Nach diesem aufreibenden Luftkampf kletterte ich durchgeschwitzt, mit zitternden Beinen und flauem Gefühl im Magen aus meiner Maschine. Aus Spiel und Spaß an der Fliegerei war nun bitterer Ernst geworden. Es ging um Leben und Tod. Völlig ausgelaugt warf ich mich auf mein Feldbett und fiel sofort in tiefen Schlaf. Ein paar weitere weniger gefährliche Einsätze durfte ich noch fliegen, dann, am 6. Februar, verlegte man mich mit meiner Maschine nach Makejewka, wo meine Einheit von jetzt an stationiert sein sollte. Fünf Feindflüge hatte ich jetzt hinter mir und war begierig darauf, weiterzumachen. Aber erstmal lag ich flach.
Schon seit Tagen plagten mich üble Halsschmerzen. Bei dem kalten und windigen Wetter hatte ich mir eine schwere Erkältung geholt. Aber ich hatte mich nicht weiter darum gekümmert. Erst als es so schlimm wurde, dass ich kaum noch schlucken konnte, meldete ich mich beim Truppenarzt, der eine verschleppte Mandelentzündung und Fieber diagnostizierte und mich ins Lazarett schickte. Es waren aufreibende Tage. Immer wieder rauschte eine Me 109 über das Haus. Endlos zog sich die Zeit, bis ich schließlich als genesen aus dem Lazarett entlassen wurde. Voller Tatendrang kehrte ich zu meiner Einheit zurück, aber wieder war Waschküche angesagt, zu schlechtes Wetter zum Fliegen. Es hatte stark geschneit, und auf dem Platz gab es tiefe Verwehungen. Sitzbereitschaft! Wir saßen alle wie auf Kohlen, Frust machte sich breit, wann würde es endlich besser werden?
Am 22. Februar zeigte sich der Himmel schließlich von seiner freundlichen Seite.
Ich begleitete Oberleutnant Frielinghaus, der als Staffelkapitän das 6/JG3 kommandierte und gleich beim ersten Einsatz eine MiG-3 abschoss. Mich ließ er leider noch nicht zum Schuss kommen.
»Thyben, Sie müssen sich erst noch etwas einfliegen«, pflegte er zu sagen.
Beim zweiten Einsatz musste ich wegen eines Schadens am Getriebe des Verstellpropellers sofort wieder landen. Hektisch jagte ich mit einer anderen Maschine meiner Staffel nach, fand den Oberleutnant aber nicht mehr. Dieser Einsatz ging also komplett in die Hose.
Am 24. Februar feierte ich meinen 21. Geburtstag. Es war der erste Tag, an dem ich drei Einsätze fliegen durfte. Dreimal »Feindanflug!«, dreimal den Vogel steigen lassen, was der Motor hergibt. Adrenalin pur. Es kam zum Sichtkontakt mit russischen Jägern, doch die Burschen verdrückten sich bei unserem Angriff sofort in eine schützende Wolkendecke, sodass ich nicht zum Schuss kam. Bei einem weiteren Einsatz traf ich dann keinen Feind mehr an.
Die Russen waren uns damals noch deutlich unterlegen. Wir konnten mit mobilen Radargeräten und Sofortmeldestationen arbeiten, denen hatten sie nichts entgegenzusetzen. Dazu kam, dass die deutschen Bomberverbände sehr aktiv waren und sich die deutschen Bodentruppen erfolgreich verteidigten, sodass der Ansturm der Russen zurückgedrängt wurde.
Die Wochenschau berichtet vom 2000. Luftsieg der II JG Udet
Einen Tag später, am 26. Februar 1943, gerade zwei Tage nach meinem Geburtstag, gelang mir mein erster Luftsieg. Freie Jagd im Raum Stawanssk –Barawenkowa war befohlen. Im tiefhängenden Dunst erspähte ich eine Douglas A-20 Boston auf Südkurs. Von diesem Flugzeugtyp hatten die Amerikaner mehr als 2700 Maschinen an Russland geliefert. Jetzt gilt’s! Volle Konzentration, Thyben! Ich flog sie an, brachte meine Maschine in die richtige Position, zielte und schoss aus allen Rohren. Gleich der erste Feuerstoß setzte den Gegner in Brand. Aus dem linken Motor züngelten Flammen. Dem Piloten des getroffenen Flugzeugs gelang noch eine Bauchlandung, dann brannte die Maschine vollständig aus.
Der Bann war gebrochen, mein erster Abschuss gelungen. Total euphorisch kehrte ich zu meinen Kameraden zurück. So konnte es jetzt weitergehen! Aber schon am nächsten Tag gab es einen Dämpfer. Ich griff einen Bomber an, war aber viel zu übereifrig, schoss vorbei und musste zusehen, dass ich wegkam, um nicht von den Begleitjägern aufs Korn genommen zu werden.
Makejewka, 12. März 1943
Lieber Pappel. Es ist Zeit, Euch mal wieder zu grüßen. Wie geht es zu Hause? Ich denke viel an Euch. Die Freude über meinen ersten Luftsieg ist bereits verklungen. Seitdem bin ich nicht mehr viel geflogen. Das Wetter ist unser größter Feind. Mal können wir nicht fliegen, weil es schneit, mal weil es Schneeverwehungen gibt, mal weil alles vereist ist. Was tun wir, wenn wir nicht fliegen? Wir Flugzeugführer fahren zusammen zur Entlausung und in die Badeanstalt.Oder ins Kino. Einmal war ich abends im Theater in Stalino: »Madame Butterfly«. Es war wunderschön. Ein paarmal flog ich Platzschutz. Auch von einem erfolglosen Einsatz muss ich Dir berichten. Oberleutnant Frielinghaus wird bei Matwejew-Kurgan angegriffen. Wir fahren dazwischen und vertreiben die Burschen. Ich klemme mich hinter einen Russen, der kurvt wie ein Irrer. Die Burschen fliegen uns ein reines Kunstflugprogramm vor, und so kommen wir nicht zum gezielten Schuss. Kurz, es war eine richtige Krampftour. Die russischen Piloten sind höllisch gut. Was mich traurig macht ist, dass wir meinen Kameraden Heiner May verloren haben. Er kam vom Feindflug am 22. Februar nicht zurück und wurde jetzt aufgegeben. Ehre dem gefallenen Kameraden! Das soll Dir aber keine Angst machen, Pappel, ich pass schon auf mich auf.
Es grüßt Euch Euer Gerd
Der Verlust von Heiner May ging mir näher, als ich mir selbst zugestehen wollte. Oft hatte ich mit ihm an den langen Abenden im Kreis der Kameraden in unseren Unterkünften, die der Staffelkapitän mit lustig bemalten Schildern so wohnlich wie möglich hergerichtet hatte, zusammengesessen. Hier, wo jeder täglich zum Einsatz auf Tod und Leben bereit sein musste und jeder wusste, dass auch er einmal nicht zurückkehren konnte, herrschte ein besonderer Geist der Verbundenheit. Wir spielten Karten oder Schach, klönten, analysierten stundenlang unsere Einsätze, denn nicht einer glich dem anderen, und feierten uns als Helden. Nur einmal wagte einer unserer Kameraden laut auszusprechen, dass auch bei uns die Angst ein ständiger Begleiter war – allerdings erst, nachdem ihm ein paar Schluck Branntwein die Zunge gelöst hatten.
»Kameraden, wenn ich beim Start in eine Maschine steige, nehme ich die letzten Züge aus der Zigarette, dann hämmert mein Herz und mir zittern die Knie. Aber dann, wenn ich am Steuerknüppel sitze, ist der innere Kampf gewonnen.«
Unser Kamerad Heiner May hat seinen letzten Kampf leider verloren.
Am 13. März kommandierte man mich nach Pawlohrad ins Zentrum der Ukraine. Wegen dichten Nebels fielen die vorgesehenen Einsätze aber aus. Ich flog eine Runde Platzschutz, doch es war nichts los im Luftraum. Die Front stand geschlossen am Donez. Einer der Kameraden feierte Geburtstag, und der Abend endete in einem üblen Besäufnis. Noch halb alkoholisiert schleppte ich mich am frühen Morgen zu meinem Flugzeug, um Platzschutz zu fliegen. Ich musste mich sehr anstrengen, keinen Bruch zu machen.
In diesen Tagen lief es gar nicht rund für mich. Wir überführten sechs unserer Maschinen nach Dnjepropetrowsk, um sie bei unseren rumänischen Verbündeten abzuliefern. Bei der Landung auf der Betonbahn krachte ich zu schwer auf und beschädigte ein Fahrwerksbein. Auf dem Heimflug wurde ich von einem Feindangriff kalt erwischt, kassierte meinen ersten Treffer in der rechten Fläche und schaffte es gerade so mit Ach und Krach, heil zurückzukommen. Ein paar Tage später flogen wir einen Großeinsatz nahe Rostow. Bei starker Feindberührung verlor ich den Kontakt zum Feind und zur eigenen Einheit. Es wollte alles noch nicht so richtig klappen. Und die Pechsträhne hielt an. Oder war es mein Unvermögen?
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