»Es gibt keinen Grund, derart unterwürfig zu sein, Chirurg«, sagte der alte Senatsvorsitzende mit einer Stimme, die klang, als würde ein Messer geschliffen. »In Rom sind wir alle ebenbürtig. Ja, das sind wir. Wir saßen hier drinnen und genossen einen Becher Wein, als uns Drusus’ Schrei ins Atrium eilen ließ. Doch keinem von uns gelang es, den Täter zu sehen.«
»Wie ärgerlich.«
»Ärgerlich, ja«, pflichtete Crassus Orator widerwillig bei und rückte die Toga an seiner hochgewachsenen, schlanken Gestalt zurecht. »Allerdings vermuteten wir, dass es sich um eine Magenvergiftung handelte. Drusus hatte sich den Tag über mehrfach übergeben.«
»Ja, er hat den ganzen Tag lang gebrochen«, bestätigte Marius.
»Das macht mir mehr Sorgen als die Wunde.«
Bei Drusus setzte nun blutiger Durchfall ein. Die rotbraune Masse lief wie Ameisenstraßen an den vergoldeten Beinen des kostbaren Arbeitstisches hinab. Seine Pupillen weiteten sich, sodass sie schon Eingängen ins Totenreich ähnelten. Spucke klebte an seinen Lippen. Er krümmte sich krampfartig, und seine Arme mussten festgehalten werden, damit sie nicht wie Spatzenflügel durch die Luft flatterten.
Seine Wunde roch nun nach Kot.
Immer wieder spannte sich sein Körper vom Nacken bis zu den Fersen wie ein Bogen, während er auf der Tischplatte lag. Er schrie und schrie immerfort, bis seine Stimme nur noch ein heiseres Winseln war.
Drusus’ Leiden währte sechs Stunden. Als der Morgen graute, hatte er schließlich das Bewusstsein verloren. Kurz danach blieb sein Herz stehen.
Ich schloss seine Augen und trocknete den Schweiß von seiner Stirn. Marius legte eine Münze unter seine Zunge und hielt schweigend den Unterkiefer mit zwei Fingern fest. Ich band ihn nach oben, sodass der Rigor mortis den Mund des Volkstribuns für immer verschließen würde.
»Wie konnte das geschehen?«, murmelte der alte Senatsvorsitzende heiser und strich mit seiner Hand über seinen Scheitel. »Das ist eine schlimme Situation. Ja, eine furchtbare Misere.«
»Es ist ein Skandal!«, rief der Orator. »Wer wird sich trauen, Drusus’ Arbeit fortzuführen, wenn das der Lohn dafür ist, das Unrecht in Rom zu bekämpfen?«
Er richtete in einer demonstrativen Geste die geballten Fäuste zum Himmel, als würde er sich an eine größere Versammlung wenden. Was er auch tatsächlich machte.
Das Gerücht über das Attentat hatte im Laufe der Nacht die gesamte Stadt erreicht. Der Pförtner Petronius hatte nur die wichtigsten Mitglieder des Senats hereingelassen. Trotzdem war das Peristyl, von wo aus sie durch die Fenster des Tablinums den Begebenheiten folgten, voll. Das gedämpfte Murmeln der Senatoren hallte durch das Haus wie sanftes Regengeplätscher.
Der mir unbekannte blonde Mann wanderte unentschlossen in einer Ecke des Arbeitszimmers hin und her. Er fuhr sich mit seiner Hand über das sommersprossige Gesicht, als wäre er erst gerade erwacht. An der Tür blieb er stehen.
»Ich sollte mich lieber davonmachen«, sagte er.
»Du bleibst hier«, entgegnete der Orator, ihm den Rücken zugewandt. »Wie meinst du das? Es war ein Zufall, dass ich hier war. Es wäre verdammt ungeschickt, wenn ich bleiben würde.«
»Damit magst du Recht haben«, krächzte der Senatsvorsitzende, »aber hättest du darauf Rücksicht nehmen wollen, hättest du vor einer Stunde gehen müssen.«
»Wovon redest du, Scaurus?«
Der Senatsvorsitzende starrte schweigend auf den Boden. Crassus Orator übernahm es, dem Blonden die Lage zu erklären.
»Die Tradition schreibt vor, dass Familie und Freunde eines Verstorbenen mithelfen, die Leiche zu waschen.«
»Familie und Freunde? Zum Hades, ich gehöre weder zum einen noch zum anderen.«
Der Orator taxierte ihn mit seinen winzig kleinen, nadelspitzengroßen Pupillen.
»Du warst bei seinem Tod zugegen.«
»Das waren die da auch«, protestierte der Blonde und deutete aus dem Fenster hinaus.
»Die Senatoren hielten sich nicht in dem Zimmer auf, in dem der Tod eintrat. Aber wenn du gern den Mores maiorum trotzen möchtest, dann meinetwegen.«
Roms ungeschriebene Verhaltensregeln übertrat kein Patrizier ungestraft. Der Blonde griff nach einem Becher Wein und sank auf einen Stuhl.
Der Senatsvorsitzende und der Orator begannen, die Schriftrollen aufzusammeln und sie von Exkrementen und Blut zu säubern. Das führte jedoch nur dazu, dass sie sich selbst beschmutzten. Ein Sklave kam ihnen mit einem Leinentuch zu Hilfe. Sie arbeiteten schweigend weiter, während sie es sorgfältig vermieden, sich gegenseitig in die Augen zu schauen.
Die Stimmen der beiden Ärzte aus dem Garten unterbrachen die Stille. »Es gab keine Hoffnung«, verkündete der erste wie ein Schauspieler in einer griechischen Tragödie.
»Wir taten unser Bestes«, rief der andere, »aber vor Waffen und Gewalt muss die Wissenschaft weichen.«
Die Senatoren scharten sich um sie wie Spatzen um Brotkrumen auf der Straße.
»Das lange Schwert wurde mit gewaltiger Kraft geführt«, fuhr der Erste fort. »Der Mörder muss ein wahrer Riese gewesen sein.«
In dem Vorwort zu seiner Abhandlung De Medico schreibt Hippokrates, der Vater der ärztlichen Heilkunst, wie er, als er einen Patienten verloren hatte, von der erdrückenden Erkenntnis der engen Grenzen seiner Fähigkeiten übermannt wurde, und dass er sich nur in diesem Zustand erlaubte, irrational zu handeln. Ich berufe mich auf dieselbe Entschuldigung, als ich, mit der Mordwaffe in meiner Hand, zum offenen Fenster lief und rief: »Ist dies das lange Schwert, von dem ihr sprecht? Das so weit unten in Drusus’ Bauch steckte, dass es ein Kind hineingerammt haben könnte?«
»Trotzdem verursachte es seinen Tod«, schnaubten die Ärzte.
»Nein, das tat es nicht. Marcus Livius Drusus starb nicht durch den Messerstecher. Der Volkstribun hatte zwei Mörder.«
Ein einziger Blick in die Hydra aus Gesichtern der Senatoren führte dazu, dass ich den entgegengesetzten Weg durch das Atrium einschlug. An der Tür zur Straße saß Petronius. Er sprang auf und musterte mein Gesicht.
»Sag mir die Wahrheit. Der Dominus ist tot, nicht wahr? Es ist meine Schuld. Ich hätte dich sofort herbeirufen sollen.«
»Zumindest hast du Augen im Kopf. Du warst der Einzige, der den Messerstecher sah. Aber du hast dich nicht getraut, es mir zu erzählen. Du wusstest, dass nur ein Wundarzt deinem Dominus helfen konnte.« Das Gesicht des Sklaven verzog sich vor Entsetzen.
»Beruhige dich«, fuhr ich fort. »Er starb nicht durch den Messerstich. Dein Herr wurde vergiftet.«
Die Senatoren näherten sich uns und begannen, Fragen zu stellen. Was ich damit gemeint habe, Drusus habe zwei Mörder? Hätten zwei Männer ein und dasselbe Messer führen können?
»Halt deinen Mund, wenn dir dein Leben lieb ist«, flüsterte ich Petronius zu.
Er sah mir in die Augen und schien zu verstehen. Wir wussten beide, dass die Zeugenaussage eines Sklaven vor Gericht nur gültig war, wenn sie unter Folter erzwungen worden war.
Die Menge der Neugierigen auf der Straße vor dem Haus verlor augenblicklich jegliches Interesse an mir, als die Senatoren hinter mir auftauchten.
Ich drängte mich hinaus ins Freie. Auf der Vestatreppe lief ich an einigen Schaulustigen vorbei, die den Weg hinaufkamen. Auf dem Forum standen die Menschen bereits in Gruppen zusammen und diskutierten über den Tod des Volkstribuns.
Vor meinem Hauseingang, einer steilen Backsteintreppe zwischen einer Bäckerei und einem Weinhandel, stritten die Inhaber lautstark miteinander, obwohl sie sich einig darin waren, dass die Ermordung schlimm sei und man gegen solche Zustände etwas tun müsse. Über die Leiter im sechsten Stockwerk gelangte ich das letzte Stück hinauf durch die Dachluke in mein Zimmer.
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