Die Analyse der Lehrwerke Radio D (2005), Berliner Platz 1 (2009), studio d (A1, Band 1 und 2, 2012), studio d – Die Mittelstufe (B1, 2013) und klipp und klar (B1, 2016) ergibt, dass Funktionsverbgefüge trotz ihrer Relevanz für den DaF-Unterricht durch ihr Vorkommen in verschiedenen Textsorten und Sprachen sowie ihre Frequenz nur in zwei von drei untersuchten DaF-Lehrwerken behandelt werden. Die ausführlichste Darstellung von Funktionsverbgefügen bietet das DaF-Lehrwerk klipp und klar (B1, 2016). Es ist das einzige der untersuchten Lehrwerke, das eine Übung mit dem Schwerpunkt auf semantischen Funktionen der Gefüge anbietet. Fokussiert werden in den Übungen die Zuordnung von Funktionsverben und -nomen sowie die Substitution mit einem einfachen Verb. Funktionsverbgefüge werden insgesamt also kaum im konkreten Sprachgebrauch thematisiert, was erstens als Hinweis für den Einfluss von Ratschlägen zur Vermeidung von Funktionsverbgefügen aus der Ratgeberliteratur gewertet werden kann und zweitens auch neueren Ansätzen der Fremdsprachendidaktik nicht entspricht. Im nächsten Abschnitt werden Untersuchungsergebnisse aus 60 Jahren Forschung zu Funktionsverbgefügen zusammengefasst.
2.3. 1. Funktionsverbgefüge in der linguistischen Forschungsliteratur
Die germanistische Forschungsliteratur blickt gegenwärtig auf knapp sechzig Jahre Forschung zu Funktionsverbgefügen zurück, die anhand der Vorstellung verschiedener Forschungszweige zu Funktionsverbgefügen in Grundzügen vorgestellt werden soll.1 Trotz der unterschiedlichen Untersuchungsschwerpunkte haben die Forschungsarbeiten zu Funktionsverbgefügen den Bezug zur Kritik am Gebrauch von Funktionsverbgefügen gemeinsam (z.B. Daniels 1963, von Polenz 1963, Heringer 1968, Schmidt 1968, Storrer 2013), die in zahlreichen Stil- und Schreibratgebern wiederholt aufgegriffen wird: Funktionsverbgefüge gehören zu schlechtem Stil und sollen mit einfachen Verben ersetzt werden (vgl. Wustmann 1891: 416ff.; Reiners 1943–2009), weil sie „Texte weniger verständlich machen“ würden (Mackowiak 2011: 72; s. dazu ausführlich Kap. 1.2.1). Der Forschungszweig zu Funktionsverbgefügen in Verbindung mit dem Ausdruck von Aspekt und Aktionsart mit den frühen Arbeiten z.B. von Kolb (1963), v. Polenz (1963), Heringer (1968) und Klein (1968) legt jedoch offen, dass sich Funktionsverbgefüge von Basisverben unterscheiden:
Durch die Verbindung des punktuellen Grundverbums entscheiden mit einem Erstreckungsverbum wird der an sich momentane Vorgang des Entscheidens zeitlich zerdehnt. Zur Entscheidung bringen ist nicht dasselbe wie entscheiden , sondern bedeutet ‚einer Entscheidung zuführen, eine Entscheidung herbeiführen‘ oder ‚eine Entscheidung vorbereiten und treffen‘. (von Polenz 1963: 14; Hervorhebung im Original)
Die pauschale Verurteilung nominaler Fügungen ist nicht gerechtfertigt. Die grammatikalisierten Funktionsverbfügungen mit kommen und bringen werden vor allem dazu benutzt, um die Wertigkeit und die Aktionsart des Grundverbs zu verändern. (Heringer 1968: 121; Hervorhebung im Original)
Wegen der semantisch-aspektuellen Unterschiede zwischen den Konstruktionstypen können Funktionsverbgefüge nicht immer durch Basisverben ersetzt werden (von Polenz 1963: 14; Heringer 1968: 121) – wie in Stilratgebern gefordert wird. Im Anschluss an die Ergebnisse von v. Polenz (1963), Heringer (1968) und Klein (1968) werden Funktionsverbgefüge nach verschiedenen Aktionsarten systematisiert. Gefüge mit dem Ausdruck einer andauernden Handlung, also durativen Aktionsart, sind z.B. zur Verfügung stehen oder in Kontakt bleiben. Der Beginn einer Handlung, d.h. in inchoativer Aktionsart, kann durch Gefüge, wie in Gang kommen und in Kontakt treten , markiert werden (vgl. z.B. Klein 1968, Fabricius-Hansen 1975, Fink 1976, Bahr 1977, von Polenz 1994, Kang 2010; s. Kap. 1.1).
Ein weiterer Forschungszweig innerhalb der Forschungsliteratur zu Funktionsverbgefügen setzt sich mit der Problematik einer Definition des Untersuchungsgegenstandes Nomen-Verb-Verbindung auseinander (u.a. Dobrovol´skij 1979, Helbig 1979, Dyhr 1980, Lehmann 1983, von Polenz 1987, Elsayed 2000, van Pottelberge 2001, Wotjak/Heine 2005, Helbig 2006). Die Forschungsarbeiten thematisieren Funktionsverbgefüge in Bezug auf die Kriterien zur Eingrenzung des Gegenstandes und zur Abgrenzung von anderen angrenzenden linguistischen Disziplinen, wie der Phraseologie- und der Kollokationsforschung. Die Schwierigkeit der Definition von Funktionsverbgefügen liegt v.a. an der Vielzahl unterschiedlicher Konstruktionen, die sich sowohl funktional als auch formal voneinander unterscheiden (vgl. Tao 1997: 7ff./12ff.; Helbig/Buscha 2011: 83ff.; s. dazu auch Kap. 1.1). Ob eine Konstruktion zum Gegenstandsbereich der Funktionsverbgefüge gerechnet werden kann oder nicht, entscheidet sich mit der Wahl einer engeren oder weiteren Definition des Untersuchungsgegenstandes. Für die Zwecke der vorliegenden Arbeit wird die weite Definition nach Kamber (2008) angewendet, in der unterschiedliche Typen von Nomen-Verb-Verbindungen zum Untersuchungsgegenstand gezählt werden (vgl. Kamber 2008: 22ff.; s. Kap. 1.1).
In Bezug auf die Bedeutung Funktionsverbgefügen, wie Frage stellen , Antwort geben oder Entscheidung treffen , in Gegenüberstellung mit ihren Basisverben, also fragen, antworten und entscheiden , finden sich in der Forschungsliteratur die folgenden Auffassungen:
Der Terminus „Streckformen“ ist stilistisch wertend gedacht. [Streckformen] […] sind Verbalphrasen, die nicht nur verbale Teile enthalten, aber an Stelle von einfachen Verben stehen.Zwar ist ihr Kern ein Verb, aber daneben enthalten sie noch verbale Teile in nominaler Form:
Wer kann [Hilfe leisten]? |
Wer soll [Auskunft geben]? |
(Heringer 2014: 115; Hervorhebung S.K.) |
„Funktionsverbgefüge“ (Streckformen), d.h. Konstruktionen aus Funktionsverb und (präpositional regiertem) Substantiv, die formal i.d.R. durch ein einfaches Verb ersetzbar sind, aber dann ihren amtlichen Charakter verlieren: […] ein Geständnis ablegen[…]. (Hoffmann 2017: 225; Hervorhebung S.K.)
Nominalisierungsverbgefüge unterscheiden sich semantisch von entsprechenden einfachen Prädikatsausdrücken in der Regel nichthinsichtlich der Verifikationsregeln für die damit gebildeten Prädikate, sondern hinsichtlich ihrer pragmatisch-stilistischen Wirkungen: Für Nominalisierungsverbgefüge ist typisch der Gebrauch in akademischer, technischer, amtssprachlicher oder formal-öffentlicher Rede, wie schon v. Polenz 1987 festgestellt hat. Sie sind also im Wesentlichen pragmatisch bedingte Varianten der einfachen Ausdrücke. (grammis online 20192: Nominalisierungsverbgefüge; Hervorhebung S.K.)
Heringer (2014), Hoffmann (2017) und grammis (2019) zufolge werden Gefüge, wie Frage stellen und Entscheidung treffen , anstelle von einfachen Verben verwendet; sie können ersetzt werden, weil sie sich semantisch nicht von Basisverben, wie fragen und entscheiden , unterscheiden und lediglich Varianten der Verben darstellen.3 Die Unterschiede zwischen diesen Nomen-Verb-Verbindungen und Basisverb-Konstruktionen, wie z.B. in Sie stellt ihm eine Frage . vs. Sie fragt ihn etwas, seien v.a. auf stilistischer Ebene angesiedelt und eine Substitution des Gefüges mit dem Basisverb hätte lediglich den Verlust des „amtlichen Charakters“ zur Folge (vgl. Heringer 2014: 115; Hoffmann 2017: 22; grammis online 20184: Nominalisierungsverbgefüge). Dies spiegelt sich in den Auffassungen der Stil- und Schreibratgeber, die Gefüge, wie Frage stellen und Entscheidung treffen , seit Wustmann (1891: 416f.) stilistisch als schwülstiges Behördendeutsch und Behördenjargon abtun, denn „[n]amentlich Menschen, die von Natur Langweiler und Kanzleiräte sind, neigen zu dieser Form der Hauptwörterei“ (Reiners 2009: 72) und „[w]er so etwas schreibt, hat einen Stock verschluckt“ (Textwende: Besser schreiben mit Verben5).
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