»Ich nehme kein Geld«, sagte Kauz.
Die Brüder sahen ihn verdutzt an.
»Ihr müsst wissen«, erklärte Kauz, »ich stehe immer noch auf der Lohnliste des Kantons Zürich.« Es gab noch einen weiteren Grund, kein Honorar anzunehmen, aber den sprach er nicht aus: Er wollte nicht unter Erfolgsdruck kommen. »Für den Augenblick habe ich andere Forderungen.«
»Welche?«
»Freien Zugang zum Hotel und zum Sporthaus Steffen. Zum Speisesaal, zum Restaurant, zum Spa, zu allem. Zu den Kursen, zur Werkstatt, zum Kursbüro. Und zum ganzen Personal.«
»Natürlich, das ist doch selbstverständlich.«
»Eben. Das Bilderkratzen lässt ja eher an Insider denken. Ich nehme also euer Personal unter die Lupe. Vielleicht auch Gäste«, meinte er und schaute Matteo an. Der verzog das Gesicht, hob die Hände und gab damit zu verstehen, dass er da seine Bedenken habe. »Keine Sorge«, griff Kauz den unausgesprochenen Einwand auf, »ich mache das diskret. Eventuell muss ich mich auch in der Nachbarschaft, im Dorf, vielleicht im ganzen Goms umhören.«
Wieder wechselten die Brüder Blicke. »Das wäre ganz in unserem Sinn«, sagte Matteo. »Vorausgesetzt, du gehst auch dabei diskret vor«, lachte er. »Ich meine, dass du nicht gleich jedem unter die Nase reibst, dass wir dich schicken.«
»Ihr schickt mich nirgendwohin, damit das klar ist«, sagte Kauz. Und das war nur halb im Scherz gemeint. »Ich gehe nach eigenem Ermessen vor.« Nach einer kurzen Pause sagte er: »Also, die Neider sind das eine. Aber was gibt es für Leute, die sich aus irgendeinem Grund über euch ärgern? Wer fühlte sich von euch schlecht behandelt? Wem seid ihr in die Quere gekommen?«
Die Zwillinge sahen sich an. Dann packten sie aus.
Nach einer Stunde hatte Kauz einiges über große und kleine Konkurrenten im Gommer Sport- und Hotelgeschäft, über engstirnige Gemeinderäte, frustrierte Umweltschützer, verärgerte Landwirte und über Nachbarn erfahren, die sich durch den Familienbetrieb Steffen beeinträchtigt fühlten. Kauz erkundigte sich auch nach dem Instruktoren-Team. Carlo ging mit ihm die Skilehrer durch. Zu fast allen, den Einheimischen wie den Üsserschwiizern , bestehe ein ungetrübtes Verhältnis, war sein Fazit. Aber die Reihe war noch unvollständig.
»Was ist mit Björn?«, fragte Kauz.
»Ach, der tut mir leid!« Carlo schien ehrlich betroffen zu sein. »Er hat einen Zusammenbruch erlitten. Er musste seine tote Frau identifizieren.«
»Ich weiß«, sagte Kauz. »Aber wie steht ihr zueinander?«
»Nun, ich war wohl sein sportliches Vorbild. Ich glaube, er hat seine Leistungen als Spitzensportler immer an meinen gemessen.« Carlo sagte eine Weile nichts mehr und sah vor sich auf den Tisch. Dann hob er den Kopf und sah Kauz bekümmert an. »Ich glaube, dieser Kriminalinspektor – Gsponer heißt er, nicht wahr? – hat ihn im Visier. Jedenfalls interessierte er sich sehr für ihn. Muss er wohl, das liegt auf der Hand. Ich kann mir aber einfach nicht vorstellen, dass Björn irgendwem etwas zuleide tut. Er ist bärenstark, ausdauernd und hat einen eisernen Durchhaltewillen. Aber nur im sportlichen Bereich. Sonst ist er eher ein Softie.« Carlo lächelte müde. »Er hat ein viel zu weiches Herz. Er kann nicht Nein sagen. Er kann sich nicht wehren, wenn’s drauf ankommt.« Wieder schwieg Carlo. »Ich denke nicht, dass er mir oder Matteo gegenüber Ressentiments hat.«
»Und Nik?«, fragte Kauz der Vollständigkeit halber.
»Nik Holzer? Der schon«, sagte Carlo sofort. »Den habe ich jetzt glatt vergessen«, sagte er kopfschüttelnd. »Seltsam, nicht? Dabei ist er der Einzige, der wirklich welche haben könnte.«
»Ressentiments?«
»Ja, aber vielleicht täusche ich mich.«
»Wieso sollte er?«, wollte Kauz nun wissen. Denn Nik hatte mit keinem Wort Negatives über Carlo oder Matteo gesagt. Nicht einmal zwischen den Zeilen.
»Weil ich ihn eigentlich nicht mehr als Instruktor anstellen wollte«, gab Carlo kleinlaut zu.
»Und wieso nicht?«
»Er hat massiv gegen Matteos Erweiterungsbau opponiert. Das passte mir natürlich nicht. Das Baugesuch wurde dann aber doch bewilligt. Ich gebe zu, es war kleinlich von mir, ihn auszubooten.« Carlo sah aufrichtig betreten aus. »Jetzt bin ich weiß Gott froh, dass er für Fabienne eingesprungen ist. Es war übrigens Zaras Idee, ihn anzufragen.«
»Hat sie denn nichts von eurer Meinungsverschiedenheit gewusst?«
»Doch. Ich hab ihr die Geschichte mal erzählt. Ich war im ersten Augenblick auch konsterniert, dass sie Nik bat einzuspringen. Aber damit hat sie hat mir ja aus der Patsche geholfen. Sie ist eine Perle. Obwohl …«
»Was?«
»Na ja, du sieht ja selbst, was für ein Gesicht sie die ganze Zeit macht.« Carlo zog seine Mundwinkel mit beiden Zeigefingern nach unten. »Sie ist nicht unfreundlich zu den Kunden. Nur nicht gerade ein Ausbund an Herzlichkeit. Aber sie hat wirklich alles im Griff, das ist die Hauptsache.«
»Hast du eine Ahnung, warum sie so missmutig wirkt?«
»Nicht wirklich. Einmal hat sie Andeutungen gemacht, sie habe etwas Schlimmes erlebt. Aber dann wollte sie doch nicht darüber reden.«
»Ach ja?«
»Vielleicht fehlt ihr auch ganz einfach ein Mann«, lachte Carlo. »Oder was meinst du, Matteo?« Er warf seinem Bruder einen Blick zu.
Matteo verdrehte die Augen. Fang nicht schon wieder damit an, sollte das wohl bedeuten.
»Hmm«, machte Kauz, »meinst du?« Er tat, als habe er den Blickwechsel nicht gesehen. »Wohnt sie hier im Hotel?«
»Nein, die Personalzimmer sind für das Hotelpersonal. Zara ist wie die Instruktoren privat untergebracht. Sie wohnt in der Brummelmatte, nicht weit von hier. Wieso fragst du?«
»Nur so«, sagte Kauz. »Und was ist mit Noldi?«
»Der ist auch Gold wert. Unser Mann für alles, seit vielen Jahren. Vielleicht ein einfaches Gemüt, aber eine treue Seele. Er war schon unserem Vater eine Stütze.«
Kauz hatte fürs Erste genug gehört.
Höchste Zeit für Max, dachte er, als er sich von den Brüdern verabschiedete. Der Hund freute sich riesig, als sein Herrchen nach Hause kam. Kauz beschloss, ihn ausnahmsweise auf die normale Loipe mitzunehmen. Es hatte aufgehört zu schneien, doch das Wetter war immer noch nicht sehr einladend. Bestimmt war kaum jemand unterwegs.
Und so war es auch. Nur bei der Brücke am Dorfrand standen ein paar einzelne Langläufer.
Kauz versuchte, Max beizubringen, auf dem Winterwanderweg zu laufen. Es gab Loipenstrecken, die zum Wanderweg mehr oder weniger parallel verliefen und ihn manchmal sogar kreuzten. Das machte er sich jetzt zunutze. Den Wanderweg selbst kannte der Hund bereits, Kauz war oft genug mit ihm darauf marschiert, als noch wenig oder gar kein Schnee lag. Bald hatte Max begriffen, dass er an den Kreuzungen auf Kauz warten musste, wenn die Strecke bergauf führte. Und dass Kauz auf ihn wartete, wenn es bergab ging.
Ein einziger Langläufer meckerte: »Also wirklich!«, rief er, »das ist doch keine Hundeloipe!«
Kauz winkte ihm zu, als habe er ihn freundlich gegrüßt.
Nach zwei Stunden war er wieder im Speicher. Er hatte es sich eben gemütlich gemacht, da klingelte sein Handy. Auf dem Display sah er, dass es Ria war.
»Hör zu, Chüzz «, sagte Ria ziemlich kurz angebunden. »Kannst du morgen kurz auf den Posten kommen?«
»Wozu?«, fragte Kauz erstaunt. Es klang nicht nach einer Einladung zum Kaffeeklatsch. Ihm fiel ein, dass Gsponer gar nicht aufgetaucht war. Erwartete der tatsächlich, dass er ihm die Kamera hinterhertrug?
»Es ist was Blödes passiert: Es liegt eine Anzeige gegen dich vor. Tut mir wirklich leid, aber wir müssen dich dazu befragen.«
Das gibt’s doch nicht!, dachte Kauz. »Etwa von einem gewissen Herrn Hinz?«, fragte er lachend.
»Genau. Du weißt also davon?«
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