Zum Maß der Eigenverantwortlichkeit und Inanspruchnahme überörtlicher Hilfe führt das OVG Nordrhein-Westfalen am 16. Mai 2013 (Az.: 9 A 198/11) aus, »dass die gemeindlichen Feuerwehren in der Lage sein müssen, die Gefahren zu bekämpfen, die unter Berücksichtigung der örtlichen Verhältnisse erfahrungsgemäß auftreten können. Hieraus ergibt sich aber nicht, dass jede bei dieser Gefahrenbekämpfung möglicherweise anfallende Tätigkeit durch eigenes Personal der gemeindlichen Feuerwehr mit eigenen Mitteln erbracht werden muss. Bei genauer Betrachtung geht die Regelung […] angesichts der Vorgabe ›den örtlichen Verhältnissen entsprechend‹ vielmehr davon aus, dass die örtliche Feuerwehr nicht in der Lage sein muss (und kann), auf jede denkbare Gefahr mit eigenen Mitteln zu reagieren.«
Eine gemeindeübergreifende Zusammenarbeit in allgemeinen kommunalen Angelegenheiten sowie auch speziell im Feuerwehrbereich kann unterschiedliche Formen und Stufen annehmen, vgl. Bild 19.
Bild 19: Formen und Stufen der gemeindeübergreifenden Zusammenarbeit
Zunächst ist jede Gemeinde selbst für die Sicherstellung des örtlichen Brandschutzes und der örtlichen Hilfeleistung zuständig (vgl. a) in Kapitel 4.6.1). In einigen Bundesländern haben sich Gemeinden zu Gemeindeverbänden (oder Ämtern) zusammengeschlossen, von denen auch eine gemeinsame Feuerwehr betrieben werden kann.
Die niedrigste Stufe gemeindeübergreifender Unterstützung ist die in allen Feuerwehrgesetzen der Länder vorgesehene nachbarschaftliche Hilfe im Einsatzfall (auch: Überlandhilfe nach § 26 FwG BW, gegenseitige Hilfe nach § 39 BHKG, Nachbarschaftshilfe nach § 2 Abs. 3 BrSchG LSA). Die Inanspruchnahme der Nachbarschaftshilfe beschränkt sich jedoch auf Einzelfälle und kommt spontan bei konkreten Einsatzlagen zum Tragen. Mit der Nachbarschaftshilfe im Einzelfall wird daher kein grundsätzliches Bedarfsdefizit einer Kommune ausgeglichen.
Geht eine nachbarschaftliche Hilfe regelhaft über den Einzelfall hinaus, ist die eingangs beschriebene »klassische« interkommunale Zusammenarbeit anzustreben, bei der in der Regel eine öffentlich-rechtliche Vereinbarung unter den beteiligten Kommunen geschlossen wird. Im Rahmen der interkommunalen Zusammenarbeit können Versorgungslücken von Nachbargemeinden planerisch abgedeckt werden (z. B. eingeschränkte Tageseinsatzbereitschaft, Vorhaltung von Spezialgerät, gemeinsame Beschaffungen von Fahrzeug- und Gerätetechnik). 27 Die bloße »nachbarschaftliche Hilfe« reicht hierzu jedoch nicht aus. Hier bedarf es einer ausdrücklichen Regelung und verbindliche Absprachen zwischen den Kommunen, die ohnehin auch in eine gemeindeübergreifende Alarm- und Ausrückeordnung (AAO) umgesetzt werden muss.
Im Saarland ist sogar gesetzlich ausdrücklich vorgesehen, dass die Planungsausschüsse auf Landkreisebene bzw. für das Gebiet des Regionalverbandes Saarbrücken prüfen, ob die Möglichkeiten der interkommunalen Zusammenarbeit ausgeschöpft sind (vgl. § 3 Abs. 2 SBKG).
In einigen Bundesländern existieren »Feuerwehren mit besonderen Aufgaben« (zum Beispiel in Mecklenburg-Vorpommern gemäß § 9 Abs. 1 BrSchG) oder Stützpunkt- bzw. Schwerpunktfeuerwehren (zum Beispiel in Niedersachsen gemäß FwVO), die aufgrund ihrer Ausstattung die Brandbekämpfung und Hilfeleistung auch überörtlich gewährleisten können. Die vorteilziehenden Gemeinden haben sich an der Finanzierung der Ausstattung zu beteiligen. Die Einstufung als »Feuerwehr mit besonderen Aufgaben« nimmt gemäß § 3 Abs. 2 Nr. 3 BrSchG der Landkreis vor.
Die Zuständigkeit für den überörtlichen Brandschutz und die überörtliche Hilfeleistung obliegt gemäß den Feuerwehrgesetzen der Länder den Landkreisen (vgl. b) in Kapitel 4.6.1). Demnach hält der Kreis Einheiten, Einrichtungen und Fahrzeug- und Gerätetechnik vor, deren Vorhaltung für die kreisangehörigen Gemeinden entweder zu teuer und unwirtschaftlich wäre oder bei denen sich auf Kreisebene ein nicht unerheblicher Rationalisierungseffekt ergibt. Eine Koordinierung der über den eigenen kommunalen Bedarf hinausgehenden Ressourcen auf Kreisebene erfüllt den Grundsatz der Gefahrenabwehrplanung nach einheitlichen Maßstäben (vgl. Planungsgrundsätze in Kapitel 4.2). Selbst wenn gesetzlich keine Kreisfeuerwehr im engeren Sinne zulässig ist, sind durchaus kreisweite und regionale Feuerwehrbedarfsplanung denkbar. Eine intensive Koordinierung der überörtlichen Planungen durch die nächsthöhere Verwaltungsebene ist aus diesen Gründen von besonderer Bedeutung.
Bei aller gemeindeübergreifenden Zusammenarbeit darf jedoch nicht unberücksichtigt bleiben, dass die einzelnen Gemeinden in der Lage sein müssen, sich selbst zu helfen, wenn beispielsweise durch eine Flächenlage alle Gemeinden in der Region ihre eigenen Ressourcen benötigen/im Einsatz haben. Zudem birgt die interkommunale Zusammenarbeit die Gefahr des »Free-Riding-Verhaltens« (Trittbrettfahren auf den Kosten der Nachbarkommunen) (vgl. Wolter, 2011, S. 129 f), bei dem sich einzelne Gemeinde darauf verlassen, dass die Nachbarkommunen die notwendigen Vorkehrungen und Anschaffungen tätigen, und sich somit mit Investitionsentscheidungen zurückhalten.
3.12 Fortschreibung von Feuerwehrbedarfsplänen
Die Stadt- und Gemeindeentwicklungen, die Risikosituationen und die demographischen Strukturen unterliegen kontinuierlichen Veränderungen. Sie stellen keine statischen Situationen, sondern dynamische Prozesse dar, die niemals abgeschlossen sind. Auch die Struktur der Feuerwehr muss sich stetig an die Entwicklung der Stadt oder Gemeinde anpassen. Damit ist auch ein Feuerwehrbedarfsplan kein statisches Dokument, das einen finalen Endzustand der Feuerwehr darstellt. Vielmehr zeigt der Feuerwehrbedarfsplan seinem Wesen nach stets eine Entwicklung auf, welche sich auch in der in Hessen und Saarland verwendeten Bezeichnung »Bedarfs- und Entwicklungsplan« wiederspiegelt (vgl. Kapitel 3.1) und die fortlaufend an die örtlichen Gegebenheiten anzupassen sind.
Ein Feuerwehrbedarfsplan ist daher regelmäßig oder bei erheblichen Veränderungen der örtlichen Verhältnisse fortzuschreiben. In manchen Bundesländern ist diese Fortschreibung gesetzlich vorgegeben (vgl. Tabelle 1). Zusätzlich können zur Bewilligung von Förderzuschüssen oder im aufsichtsbehördlichen Verfahren 28 ein auf aktuellem Stand gehaltener Feuerwehrbedarfsplan Voraussetzung für positive Bescheide sein. Die Formulierungen »regelmäßig« und »erhebliche Veränderungen« verstehen sich als unbestimmte Rechtsbegriffe, die einer konkreten Auslegung durch die Verantwortlichen bedürfen und einen gewissen Ermessensspielraum eröffnen.
Regelmäßige Fortschreibung
In der Praxis hat sich unter ›regelmäßig‹ ein Zeitraum von fünf bis zehn Jahren etabliert. In einigen Bundesländern gibt es konkret vorgeschriebene oder empfohlene Fortschreibungsfristen (vgl. Tabelle 1), an denen sich auch Kommunen in Bundesländern ohne Fortschreibungsvorgaben orientieren können. Alternativ kann sich auch an den Fortschreibungsfristen von gegebenenfalls parallel fortzuschreibenden Rettungsdienstbedarfsplänen oder an den Legislaturperioden der Kommunalparlamente orientiert werden.
Ein regelmäßiges Zeitintervall für die Fortschreibung eines Feuerwehrbedarfsplans ist in jedem Fall nicht zu groß zu wählen, um rechtzeitig auf sich abzeichnende Versorgungsdefizite oder Überschusssituationen angemessen reagieren zu können. Der Zeitraum bis zur nächsten Fortschreibung ist aber auch nicht zu klein zu wählen, so dass die Maßnahmen aus der vorhergehenden Version des Bedarfsplans auch umgesetzt werden und Wirkung entfalten können. In Hessen wurde daher die Fortschreibungsfrist nach § 2 Satz 1 der Feuerwehr-Organisationsverordnung (FwOV) nach In-Kraft-Treten ihrer Überarbeitung im Jahr 2014 von fünf auf zehn Jahren heraufgesetzt, da in der Regel innerhalb von fünf Jahren keine so erheblichen Veränderungen in den Kommunen stattfinden, dass sie den Aufwand der Fortschreibung alle fünf Jahre erfordern 29 .
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