Vor dem Auktionslokal standen Kopf an Kopf die Käufer in grosser Anzahl. Auf Seven-Oaks gab es unter den Negern keine Säufer und Diebe, das wusste die ganze Umgegend; alle Schwarzen waren getaufte Christen, guterzogene Leute, denen weder ein bescheidener Schulunterricht noch die spätere Anleitung zu allerlei Arbeiten gefehlt hatte, — man drängte sich also, um diese wertvollen Besitzstücke einander streitig zu machen. Auch Herr Neubert befand sich unter den Anwesenden, er trat zu dem langjährigen Schulfreunde seines Sohnes und begrüsste ihn voll tiefer Erschütterung.
„Mein armer Lionel, wie sehr beklage ich es heute, kein reicher Mann zu sein! Bei Gott, wenn ich über tausend Dollar zu verfügen hätte, so würde ich Ihnen die Freiheit erkaufen, aber wo nichts ist, Lionel, da hilft kein noch so guter Wille.“
Der Knabe drückte ihm dankbar die Hand. „Herr Neubert, ich weiss ja, wie gut Sie es meinen, Sir! Vielleicht schenkt mir der Himmel ein erträgliches Los!“
Der Kaufmann dämpfte seine Stimme noch mehr. „Es ist unser Friedensrichter, welcher Sie zu kaufen gedenkt, Lionel, ich weiss es. Mr. Dunkan, findet es sehr schlau und sehr begreiflich von Ihnen, dass Sie die Farm durch eine erfundene Geschichte an sich zu bringen gedachten, er meint nur, Sie hätten etwas vorsichtiger zu Werke gehen müssen, kurz, sein Urteil über Sie geht dahin: ‚Er ist ein verdammt schlauer Kopf, ein energischer Kerl, den ich mir zunutze machen werde.’ — Ob Sie da einen Betrug versucht haben oder nicht, das gilt ihm ganz gleich. Es kommt nun für Sie nur darauf an, sich mit Ihrem künftigen Gebieter so zu stellen, dass Ihre körperliche Freiheit so wenig wie möglich beschränkt wird, dass Sie zuweilen eine Abendstunde oder einen Sonntagnachmittag für sich behalten und zwar, um in mein Haus zu kommen oder mich und Hermann irgendwo zu treffen. Sie wissen, weshalb!“
Lionel wurde bald rot, bald blass. „Sie denken an die Flucht, nicht wahr, Sir?“
„Natürlich. Ich bin heute hier, um Ihnen zu sagen, dass alles unter der Hand vorbereitet wird und dass wir nicht aus der Stadt fortgehen, ohne Sie mit uns zu nehmen. In etwa vier Wochen ist, gefällt’s Gott, die Abreise möglich.“
Er schüttelte Lionel die Hand und ging. Mittlerweile hatte die Auktion begonnen. Man riss sich um die Ware, es wurden hohe Preise erzielt, das Geschrei der unglücklichen Frauen hallte von allen Punkten des Marktplatzes wider. Wer einen Knecht oder einen Arbeiter brauchte, der kaufte ihn, ohne gleich die Frau mit bezahlen zu können, wer eine Köchin suchte, der hatte vielleicht keine Gelegenheit, vier oder fünf Kinder derselben in seinem Hause unterzubringen, — und so wurden in vielen Fällen ganze Familien ohne Schonung auseinandergerissen.
Dann erschien die stattliche Gestalt des Friedensrichters, und alles machte dem gestrengen Herrn ehrerbietig Platz. Mehrere der besten Schwarzen waren für ihn ausgehoben, — niemand wagte es daher, durch neue Gebote den Preis hinaufzutreiben, man hielt sich einstweilen zurück und flüsterte nur in Gruppen miteinander.
Jetzt bestieg die alte Cassy mit gefesselten Händen den verhängnisvollen Block. In einer roten Jacke, in weisser Schürze und mit einer ungeheuren Haube auf dem Kopfe sah die erschrockene Frau komisch genug aus, ein Hagel von spöttischen Bemerkungen flog ihr entgegen. Erst als Mr. Dunkan zum Block trat, entstand allgemeines Schweigen.
„Diese vortreffliche Tante war Hofköchin von Seven-Oaks, nicht wahr, Sir?“ fragte er den Sklavenhändler. „Und man speiste da gut, ich weiss es aus Erfahrung. Sagen wir hundert Dollar, Sir!“
Der Händler lächelte gelassen. „Euer Ehren sind, wie es scheint, heute in ganz besonders heiterer Stimmung,“ sagte er.
„Weil ich mir die rotjackige Alte zulegen will? Hm, es scheint, dass das Beste schon verkauft ist. Sie haben da nur noch einige halbwüchsige Burschen, nicht wahr?“
„Zu dienen, Euer Ehren! Den jungen Menschen, von dem in diesen Tagen alle Welt spricht, den Lionel. Ein hübscher Bursche, denke ich, als Diener wie geschaffen für ein vornehmes Haus.“ Dann rief er mit lauter Stimme: „Nummer sechsundneunzig, der Sklave Lionel!“ — und als sich dieser gehorsam näherte, befahl er in herrischem Tone: „Sprich gleich einmal lateinisch, Bursche! dieser Herr gebietet es dir.“
Der Friedensrichter lachte hell auf. „Sage mir lieber, wie in Richmond deine Zeugnisse beschaffen waren, mein Bürschlein,“ bemerkte er. „In welcher Klasse sassest du?“
„In Obersekunda, Euer Ehren. Meine Zeugnisse liegen sämtlich in Seven-Oaks.“
„Schön, schön, du bist also imstande, deine Muttersprache fehlerlos zu schreiben, das ist etwas. — Nun, Mr. Brown, ich will einmal ein übriges tun. Elfhundert Dollar für Lionel und die heulende Alte da.“
„Zweitausend, Euer Ehren!“
„Keinen Cent mehr als elfhundert.“
Der Händler hob die Arme zum Himmel. „Und das für einen Sklaven, der lateinisch versteht! Hundert Dollar mehr, Euer Ehren!“
„Keinen Cent!“
Der Händler warf mit einem brutalen Stoss die alte Köchin vom Block. „Euer Ehren geben mir bei Kauf und Verkauf so manchen Dollar Verdienst,“ sagte er seufzend, „da muss ich denn heute ein Auge zudrücken. Marsch mit dir, Alte, jetzt gehörst du Seiner Ehren, dem Herrn Friedensrichter! Und du auch, Lionel. Küsst Eurem gütigen Gebieter die Hand!“
Mr. Dunkan wehrte ab. „Schicken Sie mir das Frauenzimmer ins Haus, Sir! — Du kommst mit mir, Lionel, ich will dir deine Instruktion jetzt gleich erteilen.“
Lionel ging schweigend neben seinem Gebieter durch die Strassen und musste sehen, dass aus allen Fenstern die Leute ihn angafften, als sei er ein wildes Tier, das der Marktschreier zur Schau stellt.
„Mein Schreiber sollst du werden, Lionel,“ sagte der Friedensrichter. „Für die Morgenstunden brauche ich dich im Büro, nachmittags wird dir Mrs. Dunkan diese und jene Beschäftigung im Hause anweisen. Wie du dich bettest, so schläfst du natürlich! Sind meine Schwarzen gehorsam und fleissig, so haben sie es gut, ich gebe ihnen dasselbe, was meine Tiere erhalten, ausgiebige Verpflegung, warmes, trockenes Unterkommen und gütige Behandlung, — im entgegengesetzten Falle tüchtige Peitschenhiebe. Weisst du nun, wie die Dinge stehen?“
„Ja, Euer Ehren!“
„Gut, dann trachte, dir meine Zufriedenheit zu erwerben. Für heute kann dich Mrs. Dunkan ganz allein behalten, ich habe noch eine Fahrt über Land.“
Das grosse Haus, welches er in einer freiliegenden, neueren Strasse der Stadt bewohnte, war jetzt erreicht, und der würdige Friedensrichter betrat die Vorhalle, um seinen eben gekauften Sklaven zuerst den verschiedenen Familiengliedern vorzustellen. Noch ehe das eigentliche Erdgeschoss sie aufnahm, tönte schon eine gereizte Frauenstimme den Ankommenden entgegen. „So, Dunkan, also du hast den Sklaven doch gekauft? Du hast es getan, obgleich ich dir dringend abriet?“
Der Friedensrichter räusperte sich mehrere Male. „Meine liebe Mary,“ versetzte er, „du brauchst von dem jungen Menschen keinerlei Notiz zu nehmen, du —“
„Komm herein, Dunkan, komm herein! Ich will dir zum zwanzigsten Male auseinandersetzen, weshalb der Sklave in unserem Hause nicht bleiben darf. Vielleicht wirst du dann doch endlich auf meine Worte hören.“
Der Friedensrichter verschwand eiligst; er wünschte gewiss lebhaft, die Auseinandersetzung mit seiner erzürnten Gemahlin den Ohren Lionels zu entziehen; ohne eine Silbe der Erklärung oder weiterer Befehle liess er den jungen Menschen stehen und ging davon.
Kaum eine halbe Minute später erschien die Dame des Hauses auf dem Flur, eine blasse, kränkliche Frau mit vergrämtem Gesicht und tiefliegenden Augen. „Was machst du hier?“ rief sie heftig. „Sklaven haben in der Vorhalle nur zu erscheinen, wenn sie gerufen werden.“
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