»Trotz bundesweit jährlich über einer Million Feuerwehreinsätze (ohne Fehl- und Rettungsdiensteinsätze) sind bislang wegen nicht eingehaltener Hilfsfristen noch in keinem einzigen Fall Rechtsansprüche geltend gemacht oder staatsanwaltschaftliche Ermittlungs- oder Strafverfahren eingeleitet worden. Bereits hieraus wird deutlich, dass für die kommunalen Aufgabenträger der Feuerwehren im Hinblick auf mögliche Haftungsfolgen kein Grund zur Besorgnis besteht.
Eine persönliche Haftung von Amtsträgern kommt ausschließlich bei grob fahrlässigem oder vorsätzlichem Verhalten in Betracht. Sofern die verantwortlichen Amtsträger in den Kommunen eine begründete und nachvollziehbare Entscheidung darüber getroffen und dokumentiert haben, welche Einsatzorte – als Ausnahme von der Regel – nicht innerhalb der gesetzlichen Regelhilfsfrist erreicht werden können, liegt keine grob fahrlässige oder gar vorsätzliche Amtspflichtverletzung vor. Die Vornahme eines solchen Abwägungsprozesses ist zumutbar und überfordert die Verantwortungsträger in keiner Weise.
Nach alledem besteht für die verantwortlichen Personen – gemessen an anderen straf- oder haftungsrechtlich relevanten Amtsaufgaben (z. B. Wahrnehmung der Gesamteinsatzleitung nach § 20 HBKG, Schusswaffengebrauch von Polizeibeamten, Bearbeitung abwasser- oder abfallrechtlicher Verfahren im Umweltbereich) – kein erhöhtes straf- oder zivilrechtliches Haftungsrisiko.«
Dennoch hat der Rat der Stadt oder Gemeinde eine große Verantwortung beim Beschluss eines Feuerwehrbedarfsplans. Ein fehlerhaft aufgestellter Bedarfsplan kann nicht nur ein haftungsrechtliches, sondern auch fachliches Risiko darstellten: Die heute in einem Bedarfsplan getroffenen (Fehl-)Entscheidungen zur Struktur der Feuerwehr können sich mitunter erst Jahre später auf ihre Leistungsfähigkeit auswirken (vgl. Kapitel 4.4).
Eine Pflichtverletzung allein löst jedoch noch keine Haftung aus. Erst wenn ein Sach- oder Personenschaden eintritt, der kausal mit einer fehlerhaften Feuerwehrbedarfsplanung in Zusammenhang steht (z. B. durch außerhalb des zulässigen Gestaltungsspielraums festgelegter Planungsziele) und mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit durch ein pflichtgemäßes Aufstellen der Feuerwehr hätte vermieden werden können, könnten Schadensersatzansprüche Dritter in Betracht kommen (Schadensersatzpflicht nach § 823 BGB), für die grundsätzlich die Gemeinde, nicht die handelnden Amtsträger haften (Amtspflichtverletzung nach § 839 BGB in Verbindung mit Art. 34 GG).
Eine Pflichtverletzung kann dabei auch durch Unterlassen von Maßnahmen wie etwa die Nicht-Aufstellung oder Nicht-Ausrüstung von Feuerwehren in dem erforderlichen Umfang vorliegen. Eine Pflichtverletzung durch Unterlassen ist in der Praxis jedoch schwierig nachzuweisen, da eine Kausalität zwischen dem eingetretenen Schaden nur hypothetisch ermittelt werden kann. Ein fehlerhaft aufgestellter Feuerwehrbedarfsplan, der folgerichtig zu einem fehlerhaften Ratsbeschluss geführt hat, eröffnet die Eingriffsmöglichkeit der Rechtsaufsichtsbehörde mit ihren entsprechenden Rechtsmitteln.
Es liegt übrigens in der Natur der Sache, dass der Bürger selbstverständlich kein Recht auf vollständige Schadenfreiheit hat. Darüber hinaus bestehen auch keine Rechtsansprüche Dritter auf eine den rechtlichen Vorgaben aufgestellte Feuerwehr, selbst wenn es hierzu gesetzliche Vorgaben gibt (beispielsweise explizit für Sachsen-Anhalt § 2 Abs. 2 BrSchG).
3.10 Prozessablauf und Zeitbedarf für die Feuerwehrbedarfsplanung
Der Aufstellungs- und Fortschreibungsprozess eines Feuerwehrbedarfsplans gliedert sich in mehrere (teilweise ineinandergreifende) Projektphasen: Aufnahme und Analyse des IST-Zustands, erste SOLL-Konzeption, finale SOLL-Konzeption (Feinkonzept) und politische Beschlussphase. Anschließend erfolgt die Umsetzung der bedarfsplanerischen Maßnahmen, deren Erfolg bei der nächsten Fortschreibung des Bedarfsplans überprüft wird.
Der Zeitansatz von Beginn des Bedarfsplanprozesses (Projekt-»Kick-Off«) bis zum Beschluss des Bedarfsplans im kommunalpolitischen Gremium beträgt erfahrungsgemäß mindestens sechs bis zwölf Monate. Tatsächlich ist aber auch ein Bedarfsplanzeitraum von bis zu zwei Jahren keine Seltenheit.
Insbesondere die Datenaufnahme des IST-Zustands stellt einen zeitintensiven Prozess über meist mehrere Monate dar, bei dem auch vor-Ort-Termine für Gespräche mit den Beteiligten und zur Begehung der Standorte durchgeführt werden. Werden spezielle Verfahren zur Datenaufnahme wie etwa die prospektive Messung der Verfügbarkeitssituation von ehrenamtlichen Kräften (Kapitel 9) implementiert, verlängert sich die Aufnahme des IST-Zustands nochmal um mehrere Monate. In den Prozess der Datenaufnahme greift bereits die Analyse des IST-Zustands ein, bei der häufig noch eine zusätzliche Datenerhebung, -konkretisierung und -korrektur notwendig wird.
Nach abgeschlossener Aufnahme und Analyse des IST-Zustands wird auf Basis festgelegter Planungsziele ein erstes SOLL-Konzept erstellt. Dieses sollte als Arbeits- und Diskussionsgrundlage auch im Lenkungsgremium erörtert und beraten werden, da es bereits die wesentlichen Elemente der Feuerwehr in Bezug auf Organisation, Standortstruktur, Technikausstattung und Personalplanung beinhaltet. Nach Bestätigung oder Ablehnung wird das vorgestellte SOLL-Konzept überarbeitet und erneut als finales Feinkonzept in einer beschlussfähigen Fassung vorgelegt.
In dem modellhaft skizzierten Bedarfsplanprozess kann es zu einer Vielzahl an Verzögerungen kommen. Während die Netto-Bearbeitungszeit des Bedarfsplans vergleichsweise kurz ausfällt, zieht sich die Gesamtdauer der Bedarfsplanung häufig durch die gemeinsame Terminfindung der Projekt- und Lenkungsgruppen sowie der Rats- oder Ausschusssitzungen in die Länge.
Liegt beispielsweise ein beschlussreifer Bedarfsplan kurz vor der parlamentarischen Sommerpause vor und wird erst nach der Sommerpause im zuständigen Arbeitsausschuss oder Rat beraten und beschlossen, vergehen nutzlos »unproduktive« Monate (vgl. Beispiel in Bild 18). Fällt dieser Zeitpunkt sogar noch in den Zeitraum der Kommunalwahlen, kann es vorkommen, dass die Entscheidung über den Bedarfsplan vor den Wahlen gescheut und die Verantwortung auf das neugewählte politische Gremium abgewälzt wird. In diesem Fall verstreichen erneut weitere Wochen für einen bereits seit Monaten finalisieren Bedarfsplan, da die erste konstituierende Sitzung nach den Wahlen in der Regel anderen Themen gewidmet ist – vorausgesetzt der neue Stadt- oder Gemeinderat vertritt nicht völlig unterschiedliche politische Ansichten zum Feuerwehrbedarfsplan, die eine erneute Überarbeitung des SOLL-Konzepts erforderlich machen.
Bild 18: Beispielhafter Zeitplan und Ablauf eines Bedarfsplanprojekts
Problematisch bei einem langen Bedarfsplanprozess ist die Aktualität der Datengrundlage, die zum Zeitpunkt des politischen Beschlusses häufig älter als zwei Jahre ist. Eine Datenaufnahme und -analyse stellt jedoch immer nur eine Momentaufnahme der vorherrschenden IST-Situation dar, die sich bereits innerhalb weniger Wochen bereits geändert haben kann (z. B. bei der Alarmverfügbarkeit ehrenamtlicher Kräfte durch schnelllebige Arbeitsmarktentwicklungen). Zu einem gegebenen Zeitpunkt im Bedarfsplanprozess ist sich daher notwendigerweise für einen Datenstand zu entscheiden. Die Datenbasis ist ohnehin möglichst so repräsentativ zu wählen, dass sie robust gegen zeitliche Besonderheiten und Sondereffekte sind.
3.11 Überörtliche Planung und interkommunale Zusammenarbeit
Um den abwehrenden Brandschutz und die Hilfeleistung flächendeckend effektiv und effizient sicherzustellen, ist insbesondere in den peripheren, ländlich geprägten Räumen Deutschlands eine gemeindeübergreifende Zusammenarbeit unerlässlich. Die Gemeindeordnungen bzw. Kommunalverfassungen der Länder sowie die entsprechenden Gesetze über die interkommunale Zusammenarbeitregeln im Einzelnen die Formen und Voraussetzungen interkommunaler Zusammenarbeit. So können beispielsweise in Nordrhein-Westfalen Gemeinden und Gemeindeverbände gemäß Gesetz über kommunale Gemeinschaftsarbeit (GkG NRW) Aufgaben, zu deren Wahrnehmung sie berechtigt oder verpflichtet sind, nach den Vorschriften des Gesetzes gemeinsam wahrnehmen, u. a. indem öffentlich-rechtliche Vereinbarungen geschlossen werden (§ 1 Abs. 1 und 2 GkG NRW). Hierdurch wird explizit auch eine gemeindeübergreifende Zusammenarbeit bei der Sicherstellung des abwehrenden Brandschutzes und der Hilfeleistung ermöglicht.
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