«Wozu auch? Ich kann sehen!»
Auf dem Weg schlichen ihnen zwei, Sammy bisher nicht ins Auge gefallene Lurche entgegen.
«Hey», rief der Größere. «Da kommt Mister Klugscheiß! Er soll angeblich sehen können, nur hören und fühlen geht gar nicht!»
Er sprach Horst direkt an. «Du wirst nie einer von uns werden. Schon gar nicht, wenn du ewig an der Oberwelt rumstromerst. Du wirst immer das Findelei bleiben! Mein Familienclan lebt schon in der fünfhundertelften Generation hier! Das ist Tradition! Der Name ‹Echsenkopf› klingt sowieso viel bodenständiger, majestätischer und seriöser als ausgerechnet ‹von der Atta-Höhle›. Da ist uns einfach kein richtiger Name eingefallen, aber für dich reicht er gerade noch!» Er drehte sich zu Sammy. «Der ist nicht dein Niveau, Fremder aus Niederolpe oder so. Der hört weniger als ich, wenn ich mir drei Stalaktiten und einen Stalagmiten gleichzeitig in die Ohren stopfe. Er tastet wie ein kleines Weibchen, von seinen zwei linken Krallen will ich gar nicht reden. Wenn irgendeiner in unserer Höhle nicht von Nihil gesegnet ist, dann Horst! Es wird schon seinen Grund haben, warum jemand sein Ei loswerden wollte! Nihil kennt keine Zufälle. Nichts können, aber wilde Geschichten von Mülldeponien, Menschen und so ’n Quatsch erzählen! Das ist doch alles gelogen!»
«Nein! Es stimmt, was er sagt! Außerdem hat er mir das Leben …»
Horst packte des Katers Pfote und zog ihn schnell weiter.
«Vergiss es! Das sind Thiago Tranfunzler und Edewecht Echsenkopf, die dümmsten Tiere weit und breit. Reden immer so über mich und stehen in der Höhlenhierarchie als zweiundzwanzigoberster und dreiundzwanzigoberster Höhlenwart ganz unten, aber eben immer noch vor mir. Ich bin mit niemandem verwandt, deshalb habe ich als Einziger keinen Höhlenwartsposten bekommen. Selbst Apanachi ist da anerkannter. Sie ist zwar auch als Findelei gekommen, aber nicht so unbegabt wie ich. Mir gehen solche Sprüche zum rechten Ohr rein und zum linken wieder raus. Die werden nie erleben, was ich schon mitgemacht habe. Die Höhle ist ihre kleine Welt, da wissen sie Bescheid. Hier kennen sie die Spielregeln und glauben, sie wären überall so. An jedem anderen Ort würden diese Tiere scheitern. Ich glaube auch nicht, dass ihre Freundlichkeit dir gegenüber mit Respekt zu tun hat. Die haben Angst. Nackte Angst. Ein Tier wie dich haben die noch nie erlebt!» Er lachte. «‹Wer weiß, vielleicht ist der gefährlich? Mit solchen Leuten muss man sich gut stellen!› So denken die. Ich kann nur sagen: Hungrig sollte man dich mit Vorsicht genießen! Da kann ich ein Lied von singen!»
Sie gingen weiter, bis Sammy zwischen zwei Stalagmiten eine unübersichtliche Ansammlung von Konservendosen und Plastikbehältern erblickten.
«Was ist das denn? Ich dachte, die Deponie wäre oberirdisch.»
«Das ist nicht die Deponie! Hier wohnt Familie Rübenacker. Rüdiger, Renate und der kleinen Sergio. Die Eltern sind geniale Tüftler, und dem Kleinen hat Nihil das gleiche Talent mit ins Ei gelegt. Ich weiß aus sicherer Quelle, dass Karies Koslowski alle oberweltlichen Gegenstände von der Mülldeponie holt und von ihnen umarbeiten lässt.»
«Koslowski ist – ehrlich gesagt – gar nicht mein Typ! Und sie sind seine Komplizen?»
«Nein. Rübenackers sind völlig weltfremde Bastelolme. Die haben Spaß daran, Dinge zu verarbeiten und weiterzuentwickeln. Karies kannst du vergessen. Er hat überall seine Krallen mit im Spiel. Dagegen ist unser oberster Höhlenwart harmlos und freundlich, wenn auch einer von ihnen, mit dieser verknöcherten Atta–Höhlen–Mentalität. Die Rübenackers selbst jucken politische Fragen nicht. Denen genügt ihre Existenz.»
Sammy erblickte im Kerzenschein vor der Wohnanlage einen Grottenolm. Er saß auf dem harten Höhlenboden, hatte Kupferdrähte in den Krallen und drehte sie zusammen.
Horst fuhr fort: «Der einzige Komplize von Karies ist sein Bruder Etzel. Du erinnerst dich an den kleinen Olm in der Tempelgrotte? Der in der Nihil-Statue gesessen hat?»
«Ja.»
«Das ist Etzel. Wenn du den beiden begegnest, nimm dich in Acht. Der Einfluss von Karies ist immens, und Etzelchen tut alles für ihn!»
Immens. Welche Worte er kannte! Im Gegensatz zu den anderen Höhlenschraten wirkte er unvergleichlich weltgewandt. Schade, dass seine Artgenossen Horsts Kompetenzen nicht für fünf Kronkorken zu schätzen wussten. Sammy keuchte. Die feuchte Luft machte ihm mehr und mehr zu schaffen. Er befand sich hier unten nicht in seinem angestammten Lebensraum, sondern in einer Region dieser Erde, die für ganz andere Tiere vorgesehen war. Außerdem quälten ihn seine Wunden.
«Noch zweimal links abbiegen. In der hinteren Grotte ist meine bescheidene Behausung», meldete sich Horst zu Wort, «ich habe alles von oben mitgebracht. Hoffentlich gefällt es dir!»
Der Kater zeigte auf seinen langsam gen Pfote schmelzenden Kerzenstumpen.
Horst nickte.
«Gleich sind wir da. Halt noch ein bisschen durch. Bald können wir ein neues Feuer anzünden. Ich habe zu Hause genügend Lichtquellen. Deine Gästehütte steht daneben. Habe ich selbst gebaut. Nur für dich. Von wegen zwei linke Krallen! Du sollst dich bei mir schließlich wohlfühlen! So als erster Gast meines Lebens!»
Noch bevor sie ein zweites Mal abgebogen waren, erblickte Sammy einen unterirdischen See. Daneben eine riesige, kunstvoll gen Höhlendecke getürmte Ansammlung verrosteter Kronkorken und Konservendosen. Auf einer Holzliege lag ein Olm in etwas, das entfernt an einen Badeanzug erinnerte. In der rechten Kralle einen Becher, den er just in diesem Moment erhob.
«Prost, Karies! Auf deine kostbare Wertmittelsammlung! Möge sich ihre Größe und Bedeutung mit Nihils Gnade ins Unermessliche steigern!»
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