2 jede freiwillige Beteiligung am Einsatz eines Schiffes oder Luftfahrzeugs in Kenntnis von Tatsachen, aus denen sich ergibt, dass es ein Seeräuberschiff oder -luftfahrzeug ist;
3 jede Anstiftung zu einer unter Buchstabe a oder b bezeichneten Handlung oder jede absichtliche Erleichterung einer solchen Handlung.«
Diese auf den ersten Blick saubere Definition bietet nicht nur Lösungen, sondern schafft auch Probleme. Die meisten Seeräubereien fanden oder finden nicht auf hoher See, sondern in Territorialgewässern statt – also innerhalb der staatlichen Hoheitszone von 12 Seemeilen (22 Kilometer) –, wo der Begriff der Piraterie seit 1982 keine Anwendung mehr findet. Schiffsüberfälle, die innerhalb der Territorialgewässer begangen werden, werden juristisch als bewaffneter Raub zur See gewertet und unterliegen der strafrechtlichen Ahndung und Rechtsprechung des betroffenen Nationalstaats. Des Weiteren finden sich zusätzliche Einschränkungen, die jenseits des Begriffs der Territorialgewässer den Aspekt der hohen See noch mehr eingrenzen. Auf diese juristischen Spitzfindigkeiten wie die gesonderten Bestimmungen zu Archipelgewässern, Anschlusszonen oder Festlandssockeln soll an dieser Stelle nicht eingegangen werden. Elementar für das Konzept des Buches ist der in Artikel 101 des Seerechtsübereinkommens der UNO enthaltene Passus, dass unter Piraterie grundsätzlich ein Delikt verstanden wird, das durch eine private Person mithilfe eines privaten Schiffes zu privaten Zwecken – gemeint ist die persönliche Bereicherung – begangen wird.
Das führt zur Frage, warum in diesem Buch neben somalischen und indonesischen Piraten scheinbar ausgewiesene Freibeuter und Kaperer wie die Barbaresken oder Bukanier auftauchen. Hierzu ist es notwendig, auf die verschiedenen Formen von Seeraub einzugehen. Das Mittelalter und die frühe Neuzeit kannten ein Nebeneinander von staatlich legitimiertem und privatem Seekrieg. Infolge des Mangels von staatlichen Marinen wurde die Seekriegsführung oft an privatwirtschaftlich organisierte Kriegsleute übertragen, die mit der Erlaubnis eines Souveräns als Parteigänger agierten. Im Englischen hießen sie »Privateers«, im Französischen »Corsaires«. Jene Privateers oder Corsaires rüsteten entweder ihre Schiffe selbst zur Kriegsfahrt aus oder wurden von professionellen Ausrüstern, den Armateuren, ausgerüstet, bevor sie auf Beutefahrt gingen. Dieses Phänomen war auch in Deutschland bekannt. Auf Deutsch nannte man Kaperfahrer erst »Utligger« (Auslieger), dann Freibeuter.
Im Gegensatz zu dieser Art maritimer Fehdehilfe beziehungsweise staatlich legitimierten Seeraubs standen die Seefahrer, die auf den Wogen des Meeres auf eigenes Risiko raubten. Sie waren Seeräuber, rechtlos, und lebten in ständiger Gefahr, bei Ergreifung hingerichtet zu werden. In den Augen der Strafjustiz waren Piraten ebenso Abschaum wie Mörder und Straßenräuber. Was sie begingen, waren ehrlose und todeswürdige Verbrechen, da ihnen dem Gesetz nach die Legitimation zum Raub in Form eines Kaperbriefs fehlte.
Der Kaperbrief – auch »Letter of Marque«, »Kommission«, »Bestallungs-« oder »Markebrief« genannt – wurde eigens im Konfliktfall ausgestellt und galt nur zu Kriegszeiten. Er gab dem Parteigänger des Ausstellers im Konfliktfall die Vollmacht, feindliche Schiffe gegen eine vorher vereinbarte Abgabe an den Aussteller zur Kriegsbeute zu nehmen. Außerdem verlieh er dem Kaperfahrer Schutz vor strafrechtlicher Verfolgung durch die feindliche Macht. Im Normalfall bewahrte er ihn davor, bei Gefangennahme wie ein Pirat behandelt und hingerichtet zu werden.
Doch was auf dem Papier wie eine saubere Trennung der Begrifflichkeiten aussieht, entpuppt sich bei näherer Betrachtung als unrealistisches Konstrukt. Viele Kaperfahrer erlitten den Piratentod, weil die feindliche Macht sie aus kriegstaktischen Gründen als Piraten ächtete, um sie effizienter bekämpfen zu können. Hinzu kam, dass die meisten Freibeuter oder Korsaren sich nach Kriegsbeginn nicht mehr an ihre Kaperbriefe hielten. Ohne Skrupel raubten sie die Schiffe neutraler Mächte aus. Darüber hinaus plünderten sie auch nach Kriegsende wahllos auf dem Meer weiter. Der Gegenschlag ließ nicht lang auf sich warten. Die unrechtmäßig geschädigten Untertanen wandten sich an ihren Souverän um Hilfe, der ihnen Repressalienbriefe ausstellte, mit denen sie sich wiederum an den Untertanen des Kaperbriefausstellers schadlos hielten.
Die daraus entstehende Kette von Piraterien und Repressalien ließ sich auch durch die seit 1373 in Europa auftauchenden Prisengerichte nicht mehr in den Griff bekommen. Immer wenn langwierige Seekriege ausbrachen, verwischten sich die Konturen zwischen Piraten und Kaperern. Das betraf zeitlich vor allem das Spätmittelalter und die Frühe Neuzeit, räumlich besonders das Mittelmeer, die Nord- und Ostsee sowie die Karibik. Aus diesen Gründen ist es undenkbar, ein Buch über Piratenjagd zu schreiben, ohne auch auf Korsaren, Kaperfahrer und Freibeuter einzugehen.
I
Piratenabwehr in grauer Vorzeit
Wie Vögel im Netz gefangen· Dionysos und die Räuber· Roms Sieg über die Kilikier
Wie Vögel im Netz gefangen
Am 21. Januar 1192 v. Chr. war die Bevölkerung Ugarits 1in Todesangst. Wie aus dem Nichts zog ein riesiger Schatten am helllichten Tag über die Levantemetropole und tauchte sie ins Dunkel der Nacht. Eiseskälte legte sich auf die Dächer der Stadt, die eben noch vor Hitze geflimmert hatten. Die lärmenden Gassen und Straßen wurden still, das Leben erstarrte. Fassungslos gafften die Menschen zum Himmel, wo der Kernschatten des Mondes sich langsam zwischen Erde und Sonne schob, bis er sie fast vollständig abdeckte. Gespenstische Ruhe trat ein, für einen Moment schien es, als ob die Welt stillstünde. Was die Ugariter erblickten, verschlug ihnen den Atem. Über ihnen schwebte, von einem feurigen Sonnenkranz umstrahlt, der Mond als nachtdunkle Scheibe. Panik brach aus. War das der Weltuntergang, die Strafe für die Sünden der mächtigen Stadt?
Viele wähnten sich verloren, liefen in der Dunkelheit davon. Doch der Bann des Naturspektakels dauerte nicht lang. Nach zwei Stunden Finsternis gab der Neumond wieder die Sonne frei. Der eisige Schatten verflog und wurde kürzer. Die Kälte wich der Helligkeit und Hitze des Tages. Fast schien es so, als hätte das kosmische Spektakel nie stattgefunden. Trotzdem war nichts mehr wie zuvor.
Die Herzen der Ugariter hatten sich verfinstert. Zürnten die Götter ihnen? Drohte Ugarit der Untergang? Hastig opferten die Priester des Unterwelt- und Seuchengottes Reschef zwei Schafe. Dann lasen sie aus den Lebern der geschlachteten Tiere die Zukunft. Das Ergebnis war fatal. Die Seher deuteten die plötzliche Sonnenfinsternis als böses Omen und sahen die Stadt in großer Gefahr. Die düstere Prophezeiung sollte sich erfüllen. Zwei Jahre später überfielen räuberische Seekrieger die Stadt und machten sie dem Erdboden gleich.
Die Geschichtsforschung weiß bis heute nicht, wer diese Invasoren waren und welche Motive sie für ihre Kriegszüge hatten. Der französische Archäologe Gaston Maspero taufte sie jedoch im 19. Jahrhundert mit dem Namen »Seevölker«, der sich in der Folgezeit in Wissenschaft und Öffentlichkeit durchsetzte. Bis heute rätselt die Wissenschaft, woher diese Seevölker kamen, wer sie waren und welche Motive sie für ihre Kriegszüge hatten.
Was ihre ethnischen Wurzeln anbetrifft, so zeigt sich die mangelnde Präzision von Masperos Bezeichnung. Ein Teil der Seevölker wie die Peleset und Danuna kämpften sowohl zu Wasser wie zu Lande und zogen in Ochsenkarren durch die eroberten Gebiete. Der andere Teil der Seevölker bestand aus den seeräuberischen Stämmen der Šerden, Šekeleš, Tjeker und Ekweš.
Griff diese eigenartige Koalition Ugarit an? Wurde die Stadt Opfer eines Zangenangriffs vom Lande und vom Wasser aus? Die Art und Weise, wie Ugarit erstürmt wurde, lässt eher eine Seeräuberattacke als einen Eroberungszug von Land aus vermuten. Dafür spricht schon die geringe Anzahl der eingesetzten Schiffe. Doch lassen wir König Ammurapi von Ugarit selbst zu Wort kommen, der seinem »Vater«, dem König von Alashya (Zypern) seine verzweifelte Lage kurz vor dem Überfall der Zerstörer Ugarits schilderte.
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