Klaus Jürgen Diehl
1.
FEUER – HAMMER – SCHWERT: DIE BIBEL HAT ES IN SICH
Christen bekennen sich zur Bibel als Gottes Wort. Dabei werden uns in der Bibel keine menschlichen Mutmaßungen oder wohlmeinende Ratschläge gläubiger Autoren überliefert. Das entscheidende Qualitätsmerkmal der Bibel besteht vielmehr darin, dass sie von Gott selbst inspiriert und damit in allen wesentlichen Fragen des Lebens und Glaubens unbedingt verlässlich ist. Dazu muss Gott bei den Verfassern der biblischen Schriften den Schreibgriffel gar nicht bis in die letzte Formulierung hinein geführt haben. Aber gewiss hat er durch sie dafür gesorgt, dass wir über alles sorgfältig informiert werden, was zu unserem ewigen Heil notwendig ist. Und ebenso lässt er uns nicht im Unklaren darüber, wie wir ein ihm wohlgefälliges Leben führen können. Eben das hat Paulus im Blick, wenn er in 2. Timotheus 3,16 f. den Nutzen der Heiligen Schrift im Blick auf Lehre und Leben betont: „Denn alle Schrift, von Gott eingegeben (d. h. inspiriert), ist nütze zur Lehre, zur Zurechtweisung, zur Besserung, zur Erziehung in der Gerechtigkeit, dass der Mensch Gottes vollkommen sei, zu allem guten Werk geschickt“. Wie wirkmächtig die Bibel für unser Leben ist, veranschaulicht sie uns selbst in verschiedenen Bildern. Drei davon sollen an dieser Stelle kurz vorgestellt werden.
Gottes Wort – ein Feuer gegen kalt gewordene Herzen
In Jeremia 23,29 lesen wir: „Ist mein Wort nicht wie ein Feuer, spricht der Herr, und wie ein Hammer, der Felsen zerschmeißt“? In diesem Wort aus dem Propheten Jeremia ist zunächst davon die Rede, dass Gottes Wort „wie ein Feuer“ ist. Gott will mit seinem Wort unsere Herzen entflammen. Das ist heute umso notwendiger, wo immer häufiger ein gesellschaftliches Klima der „erkalteten Herzen“ zu beklagen ist. Wer sich dem Wort Gottes unvoreingenommen aussetzt, der bleibt davon nicht unberührt. Dessen Herz wird entzündet zur Liebe gegenüber anderen Menschen, aber auch gegenüber Gott und sich selbst. Wie gut tut es einem Menschen, der zum ersten Mal in der Bibel entdeckt, wie sehr sich Gott in seiner Liebe nach ihm sehnt, wie wertvoll er in Gottes Augen ist. Denn dieser war sogar bereit, aus Liebe seinen einzigen Sohn ans Kreuz zu liefern. Und wie großartig ist es, wenn sein bis dahin mitleidloses, ichbezogenes Herz anfängt, für andere zu schlagen und er „Feuer und Flamme“ ist, um sich tatkräftig ihrer Not anzunehmen. Als der japanische Sozialreformer Toyohiko Kagawa (1888–1960) einmal gefragt wurde, was ihn zu seiner außergewöhnlichen Lebensleistung befähigt habe, hielt er dem Fragesteller seine Bibel entgegen und sagte nur: „Darin allein liegt meine Kraft, meine ganze Kraft!“ Vor allem das Gleichnis Jesu vom barmherzigen Samariter hatte in jungen Jahren sein Herz so entflammt, dass er sich fortan mit beispielloser Hingabe für die Armen und Entrechteten in seinem Land einsetzte und zu einem der großen Sozialreformer Japans wurde.
Gottes Wort – ein Hammer, der blaue Flecken hinterlässt
In demselben zitierten Wort aus dem Propheten Jeremia ist auch davon die Rede, dass Gottes Wort „wie ein Hammer“ ist. Gott selbst lässt hier keinen Zweifel daran, dass sein Wort auch eine gewaltsame, zerstörerische Wirkung haben kann: Gottes Wort – das ist der Hammer! Ja, die Bibel räumt mit mancher gefährlichen Selbsttäuschung gründlich auf: So öffnet sie uns die Augen für die Tiefe unserer Schuld und deckt die Verkehrtheit unserer Lebenswege auf. Sie entlarvt unsanft die Selbsteinschätzung als Illusion, dass wir zwar nicht vollkommen, aber im Grunde doch von Natur aus gut seien und Gott daher mit uns zufrieden sein könne. Nein, so sagt uns die Bibel in unmissverständlicher Schärfe: Unser Herz ist böse von Jugend auf (1. Mose 6,5) und darum brauchen wir unbedingt ein neues Herz, wenn wir nicht für immer verlorengehen wollen. Das klingt brutal ernüchternd, aber es ist die für unser Heil notwendige Diagnose. Ja, die Bibel kann schon einmal wie eine mächtige Abrissbirne auf ein selbst gezimmertes, im Kern aber morsches Lebensgebäude wirken. Helmut Thielicke (1908–1986) bemerkt dazu: „Das Wort Gottes ist kein Ohrenschmaus, sondern ein Hammer. Wer keine blauen Flecken davonträgt, soll nicht meinen, es habe bei ihm eingeschlagen.“ Lassen Sie uns darum lieber mit blauen Flecken unser Leben retten, als selbstgefällig vor die Hunde zu gehen!
Gottes Wort – eine scharfe Klinge, die dazwischenfährt
Im Hebräerbrief wird das Wort Gottes mit einem scharfen Schwert verglichen: „Denn das Wort Gottes ist lebendig und kräftig und schärfer als jedes zweischneidige Schwert und dringt durch, bis es scheidet Seele und Geist, auch Mark und Bein, und ist ein Richter der Gedanken und Sinne des Herzens.“ Diese Feststellung lässt das Wort Gottes geradezu martialisch erscheinen: mit Rasiermesserschärfe scheint es dazwischenzufahren. Es geht durch Mark und Bein und sorgt für endgültige Trennungen. Es verwundert daher nicht, dass manche Kritiker in der Bibel bis heute „ein gewalttätig-inhumanes Buch“ sehen, das „als Grundlage einer heute verantwortlichen Ethik ungeeignet“ sei, wie der Psychologe und Religionskritiker Franz Buggle (1933–2011) meint. Doch übersieht er wie viele andere Kritiker, dass die „gewalttätig“ erscheinende Schärfe der Bibel nicht lebensbedrohlich, sondern lebensrettend ist. Welcher Kritiker unseres Gesundheitswesens käme wohl auf den Gedanken, Chirurgen die Schärfe ihrer Operationsbestecke vorzuhalten?! Schon ein Kind versteht: Je schärfer die Klinge des Chirurgen ist, umso leichter und exakter lässt sich der Tumor vom gesunden Körpergewebe trennen und umso größer ist die Chance auf Heilung. So will Gottes Wort nicht nur den lebensbedrohlichen Schaden unseres Lebens – Sünde und Schuld – aufdecken, sondern mit seinem Zuspruch der Vergebung zugleich heilen. Die Bibel ist darum immer beides zugleich: nüchterne Diagnose unseres elenden Ist-Zustandes und wirksame Medizin, die zu unserer Heilung führt. Wenn Gottes Wort wie eine scharfe Klinge unser Gewissen trifft, dann dient das einzig dem Ziel, es von Schuld und Schmutz zu reinigen, damit wir einmal aufrecht vor Gott, unserem Richter, stehen können.
2.
SOLLTE GOTT INKONSEQUENT SEIN?
Gott mit Inkonsequenz in Verbindung zu bringen, ist eigentlich unvorstellbar. Denn Inkonsequenz ist mit dem Odium fehlender Folgerichtigkeit und offensichtlicher Unbeständigkeit behaftet. Wer inkonsequent ist, bei dem besteht ein Missverhältnis zwischen Reden und Handeln. Das wird man Gott wohl in keiner Weise unterstellen können. Und doch gibt es überraschenderweise Geschichten bzw. Aussagen in der Bibel, wo Gott augenscheinlich inkonsequent ist oder unlogisch handelt. So wird uns in der biblischen Urgeschichte zunächst erzählt, dass sich der Mensch nach der Vertreibung aus dem Paradies nicht im Geringsten verändert hat: „Gott sah, dass der Menschen Bosheit groß war auf Erden“, lesen wir in 1. Mose 6,5. Daraufhin folgt als logische Konsequenz nach der Vertreibung aus dem Paradies das Strafgericht der Sintflut: „Ich will die Menschen, die ich geschaffen habe, vertilgen von der Erde“ (Vers 7). In 1. Mose 8,21 kommt Gott zu demselben Schluss wie vor der Sintflut: „Das Dichten und Trachten des Menschen ist böse von Jugend auf“. Aber diesmal handelt Gott ganz anders. Anstelle des zu erwartenden Gerichts beschließt er: „Ich will hinfort nicht mehr schlagen alles, was da lebt, wie ich getan habe“ (Vers 26 b). Ist das nicht inkonsequent? Unlogisch? Hätte Gott jetzt nicht aufgrund der anhaltenden Bosheit der Menschen folgerichtig zu dem Schluss kommen müssen: „Wenn die Menschen partout böse sind, dann mache ich jetzt endgültig Schluss mit ihnen! Dann ist das Projekt Schöpfung eben gescheitert!“ Aber nein. Gott handelt völlig anders: Er garantiert trotz ihrer anhaltenden Bosheit den Fortbestand der Menschheit, schließt einen Bund mit Noah und setzt als Zeichen seines Friedenswillens den Regenbogen in die Wolken.
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