1 ...6 7 8 10 11 12 ...23 In diesem Zusammenhang ist ein weiterer Forschungszweig wesentlich, der sich mit den Arbeiten von Daniels (1963), Schmidt (1968) und Popadić (1971) entwickelte. Diese Arbeiten konzentrieren sich v.a. auf die semantischen und syntaktischen Leistungen von Funktionsverbgefügen in Gegenüberstellung mit Basisverben, d.h. sie untersuchen die Konstruktionen auf ihren pragmatischen Mehrwert. Die Autoren und Autorinnen werten in ihren Analysen authentische Sprachdaten in Form von literarischer Prosa (Daniels 1963) und Zeitungsartikeln aus (Schmidt 1968, Popadić 1971) und stellen damit die ersten Arbeiten mit korpuslinguistischem Ansatz dar. Häufig finden sich in diesen Arbeiten Funktionsverbgefüge im weiteren Sinn, wie z.B. eine Feststellung machen (Daniels 1963: 230), einen Befehl geben (Schmidt 1968: 50) oder Arbeit/Beitrag leisten (Popadić 1971: 43f.), d.h. weniger lexikalisierte und syntaktisch restringierte Gefüge (Daniels 1963; Schmidt 1968: 56; Popadić 1971, Eroms 2000; Hinderdael 1985; Storrer 2006a, 2006b, 2007, 2013). Derartige Leistungen von Funktionsverbgefügen werden in der Forschungsliteratur zu Nomen-Verb-Verbindungen unter stilistischen, syntaktischen oder kommunikativen Leistungen zusammengefasst (vgl. Daniels 1963, Schmidt 1968: 56; Hinderdael 1985), vgl. die folgende Auflistung:
Modifikation und Spezifizierung der Funktionsnomen durch Attribute (vgl. Daniels 1963: 230; Popadić 1971: 56; Hinderdael 1985: 256; Heine 2005: 163f.; Helbig/Buscha 2011: 90)
„Zusammenballung und Konzentration von Aussagen auf engem Raum“ (Daniels 1963: 227, s. dazu auch Schmidt 1968: 70f.; Popadić 1971: 56; Hinderdael 1985: 256ff.; Seifert 2004: 106, 195)
Verteilung der Komponenten des Gefüges auf mehrere Sätze (vgl. Daniels 1963: 230; Storrer 2006a: 173; Schmidt 1968: 49f.; Popadić 1971: 51)
Valenzreduzierung und Vereinheitlichung der Valenz (Heringer 1968; Popadić 1971: 40; Hinderdael 1985: 214; Seifert 2004: 192; Helbig/Buscha 2011: 93; Heidolph et al. 1984: 439)
Präzision der Aussage (Schmidt 1968: 97; Popadić 1971: 25), Aussagenverallgemeinerung (vgl. Hinderdael 1985: 213f.; Popadić 1971; Helbig/Buscha 2011: 93)
Perspektivierung der Handlung (vgl. Daniels 1963: 226/229; Schmidt 1968: 68)
Betonung und Gewichtung unterschiedlicher Positionen der Glieder im Satz (Popadić 1971: 25; Hinderdael 1985: 159; Helbig/Buscha 2011: 94), Auswirkungen auf kommunikative Struktur und thematische Progression (vgl. Hinderdael 1985: 218f.; Seifert 2004: 192; Heine 2006: 162ff.)
Referenzfähigkeit (Heidolph et al. 1984: 441; Eroms 2000: 170), Wiederaufnahme im Folgetext (Seifert 2004: 197; Schmidt 1968: 73; Hinderdael 1985: 221; Storrer 2006a/2013, Gautier 1998; Helbig/Buscha 2011: 88)
Semantische und syntaktische Leistungen von Funktionsverbgefügen werden mit kommunikativen verknüpft und die Autoren und Autorinnen weisen auf besondere Leistungen von Funktionsverbgefügen im Textzusammenhang hin (vgl. Gautier 1998, Seifert 2004, Storrer 2006a, 2013). Beispielsweise können die Funktionsnomen durch Attribute modifiziert werden und so auf eine bestimmte Weise im Text dargestellt werden (vgl. Daniels 1963: 230; Popadić 1971: 56; Hinderdael 1985: 256; Heine 2006: 163f.; Lucius-Hoene/Deppermann 2004: 171) oder die Informationen können im Text unterschiedlich angeordnet und wiederaufgenommen werden, wodurch sich eine „unterschiedliche kommunikative Struktur“ (Hinderdael 1985: 218f.; s.a. Heine 2006) ergibt, die die „thematische Progression“ (Seifert 2004: 192; s.a. Storrer 2013) im Text beeinflusst.
Die aufgeführten Arbeiten zeigen, dass Funktionsverbgefüge spezifische semantische, syntaktische und kommunikative Funktionen erfüllen können. Trotz der zahlreichen Hinweise in der Forschungsliteratur auf den Zusammenhang von Funktionsverbgefügen mit der Strukturierung von Informationen im Text, existiert keine mir bekannte deutsche, polnische bzw. deutsch-polnische Monographie, die Leistungen von Nomen-Verb-Verbindungen auf der Ebene des Textes fokussiert. Was also bislang fehlt, ist eine systematische Klassifikation von Funktionsverbgefügen nach ihren Leistungen im Textzusammenhang. Auf den textlinguistischen Hintergrund der vorliegenden Arbeit gehe ich im Folgenden ein.
3 1. Textlinguistischer Hintergrund
In der Forschungsliteratur zu Funktionsverbgefügen werden Leistungen der Konstruktionen in Gegenüberstellung mit Basisverben aufgeführt (vgl. z.B. Seifert 2004), die sich auf syntaktische, semantische und kommunikative Eigenschaften von Äußerungen beziehen. Dazu gehören beispielsweise die Erweiterung der Nominalphrase des Gefügenomens, Änderungen der Thema-Rhema-Gliederung und die Wiederaufnahme des Gefügenomens im Folgetext (Hinderdael 1985: 218f.; Seifert 2004: 192; Heine 2006: 162ff.; Heidolph et al. 1984: 441; Eroms 2000: 170). Diese Leistungen lassen sich von der Ebene des Textes aus betrachten, also aus Sicht der Textlinguistik, auf deren wesentliche Konzepte und Theorien ich im Folgenden eingehe.
Die Textlinguistik befasst sich mit dem Zusammenhang sprachlicher Einheiten und ihrer Verknüpfung zu einem textuellen Gebilde (vgl. Schwarz-Friesel/Consten 2014: 13; Brinker/Cölfen/Pappert 2018: 13). Die grundlegende Analyseeinheit der Textlinguistik ist der Text, der definiert wird als
[…] thematisch und/oder funktional orientierter, kohärenter sprachlicher oder sprachlich-figürlicher Komplex, der mit einer bestimmten […] Kommunikationsabsicht […] geschaffen wurde, eine erkennbare kommunikative Funktion […] erfüllt und eine inhaltlich und funktional abgeschlossene Einheit bildet. (Göpferich 1995: 56f.)
Wesentlich ist innerhalb der Textlinguistik das hier angesprochene Konzept der Kohärenz, das sich als inhaltlicher und formaler Zusammenhang von Sinnrelationen im Text beschreiben lässt (vgl. Busse 1992; Brinker/Cölfen/Pappert 2018: 24). Kohärenz kann implizit durch die mentale Verknüpfung von sprachlichen Einheiten durch den/die Rezipent*in erzeugt werden oder explizit durch grammatisch-funktionale sprachliche Mittel auf der Textoberfläche, d.h. durch die sog. Kohäsion und ihre Kohäsionsmittel, mit denen Inhalte im Text miteinander verknüpft und wiederaufgenommen werden können (vgl. Schwarz-Friesel/Consten 2014: 84f.; Brinker/Cölfen/Pappert 2018: 29/36; Breindl 2016: 42; s. Kap. 3.4; 4.2.5).
Mit Konnexion wird die Textverknüpfungsart bezeichnet, mit der sprachliche Einheiten auf linearer Ebene durch Konnektoren miteinander verbunden werden (vgl. Brinker et al. 2001: 331; Schwarz-Friesel/Consten 2014: 84ff.), wie z.B. durch die Kon- oder Subjunktionen und und weil im folgenden Beispiel:
1 Karl und Sophie können nicht kommen (S1), weil sie keine Zeit haben (S2).
Sowohl die Nominalphrasen Karl und Sophie als auch die beiden Sätze Karl und Sophie konnten nicht kommen und sie hatten keine Zeit werden durch die Kon- bzw. Subjunktionen und und weil additiv bzw. kausal miteinander verbunden. Je nach Art der Verknüpfung wird hier von einer textuellen Ko- oder Subordination gesprochen (vgl. Brinker et al. 2001: 331f.). Demnach werden die Nominalphrasen Karl und Sophie durch und koordiniert, die beiden Sätze S1 und 2 werden dagegen subordiniert.
Konnexion kann aber auch implizit realisiert werden, d.h. die Verknüpfung der sprachlichen Einheiten ist auf der Textoberfläche nicht sichtbar, sondern wird vom/von der Rezipient*in/en mental hergestellt, wie z.B.:
1 Sie konnten nicht kommen (S1). Sie haben keine Zeit (S2).
Die Verknüpfung zwischen Satz 1 und 2 kann hergestellt werden, weil angenommen wird, dass durch die Anordnung der Sätze eine Folge und Ursache ausdrückt wird, d.h. eine kausale Relation (vgl. Schwarz-Friesel/Consten 2014: 86f.). Dass es sich bei Satz 2 um eine Begründung für den in Satz 1 ausgedrückten Sachverhalt handelt, wird nur nicht – wie oben in Bsp. (1) durch eine kausale Subjunktion – explizit gemacht (vgl. Brinker et al. 2001: 338f.), sondern wird geschlussfolgert. Dieser Schlussfolgerungsprozess wird in der Textlinguistik als Inferenz bezeichnet (vgl. Schwarz-Friesel/Consten 2014: 70; Breindl 2016: 38ff.; s. Kap. 4.2.5.1.5).
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