»Mein Vater, jetzt kommen die Schiffe des Feindes. Meine Städte hat er schon verbrannt und Unheil inmitten des Landes angerichtet. Weiß mein Vater nicht, dass alle Soldaten des Herrn, meines Vaters, im Lande Hattu sich aufhalten, und all meine Schiffe im Lande Lukku sich aufhalten? Bislang sind sie nicht eingetroffen, und das Land liegt so da. Mein Vater möge dies wissen! Nun mehr, sieben Schiffe des Feindes (sind es), die herankommen, aber Übles hat er uns angerichtet. Nunmehr, wenn Schiffe des Feindes wiederum auftauchen, so schicke mir, wenn irgend möglich, Bescheid, damit ich informiert bin.« 2
Der Brief, der auf einer Tontafel geschrieben wurde, die in einem Ofen der Schreibstelle des Königspalastes gebrannt werden sollte, erreichte nicht mehr seinen Adressaten. Er wurde erst im 20. Jahrhundert bei Grabungen im Ruinenhügel Ras-eš-Šamra zutage gefördert und bezeugt die dramatische Situation des Königreichs. Da die Schreibtafel im Brennofen gefunden wurde, lässt dies nur den Schluss zu, dass der Königstempel von Ugarit von den Schreibern entweder am selben Tag oder kurz darauf fluchtartig verlassen wurde, was nur mit einem Angriff der Seevölker auf Ugarit und dessen Zerstörung in Zusammenhang stehen kann.
Die Tatsache, dass sieben Schiffe ausgerechnet Ugarit angriffen, als die ugaritische Flotte gegen das Piratenvolk der Lukkaner kämpfte, kann kein Zufall sein. Vielmehr erhärtet sie den Verdacht, dass die Angreifer von der Wehrlosigkeit der Levantestadt wussten, die ihrem Ansturm später erlag.
Doch was war der Grund für diese plötzlichen Raubzüge? Was hatte das Gefüge der Alten Welt dermaßen erschüttert, dass sie aus den Fugen geriet? Die Antwort beruht auf einem Zusammenspiel mehrerer Faktoren.
Ende des 13. Jahrhunderts v.Chr. kam es im östlichen Mittelmeergebiet zu einer langen Dürre. Diese führte zu einer Hungersnot, die zahlreiche Volksgruppen aus der Ägäis und Thrakien zum Aufbruch aus ihrer Heimat nötigte. Ihr Weg führte sie in das Hethiterreich (in Kleinasien), das ebenfalls unter der Hungersnot litt und zu dieser Zeit von einem Aufstand mehrerer Provinzfürsten gegen den König zerrüttet wurde.
In dieser Situation wurde Ägypten zum Zünglein an der Waage. Das Pharaonenreich trotzte dank der Fruchtbarkeit des Niltals der Hungersnot und exportierte sogar Getreide in die von Hunger bedrohten Gebiete. Die Transporte des Pharaos gingen über Mukiš in Nordsyrien nach Uru in Kleinasien und von dort mit Hilfe von Karawanen nach Hattuša. Aber mit Getreidelieferungen allein war dem Hethiterreich, das Ägypten seit Jahrzehnten im Austausch gegen Gold und Getreide mit Silber und Erzen beliefert hatte, nicht mehr zu helfen. Von allen Seiten angegriffen, brach es nach mehrjährigen Kämpfen zusammen. Mit der Zerstörung des Hethiterreichs spitzte sich die Lage zu. Siegesgewiss überrannten die Seevölker den Alten Orient und besiegten die hethitischen Vasallen Kizzuwatna, den syrischen Stadtstaat Karkemiš sowie das Königreich Alashya. Unter dem Druck ihrer Angriffswellen wechselte das südlich von Ugarit gelegene Königreich von Amurru die Seite und schloss sich ihnen an.
Nun konnte der Angriff auf Ägypten beginnen, das in der Vorstellung der Seevölker das gepriesene Land war, in dem es reiche Städte und Tempel sowie ausreichend Nahrung gab. Doch das Nilreich hatte große Erfahrung in der Abwehr von Piratenüberfällen und Invasionen.
Schon 1385 v. Chr. war das damals unter ägyptischer Oberhoheit stehende Zypern mehrmals Opfer von Angriffen seeräuberischer Lukkaner geworden. Auch Pharao Ramses II. hatte sich genötigt gesehen, zu Beginn seiner Regierungszeit das Piratenvolk der Serden zu züchtigen, das sich nicht davor gescheut hatte, Unterägypten mehrmals zu überfallen. Aber Ramses II. war nicht nur ein hervorragender General, sondern auch ein guter Admiral, wie die Inschrift einer Stele in Assuan belegt:
»Ramses II. überquerte mit seiner Macht den Ozean und die Inseln inmitten waren voller Furcht vor ihm. Sie kamen zu ihm mit den Tributen ihrer Fürsten und sein machtvolles Ansehen hatte ihre Herzen ergriffen. Aber Serden mit rebellischen Herzen konnte man seit jeher nicht bekämpfen, wenn sie machtvoll mit Kriegsschiffen auf dem Meer segelten. Dann konnte man nicht vor ihnen bestehen. Er aber nahm sie gefangen als Siegesbeute durch seinen starken Arm und überbrachte sie Ägypten.« 3
Mit der Ansiedlung der Serden in Ägypten bewies Ramses II. politische Weitsicht, auch wenn damit die Piratengefahr für das Pharaonenreich noch nicht vorbei war. 1220 v. Chr. sah sich sein Sohn und Nachfolger Merneptah genötigt, eine schwere Schlacht gegen eine Koalition von libyschen Stämmen und Seevölkern zu schlagen, die diese mehrere Tausend Mann kostete.
Aber dies alles stand in keinem Verhältnis zur Gefahr, der sich Ramses III. im achten Jahr seiner Regierung gegenübersah. 4Diesmal hatten die Seevölker wieder einen Raubbund auf den »Inseln inmitten des Meeres« gebildet. Dort hatten sie eine große Flotte zusammengezogen, während ein Landheer von mehreren Tausend Seevölkerkriegern sich im Land Amurru südlich des Reiches von Ugarit sammelte. Unter einem schwachen Herrscher wäre die Lage des Pharaonenreichs aussichtslos gewesen. Ramses III. war jedoch ein guter General. Drei Jahre zuvor hatte er im westlichen Nildelta ein libysches Heer aufgerieben. Dies gab ihm die nötige Zuversicht, einem feindlichen Angriff zu Lande wie zu Wasser siegreich begegnen zu können.
»... Ich habe veranlasst, die Nilmündung zuzurüsten wie eine gewaltige Mauer aus Kampfschiffen, Lastschiffen und gewappneten Transportschiffen, wobei sie vollständig ausgerüstet waren von Bug bis Heck mit starken Kampfeinheiten unter Waffen. Die Mannschaften waren all die Auserlesenen Ägyptens und sie waren wie die Löwen, wenn sie auf ihren Bergen gebrüllt haben; die Streitwagentruppen wurden gestellt von Kampfläufern, von Waffenträgern und von ausgezeichneten Streitwagenrittern, die ihre Hand zu führen wussten – ihre Pferde vibrierten in allen Gliedern, gewappnet, die Barbarenländer niederzutreten unter ihre Hufe.« 5
Begreift man das Steinrelief, das an der Ostseite von Ramses’ III. Totentempel Medinet Habu die entscheidenden Phasen der Schlacht veranschaulicht, als chronologische Abfolge, so vernichtete der Pharao zuerst das Landheer der Eindringlinge im Lande Djahi, bevor er die Flotte der Seevölker auf dem Nildelta überraschte.
Wer heute die Ausschnitte des Steinreliefs von Medinet Habu betrachtet, der bekommt ungefähr eine Ahnung davon, was sich damals vor der ägyptischen Küste abspielte. An jenem Tag der Seeschlacht sah Ramses III. die einmastigen Barken der Piraten in die Nilmündung einfahren. Vogelköpfe zierten ihre hochgezogenen Vorder- und Hintersteven, zwischen denen sich Scharen verwegener Krieger unter Rahsegeln zusammendrängten. Zu ihnen zählten Šekeleš mit Hörnerhelmkappen, Peleset mit Federhauben und Riemenpanzern sowie räuberische Serden 6, Tjeker, Danuna und Wešeš. Gerüstet waren die Angreifer mit bronzenen Langschwertern, Dolchen, Lanzen und Wurfspießen. Auf erhobenen Plattformen an Bug und Heck standen die Anführer. In Erwartung sicherer Beute gaben die Piratenhäuptlinge ihren Steuermännern den Befehl, ihre Schiffe dem Ufer zuzusteuern. Dort erwarteten das ägyptische Fußvolk und ein Teil der Flotte des Pharaos ihre Landung.
Waren diese Einheiten der Köder, den Ramses III. bewusst ausgelegt hatte? Jenes »Netz, in dem sich die Gegner verfingen«, wie später die Siegesinschrift von Medinet Habu den Nachkommen des Siegers stolz verkünden sollte? Oder hielten sich die Einheiten der ägyptischen Flotte in einem der Nilarme versteckt, um den Feind in die Falle zu locken? Aus den Abbildungen und erläuternden Texten geht dies nicht klar hervor. Nur eines steht fest: Der Angriff der ägyptischen Flotte erfolgte von zwei Seiten und überraschte die Invasoren.
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