob man gute Bücher nicht ohne Tinte verfassen kann, ohne Papier, ohne den ganzen Altväterhausrat des alten Gutenberg, der auch einmal abgeschafft werden muss in veränderten Zeiten — —. Denn, glaube mir, die schriftlose Dichtung kommt. Das Radio ist auf dem Wege dahin, und der Film, sie werden einander demnächst begegnen. Und ich möchte dabei sein. Das ist es. Ich halte es nicht aus in der Schublade mit der Etikette: Lyriker — —.“
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