Über einen Smart Meter kann die Stromzufuhr für das Smart Home gesteuert134 und auch eine Spartenbündelung135 vorgenommen werden. Durch ein hausinternes Energiemanagement besteht die Möglichkeit, die Nutzung von Haushaltsgeräten auf lastschwache Zeiten oder besonders günstige Tarife zu verlagern, entweder durch eigene Speicher oder durch einen Bezug aus dem Stromnetz.
3. Intelligentes Energienetz – Smart Grid
Die Literatur hat sich bislang auf keine einheitliche Definition des Begriffs ‚Smart Grid‘ einigen können.136 Es kursieren als Versuche einer Begriffsnäherung die Termini „intelligentes Stromnetz“137, „intelligentes Energieinformationsnetz“138, „intelligentes Stromnetz der Zukunft“139 und schließlich das „intelligente Energienetz“ – letzterer Begriff wird in der amtlichen Überschrift des MsbG und der Überschrift zu Teil 3 des MsbG verwendet.
Die Intelligenz eines Smart Grids rührt in allen Varianten aus der informationstechnischen Vernetzung von Stromerzeugern und Stromnutzern her, sozusagen einer „Verschmelzung von Kommunikations- und Energ ieversorgungsinfrastruktur“140. Ein Smart Grid ist ein Netz, das die Aktionen aller seiner Nutzer (Erzeuger, Verbraucher und Speicher141) intelligent integriert, um eine effiziente, nachhaltige, wirtschaftliche und sichere Energieversorgung zu gewährleisten.142 So werden Smart Meter, dezentrale Erzeugungsanlagen (z.B. eine Photovoltaikanlage), Speicher und energieintensive Geräte (z.B. Waschmaschinen) oder auch Elektroautos143 mit dem Ziel der Optimierung des Stromnetzes informationstechnisch vernetzt.144 Elektroautos können, wenn sie nachts geparkt und an das Smart Grid angeschlossen werden, z.B. Stromüberschüsse aus Windkraftanlagen aufnehmen und zu gegebener Zeit wieder abgeben.145
Als Begriff in den Diskussionen um das Smart Grid hat auch der ‚Prosumer‘ – ein Endkonsument, der nicht nur Strom verbraucht, sondern in eigenen Anlagen (z.B. aus Windkraft oder Photovoltaik) auch Strom produziert146 – Bedeutung erlangt.147
Das Smart Grid soll dabei helfen, den Verbrauch an das Energieangebot anzupassen und so den Bedarf an Energiespeichern zu reduzieren148 oder auch ein regelndes Eingreifen des Übertragungs- oder Verteilnetzbetreibers zu vermeiden.149 Dieser überwacht das fragilste Element des Stromnetzes, die Netzfrequenz, die stets eine Frequenz von 50 Hz (sog. Soll-Frequenz) halten soll.150 Eine plötzliche Lastzunahme oder ein Einspeiseausfall verringert die Frequenz, was ab einer gewissen Grenze zu einer Trennung der Kraftwerke vom Netz und einem Stromausfall führt.151
Die Schaffung eines intelligenten Energienetzes ist angesichts der dargestellten ökologischen und energiepolitischen Interessen alternativlos152 und hat mit dem Gesetz zur Digitalisierung der Energiewende bereits begonnen. Durch den Einsatz von Smart Metern soll das bislang monolaterale Energieversorgungsnetz eine bidirektionale Kommunikation zwischen Erzeuger- und Verbraucherseite realisieren können und sozusagen einen ‚Rückkanal‘ erhalten.153 Eine solche Rückkopplung von Interaktivität ist in jeder Art von Netzwerk maßgeblich, um Statik zu vermeiden.154
Mit dem MsbG, das darüber hinaus die kommunikative Vernetzung von steuerbaren Verbrauchseinrichtungen (z.B. Elektroautos, Speichern oder Haushaltsgeräte) mit dem Energienetz vorsieht155, wird perspektivisch ein flächendeckendes cyber-physisches System156 aus elektromechanischen und informationstechnischen Komponenten kreiert.
Die herkömmliche Energieverbrauchsmessung fand bislang keine größere datenschutzrechtliche Beachtung.157 Aus Sicht des Datenschutzrechts gilt es allerdings zu berücksichtigen, dass intelligente Messtechniken potenziell die Erhebung einer Vielzahl personenbezogener Daten i.S.d. Art. 4 Nr. 1 DS-GVO implizieren158 und damit Datensicherheits- und Datenschutzrisiken in deutlich höherem Maße als bisher Einzug in das Energiesystem halten werden.159
Die Konzepte von Smart Meter, Smart Home und Smart Grid reichen bis in das Haus oder die Wohnung der Letztverbraucher und weisen daher eine erhebliche Datenschutzrelevanz auf.160 Es besteht etwa die Gefahr, dass sich aus hochaufgelösten, feingranularen Messwerten detaillierte Nutzerprofile von natürlichen Personen erstellen lassen.161 Nicht nur kann festgestellt werden, ob Strom verbraucht wird, sondern durch entsprechende Analysetools auch, welches Haushaltsgerät genutzt wird, ggf. bis hin zum konkret eingeschalteten Fernsehprogramm.162
In Kombination mit Daten aus sozialen Netzwerken und sonstigen Quellen ist die Erstellung eines detaillierten Bewegungsprofils möglich.163 Je geringer die Messintervalle sind, desto mehr Details werden auch über das Verhalten von Personen in einem Haushalt bzw. Gebäude aufgezeichnet. Bereits 15-Minuten-Intervalle reichten Forschern aus, um mit den erhobenen Smart-Meter-Daten beispielsweise Urlaubszeiten der Bewohner oder religiöse Praktiken anhand der Zeitverschiebungen bei täglichen Aktivitäten während des Ramadans zu ermitteln.164 Es konnte z.B. beobachtet werden, dass Bewohner während des Ramadans früher als sonst aufstanden, und so daraus geschlossen werden, dass sie Muslime sind.165
In der Vorschrift des § 55 Abs. 1 Nr. 2 MsbG ist vorgesehen, dass bei Letztverbrauchern mit einem Jahresstromverbrauch von weniger als 100.000 kWh, worunter nahezu alle Privathaushalte fallen, und einem verbauten intelligenten Messsystem eine sog. ‚Zählerstandsgangmessung‘ durchzuführen ist. Diese wird in § 2 Satz 1 Nr. 27 MsbG definiert als
„die Messung einer Reihe viertelstündig ermittelter Zählerstände von elektrischer Arbeit und stündlich ermittelter Zählerstände von Gasmengen“ .
Intelligente Messsysteme sind allerdings durch den grundzuständigen Messstellenbetreiber bei Letztverbrauchern mit einem Jahresstromverbrauch bis einschließlich 6.000 kWh nicht verpflichtend zu verbauen, sondern nach Maßgabe des § 29 Abs. 2 Nr. 1 MsbG nur optional. Viele deutsche Ein- und Mehrpersonen-Haushalte verbrauchen weniger als 6.000 kWh im Jahr. Im Jahr 2017 hat ein deutscher Haushalt durchschnittlich 3.111 kWh Strom im Jahr verbraucht.166 Der Messstellenbetreiber hat daher die Wahl, in der Verbrauchsgruppe bis 6.000 kWh intelligente Messsysteme zu verbauen oder lediglich moderne Messeinrichtungen als digitalen Basiszähler. Solange keine Eichfrist überschritten wird, können auch konventionelle Zähler weiter betrieben werden in dieser Verbrauchsgruppe.
Soweit in einem durchschnittlichen Privathaushalt kein intelligentes Messsystem verbaut ist, gilt für die Messintervalle die Vorschrift des § 55 Abs. 1 Nr. 4 MsbG. Hiernach erfolgt die Messung entnommener Elektrizität
„durch Erfassung der entnommenen elektrischen Arbeit entsprechend den Anforderungen des im Stromliefervertrag vereinbarten Tarifes“.
Wie häufig in diesen Fällen tatsächlich Messwerte erhoben werden, hängt daher von dem individuell gewählten Stromliefertarif des Letztverbrauchers ab. Es ist angesichts der Etablierung innovativer Geschäftsmodelle, die vor allem auf die Auswertung und Visualisierung von energiewirtschaftlichen Messdaten setzen, zu erwarten, dass Stromliefertarife mit entsprechend feingranularen Messintervallen angeboten und abgeschlossen werden, auch wenn kein intelligentes Messsystem verbaut wird. Daher kann gerade nicht geschlussfolgert werden, dass der herkömmliche Verbraucher durch die Einführung intelligenter Messtechnik vorerst nicht betroffen wird, auch wenn keine unmittelbare Einbauverpflichtung bezüglich intelligenter Messsysteme für die meisten Privathaushalte besteht.
Die Bundesnetzagentur kommt in ihrer Stellungnahme vom 12.4.2016 zu dem Schluss, dass der ‚gläserne Verbraucher‘ durch das MsbG nicht zu befürchten sei, da der Datensicherheit und dem Datenschutz ausreichend Rechnung getragen werde.167 Die datenschutzrechtlichen Probleme im Zusammenhang mit Smart Metering werden in der Literatur zwar seit längerem erörtert, jedoch kaum auf dem aktuellen Stand des MsbG und der DS-GVO.168
Читать дальше