1 ...8 9 10 12 13 14 ...20 Lächelnd öffnete Nemera die zweite Spange und ließ das Kleid zu Boden gleiten. »Der Kaysar ist nun einmal Herr über die Welt«, meinte sie, nahm einen Schwamm und trat zu ihm an die Wanne. »Wie könnte er da kein Gott sein?«
»Dein Volk kann nicht ernsthaft glauben, dass ich über mehr als diesen jämmerlichen Haufen hier herrsche.«
Nemera beugte sich vor, um den Schwamm ins Wasser zu tauchen. Sie duftete nach dem kostbaren Öl, das aus einer der Kammern unter dem Regentenpalast in Ehala stammte. »Weshalb wundert dich das so?« Sanft begann sie, Schweiß und Staub von seiner Haut zu waschen. »Du bist auf einem Elfenschiff über den Ozean gekommen und fliegst auf einem Drachen in die Schlacht.«
Athanor verdrehte die Augen. »Hältst du mich deshalb gleich für einen Gott?«
»Hm, nein, ich glaube, ein Gott nickt nach dem Beischlaf nicht einfach so ein.«
»Ha! Elende Ketzerin!«, rief er und griff nach ihr, doch sie wich lachend vor dem Wasser zurück, das aus der Wanne schwappte. Gähnend wartete er darauf, dass sie wieder in Reichweite kam. Er würde seine Menschlichkeit heute wohl wieder unter Beweis stellen.
* * *
Gedankenverloren stocherte Laurion in seinem Linseneintopf herum. Nach außen bemühte er sich um Gelassenheit, doch in seinem Innern gärte es, und das Schlimmste war, dass er mit niemandem darüber sprechen konnte. Von Nemera abgesehen, waren alle seine Freunde tot. Falls er überhaupt so vermessen sein durfte, die Regentin zu seinen Freunden zu zählen.
Sicher, er hatte Rhea, die ihm die meiste Zeit wie ein Schatten folgte. Auch jetzt hockte sie ganz in der Nähe auf einem Kissen und löffelte im Gegensatz zu ihm eifrig die Suppe in sich hinein. Nach dionischer Sitte aßen sie auf dem Dach der Ruine unter dem Sternenhimmel zu Abend. Von hier hatten sie sogar Blick auf den Hafen und das im Mondlicht schimmernde Meer. Laurion schenkte Rhea ein tapferes Lächeln. Sie beide hatten Familie und Zuhause verloren, aber für das kleine Mädchen wog der Verlust ungleich schwerer. Solange sie um ihn war, vergaß er nie, dass andere schlimmere Schicksale erlitten hatten als er.
»Du siehst traurig aus.«
Dass Kinder immer so geradeheraus sein mussten … »Könnte daran liegen, dass ich traurig bin«, erwiderte Laurion und bekam ein schlechtes Gewissen, als Rhea sogleich besorgt aussah. »Es ist nichts Schlimmes«, versicherte er. »Ich bin nur ein bisschen wehmütig, weil niemand mehr einen Magier braucht.« Das war zwar nicht der Grund für seine Zerrissenheit, aber wahr genug, um davon abzulenken.
»Jeder braucht einen Zauberer. Zauberer können doch Wünsche erfüllen.«
Laurion lächelte nachsichtig. Meine eigenen Wünsche erfüllen zu können, wäre für den Anfang nicht schlecht. »Da hast du recht. Bevor …« … die Drachen kamen , wollte er sagen, aber das hätte Rhea nur an jenen schrecklichen Tag erinnert. »Also, früher haben sich die Leute ständig etwas von mir gewünscht. Die Bauern wollten, dass ich Donnervögel rufe, damit es auf ihren Feldern regnet. Großmeisterin Thegea erwartete, dass ich alle Zauber lerne, die sie beherrschte. Und die Regentin …« Unwillkürlich sah er zu Nemera hinüber, die mit Mahanael und dem Kaysar an einem anderen Tisch saß. »… musste ich vor bösen Magiern beschützen, die sich in den Palast schleichen wollten.«
Rhea sah ihn mit großen Augen an. »Gibt es denn keine bösen Zauberer mehr?«
»Nein, kleine Schwester, der Große Drache und der Kaysar haben sie alle … gefangen und bestraft.«
»Ich bin deine Schwester?«, fragte sie erstaunt.
»Alle Magier und Magierinnen sind Brüder und Schwestern«, behauptete Laurion. Zumindest nannten wir uns so. »Und da du die Stimme dieses toten Mannes gehört hast, glaube ich, dass du eine Magierin werden kannst.«
Diese Aussicht gab Rhea offenbar so viel zu denken, dass sie schweigend weiterlöffelte und vollkommen abwesend aussah. Nemeras Lachen lenkte Laurions Aufmerksamkeit wieder auf die Regentin. Der Kaysar schien gerade etwas Amüsantes gesagt zu haben, denn auch Mahanael lachte. Wie ein glühendes Stück Kohle brannte sich die Eifersucht in Laurions Herz. Seit der Schlacht um die Ordensburg hatte Nemera nur noch Augen für Athanor. Dass sie Laurion schon zuvor kaum Beachtung geschenkt hatte, zählte nicht. Auch wenn er nur einer von vielen jungen Männern am Hof gewesen war, hatte er zu ihren Vertrauten gehört und sich eingebildet, dass sie mehr als nur freundlich zu ihm war. Die Verhältnisse am Hof und die ständige Bedrohung durch Sethon hatten eben nicht mehr Nähe zugelassen, ohne einen Skandal oder Sethons Rache zu provozieren. Habe ich mir das alles nur eingebildet?
»Laurion!«, rief Athanor und gab ihm einen einladenden Wink. »Willst du dich nicht zu uns setzen?«
Laurion lächelte und hoffte, dass es nicht allzu gequält aussah. Ja, der Kaysar war manchmal schroff und ungeduldig. Und er hielt Magier für nutzlose Memmen, die er ständig aus Gefahren retten oder umbringen musste. Doch Laurion wollte nicht ungerecht sein. Ein hartes Schicksal hatte Athanor zu dem gemacht, der er war, und dafür, dass er die Drachen und Nekromanten besiegt hatte, verdiente er jedes erdenkliche Glück. Aber musste es ausgerechnet Nemera sein?
Seufzend stand Laurion auf, um zu ihnen hinüberzugehen. Athanor war nun einmal der Kaysar. Wie es die alten Überlieferungen geboten, hatte Nemera in seinem Namen über Dion regiert. War es da nicht selbstverständlich, dass sie nun seine Königin wurde?
Laurions Blick fiel auf die wenigen Lichter der ansonsten dunklen Ruinenstadt. Manche waren nicht mehr als der matte Widerschein eines Dungfeuers auf eingestürzten Häusern, andere loderten heller, doch stets markierten sie einen Ort, an dem Flüchtlinge ihr karges Mahl teilten. Umso überraschter hielt Laurion inne, als er eine Art Fackelzug bemerkte, der sich wie ein kleiner Schwarm aus Lichtern auf das Anwesen zubewegte. Er musste wohl beunruhigt aussehen, denn sofort fragte Athanor: »Ist da unten etwas?«
Laurion trat an die niedrige Mauer, die das gesamte Dach umgab. »Es scheint eine Gruppe Leute herzukommen, aber ich kann noch nicht viel erkennen. Einige tragen Fackeln und Öllampen.«
»Neuankömmlinge?« Nemera klang hoffnungsvoll, als sie mit Athanor und Mahanael an Laurions Seite kam. Sie freute sich über jeden Dionier, der den Drachen entgangen war und nun den Weg nach Sarna fand.
»Eilig haben sie es jedenfalls nicht«, stellte Athanor fest.
Leise Stimmen drangen herauf. Sie klangen weder aufgebracht noch fröhlich. Laurion glaubte, im Lichtschein einige bekannte Gesichter zu erkennen. »Ich sehe mal nach, was sie wollen«, beschloss er, denn es ziemte sich nicht, dass die Regentin oder gar der Kaysar selbst an die Tür gingen, um Bittsteller nach ihrem Begehr zu fragen. Dass ausgerechnet er sich an die höfische Etikette klammerte, hätte er nie von sich erwartet, aber wenn er Nemera nicht einmal als Haushofmeister dienen konnte, gab es keinen Vorwand, ständig in ihrer Nähe zu sein.
Er stieg die Treppen hinab und ging zu der Tür, die einst nur eine Seitenpforte gewesen war. Nachdem das große Tor jedoch mit dem gesamten Ostflügel in Trümmern lag, gab es keinen anderen Eingang mehr.
Im Anwesen herrschte Stille. Die meisten der wenigen Bediensteten kehrten abends zu den anderen Flüchtlingen zurück, und Nemera fühlte sich zu sehr als Teil der Notleidenden, um Palastwächter zu ernennen. Sie besaß nichts mehr, das zu rauben sich gelohnt hätte. Laurion fand es dennoch etwas leichtsinnig, aber wer war er, der Regentin zu widersprechen? So näherte er sich allein der Tür, und die im Feuer zersprungenen Bodenfliesen knirschten unter seinen Füßen.
Als er öffnete, blendete ihn der Schein der Fackeln, sodass die Gestalt vor der Schwelle eine dunkle Silhouette blieb. Sofort fiel ihm auf, dass alle anderen Abstand von dem Mann hielten, der ein Schwert und eine Rüstung trug. Gespanntes Schweigen lag über den Versammelten, als warteten sie darauf, wie Laurion den Fremden aufnehmen würde. Eine Andeutung von Moder und Verwesungsgestank wehte Laurion in die Nase. Gütiger Drache! Instinktiv wich er einen Schritt zurück. Was sollte er gegen einen Untoten tun?
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