D. Forschungsfragen und Gang der Untersuchung
Das vorliegende Werk nimmt die beschriebenen Transformations- und Digitalisierungsprozesse im Energiesektor, der Informationstechnologie und dem Datenschutzrecht zum Anlass, die Auswirkungen auf datenschutzrechtliche Betroffenenrechte bei intelligentem Messstellenbetrieb (‚Smart Metering‘) zu hinterfragen – sowohl mit als auch ohne Einsatz der Blockchain-Technologie.
Im Rahmen der Ausführungen wird auf den Strommarkt als relevanten und am stärksten regulierten Energiemarkt Bezug genommen, auch wenn die Ergebnisse grundsätzlich auf den Gassektor und in Teilen ebenfalls auf die Bereiche Fernwärme- und Wasserversorgung übertragbar sind.52 Angesichts der oben bereits angesprochenen Problemkreise soll dabei das strukturelle und materielle Verhältnis zwischen dem europäischen Datenschutzrecht nach der DS-GVO und dem bereichsspezifischen Datenschutzrecht gemäß §§ 49ff. MsbG für die Erlaubnistatbestände und die datenschutzrechtlichen Betroffenenrechte herausgearbeitet werden.
Im zweiten Teil dieser Arbeit werden die energiewirtschaftlichen, technischen und energiedatenschutzrechtlichen Grundlagen für die später darauf aufbauenden Ausführungen gelegt.
Zunächst sollen einige realanalytische Vorüberlegungen zu Smart Metering im Kontext der intelligenten Energieversorgung erfolgen (Teil 2 A.). In einem Überblick werden zudem die Funktionsweise von Blockchain-Netzwerken und deren Einsatzmöglichkeiten in der Energiewirtschaft unter dem derzeitigen regulatorischen Rechtsrahmen dargestellt (Teil 2 B. und C.). Das durch das Gesetz zur Digitalisierung der Energiewende geschaffene bereichsspezifische Normkonzept der §§ 49ff. MsbG wird in Teil 2 D. skizziert. Es soll ferner gezeigt werden, dass energiewirtschaftliche Daten aus einem Smart Meter Personenbezug i.S.d. Art. 4 Nr. 1 DS-GVO aufweisen, sofern diese nicht vollständig anonymisiert werden, und somit eine sachliche Anwendbarkeit des Datenschutzrechts nach Art. 2 Abs. 1 DS-GVO bedingen (Teil 2 E.).
Daran anschließend wird in Teil 3 untersucht, auf welche fakultative Öffnungsklauseln aus dem Kanon der DS-GVO die datenschutzrechtlichen Regelungen des MsbG gestützt werden können und welche Anforderungen an die nationalen Spezifikationen der §§ 49ff. MsbG bei unionsrechtskonformer Auslegung sowie unter Berücksichtigung bisheriger Kontinuitätslinien der unter der Datenschutz-Richtlinie53 (DS-RL) ergangenen Rechtsprechung des EuGH54 zu stellen sind (Teil 3 A.). In einem Überblick soll auf die spezifischen Erlaubnistatbestände des MsbG und das Problem der Mehrrelationalität von Smart-Meter-Daten eingegangen werden (Teil 3 B.). Für die im MsbG statuierten Betroffenenrechte, insbesondere die Informations- , Auskunfts- und Löschungsrechte, wird sodann konkret für die Einzelnorm geprüft, ob die zuvor entwickelten Spezifizierungsmaßstäbe eingehalten werden, und, falls dies nicht der Fall sein sollte, welche Konsequenzen sich hieraus ergeben (Teil 3 C.).
In Teil 4 der Darstellung wird – sozusagen als Modifikation des Sachverhalts – die Durchsetzbarkeit von Betroffenenrechten in redundanten Blockchain-Netzwerken, wie sie im Smart Metering eingesetzt werden könnten, analysiert und auf die dabei zu erwartenden datenschutzrechtlichen und tatsächlichen Schwierigkeiten eingegangen. In diesem Rahmen werden nicht nur die Frage der Verantwortlichkeit in solchen Systemen sowie die Technologieneutralität der DS-GVO55 erörtert. Ebenfalls werden im Sinne einer ‚Blockchain by Design‘ technische und konzeptionelle Lösungsansätze für ein datenschutzkonformes, Blockchain-basiertes Smart-Metering-System nach Maßgabe von Art. 25 Abs. 1 DS-GVO vorgestellt, das insbesondere die Durchsetzung von Berichtigungs- bzw. Löschungsansprüchen Betroffener ermöglicht.
Die Arbeit endet mit Teil 5, in dem die wesentlichen Ergebnisse der Untersuchung zusammengefasst werden und ein Ausblick auf die unmittelbaren Implikationen für die Praxis sowie die weitere Entwicklung der angesprochenen Transformationsprozesse gewährt wird.
52Das MsbG sieht bereits eine Anbindbarkeit von Messeinrichtungen für Gas an das Smart-Meter-Gateway vor, vgl. §§ 20, 40 Abs. 2 MsbG. In Sinne einer Spartenbündelung ist perspektivisch auch die mehrspartenfähige Anbindung von Fernwärme- oder Wasser-Messeinrichtungen an das Smart-Meter-Gateway angedacht (sog. Sub-Metering), vgl. dazu § 6 Abs. 1 Nr. 2 MsbG; BSI, Standardisierungsstrategie, S. 3, 14, 22, 60. 53Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 24.10.1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr, ABl. L 281 v. 23.11.1995, S. 31. 54Vgl. EuGH, Urt. v. 24.11.2011 – C-468/10, C-469/10, ZD 2012, 33 – ASNEF/FECEMD. 55Vgl. Erwägungsgrund 15 Satz 1 DS-GVO.
Die folgenden Vorüberlegungen zu der Datenkommunikation in intelligenten Energienetzen nach dem MsbG und dem Personenbezug von Smart-Meter-Daten dienen insbesondere der Verifizierung der These, dass der sachliche Anwendungsbereich der DS-GVO im Smart Metering allgemein eröffnet ist. Nach Art. 2 Abs. 1 DS-GVO gilt die DS-GVO nur für die ganz oder teilweise automatisierte Verarbeitung personenbezogener Daten sowie für die nichtautomatisierte Verarbeitung personenbezogener Daten, die in einem Dateisystem gespeichert sind oder gespeichert werden sollen. Zudem sollen als Grundlage für die späteren datenschutzrechtlichen Erwägungen, die in Teil 4 dieser Arbeit erfolgen werden, die technischen Grundlagen einer Blockchain und ihre Anwendungsmöglichkeiten beim Smart Metering näher dargestellt werden.
A. Elemente der intelligenten Energieversorgung
Hinter der täglichen und teils unbewussten Nutzung von Energie verbirgt sich ein komplexes, europaweit integriertes System – die Energiewirtschaft.56 Diese hat sich in den letzten 20 Jahren einem substantiellen tatsächlichen und rechtlichen Wandel unterzogen.57 Lange Zeit war der Energiesektor durch natürliche Monopole mit kartellrechtlichen Freistellungen gekennzeichnet, die durch das Energiewirtschaftsgesetz (EnWG)58 – das erste deutsche Energiegesetz – zunächst beibehalten wurden. Erst mit der Novellierung des EnWG im Jahr 199859 wurde aufgrund europarechtlicher Vorgaben60 eine Liberalisierung der Energiewirtschaft begonnen, die bis heute fortdauert.61 Zweck des EnWG in der heutigen Fassung ist nach § 1 Abs. 1 EnWG die möglichst sichere, preisgünstige, verbraucherfreundliche, effiziente und umweltverträgliche Elektrizitätsversorgung, die zunehmend auf erneuerbaren Energien beruhen soll. Neben dem EnWG und dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG)62 stellt das MsbG eine dritte bedeutsame Säule des deutschen Energierechts dar.63 Intelligente Stromzähler fungieren unter anderem für die Konzepte Smart Home und Smart Grid als Schlüsseltechnologie.64 Durch das MsbG wurde für das intelligente Messwesen eine neue Wertschöpfungsebene in der Energiewirtschaft mit einem eigenen Preisregime65 sowie neuen Marktrollen66 geschaffen.
I. Energiewirtschaftliche Wertschöpfungsstufen und Messwesen
Die Energiewirtschaft wird für den Strommarkt zumeist in vier Wertschöpfungsstufen eingeteilt: die Ebenen der ‚Energieerzeugung‘67, des Transports bzw. der Verteilung, des Handels und des Vertriebs von Elektrizität.68 Teilweise wird die Messung als eigenständige fünfte Wertschöpfungsstufe zwischen Verteilung und Vertrieb verortet69, sie ist aber bei einer fortschreitenden Vernetzung von Erzeugungs- und Verbrauchsanlagen prinzipiell auf jeder Ebene zwischen Produzent und Endverbraucher von Belang.
Für den Messstellenbetrieb und die Stromverbrauchsmessung war bislang der sog. Verteilnetzbetreiber zuständig.70 Dieser verantwortet das Management des regionalen Stromverteilnetzes, das im Regelfall eine Kombination aus Höchst-, Hoch- und Mittelspannungsnetz darstellt.71 Demgegenüber sind die insgesamt vier sog. Übertragungsnetzbetreiber in Deutschland nach § 13 EnWG für die Sicherstellung der Funktionsfähigkeit des Gesamtsystems der Elektrizitätsversorgung zuständig.72 Das MsbG stärkt die Liberalisierung des Messwesens und bildet die Marktrolle des Messstellenbetreibers i.S.d. § 2 Satz 1 Nr. 12 MsbG aus.73 Die Rollen des für den Messstellenbetrieb Verantwortlichen und des Verteilnetzbetreibers können nun tatsächlich auseinanderfallen.
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