Die Öllampen blendeten mich. Ich bemerkte kaum die drei Gestalten, die in der unruhigen Stille des prächtig ausgestatteten Tablinums standen oder saßen. Petronius führte mich an einem vollgestopften Bücherregal vorbei zu einem Vorhang in der äußersten Ecke des Raums.
»Ist er tot?«, fragte ein mit einer Toga bekleideter Senator, der die Hälfte der schmalen Schlafkammer auszufüllen schien. Sein tiefer Bass klang, als käme er eher aus dem Inneren der Erde als aus einem Menschen. Ich trat einen Schritt zurück, als ich ihn wiedererkannte. Es war zu spät, um zu flüchten. Ich blieb mit dem Rücken am Türrahmen stehen.
»Er ruht«, sagte ein griechischer Arzt, der am Kopfende kniete. »Das Schlimmste ist überstanden. Ich verordne Rosenwasser zur Reinigung.«
»Das wird das Gleichgewicht zwischen den Körperflüssigkeiten nicht wiederherstellen«, entgegnete ein anderer Arzt am Fußende des Bettes. »Welche Körperflüssigkeiten?«, brummte der Senator.
»Wie schon Aristoteles geschrieben hat, so beruht jede Erkrankung des Körpers auf einem Ungleichgewicht der vier lebenswichtigen Körperflüssigkeiten: Blut, Schleim, schwarze und gelbe Galle. Es ist deutlich, dass der Patient zu viel Blut hat. Ich verordne einen Aderlass.«
»Unsinn!«, knurrte der erste Arzt, »er ist dehydriert. Eine Wasserkur wird ihn heilen.«
Petronius schlängelte sich zu dem hochgewachsenen Senator und flüsterte ihm etwas zu, woraufhin er sich umdrehte.
»Demetrios!«
»Salve, General Marius«, sagte ich. »Es ist eine Freude, dich wiederzusehen.«
Marius sah immer noch so aus, wie ich ihn in Erinnerung hatte: Die sonnengebräunte Haut saß straff über der kräftigen Muskulatur des Gesichts. Die Nase wirkte wie ein uneleganter Klumpen über den breiten, aufgesprungenen Lippen. Über der hohen Stirn, die wie ein Acker gefurcht war, stand ein Büschel kurz geschorener, hellroter Haare. Er erinnerte an einen oft benutzten Gegenstand aus Leder, der draußen jedem Wetter ausgesetzt und erst kürzlich hereingeholt worden war.
»Was für eine Überraschung. Es müssen seitdem zehn Jahre vergangen sein.«
»Zwölf, General.«
»Das mag sein. Wo hast du dich aufgehalten?«
»In Subura. Ich bin meinem Ruf gefolgt.«
»Deinem Ruf? Du machst Witze?«
Die buschigen Augenbrauen zogen sich am Nasenrücken zusammen. Ich wich seiner Frage aus.
»Ist das der Mann, zu dessen Behandlung ich gerufen wurde?«
»Ach ja«, antwortete Marius, »mein Freund Drusus hat Magenschmerzen. Wir können die alten Erinnerungen auffrischen, wenn du ihn kuriert hast. Was sagst du zu all dem Geschwätz über Körperflüssigkeiten, Junge?«
Marius fiel unbeschwert in unsere alte, vertraute Ausdrucksweise.
»Aristoteles war Philosoph, kein Arzt. Ich kenne keine anderen lebenswichtigen Körperflüssigkeiten außer Blut.«
»Exakt meine Worte.«
Der General betrachtete mich, während er das Gewicht vom einen auf den anderen Fuß verlagerte. Dann siegte seine Neugier über die Verhaltensregeln.
»Sagtest du Subura? Wie hast du zwölf Jahre lang dort in diesem Loch leben können? Wusstest du nicht, dass ich nach dir gesucht habe? Beinahe hätte ich geglaubt, dass du dich vor mir versteckt hältst.«
»Selbstverständlich habe ich mich nicht versteckt, General«, log ich.
Der erste Arzt musterte mich und fragte auf Griechisch, wie alt ich sei. »Fünfundzwanzig Jahre«, antwortete ich.
»Dachte ich es mir doch. Lass lieber einen erfahrenen Medicus diese Sache erledigen. Wenn du einen Volkstribun falsch behandelst, kann deine Laufbahn vorbei sein, bevor sie begonnen hat.«
Solch einer Reaktion war ich schon früher begegnet, und ich hatte gelernt, ihr mit einschmeichelnden Worten zu begegnen.
»Ich bin nicht völlig unerfahren. Ich habe operiert, seit …«
»Ruhe!«, unterbrach der zweite Arzt. »Der Patient muss absolute Ruhe haben. Hör lieber auf meinen Kollegen. Das Leben eines Patienten ist eine ernste Sache.«
»Haltet alle beide den Mund«, wetterte Marius. »Glaubt ihr, ich verstehe euren Unsinn nicht, nur weil ihr Griechisch sprecht? Demetrios ist gut genug. Er ist der einzige Arzt, der mich jemals behandeln durfte.« »Tatsächlich?«, sagte der erste Arzt. »Was war das Problem?«
»Krampfadern«, entgegnete ich, als Marius zögerte.
»Ähm, ja.« Sein vernarbtes Gesicht verzog sich zu einem angestrengten Lächeln.
»Als du mit dem einen Bein fertig warst und in das andere schneiden wolltest, bin ich von deinem Tisch gehüpft.«
Marius’ Lachen hallte zwischen den kahlen Wänden wider.
»Bona Dea! Der Schmerz stand in keinem Verhältnis zu dem Nutzen. Doch wir dürfen Drusus nicht vergessen. Du sollst jetzt hören, was vorgefallen ist. Als wir gegen Abend vom Forum zurückkamen, wurde er auf der Straße aufgehalten. Er wollte mit einer Schar seiner Klienten sprechen. Sie waren uns auf unserem Weg gefolgt. Plötzlich fing er zu schreien an. Wir trugen ihn hier herein und riefen die Ärzte. Sie waren nicht von großem Nutzen, aber jetzt ist das Schlimmste sicherlich überstanden.«
Der Volkstribun Marcus Livius Drusus war Ende dreißig, schlank und mittelgroß. Er war bleich und das dunkle Haar war feucht vom Schweiß. Ich zählte seinen Puls, der wie ein Pferd galoppierte.
Vorsichtig wickelte ich die Toga von ihm ab. Unter ihren Falten entdeckte ich eine mögliche Ursache für seine Magenbeschwerden: In seinem Unterleib steckte bis zum Schaft ein Schuhmachermesser.
»Hol Wein«, rief ich zu Petronius, der schnellen Schrittes verschwand. »Hilf mir, ihn hochzuheben, Marius. Hier drinnen ist es zu eng.«
Mit einem Schrei erwachte Drusus. Die drei Männer, die im Arbeitszimmer gesessen hatten, stürzten herein und versperrten uns die Tür. Ich schob sie zur Seite wie lästige Kinder und fegte die Schriftrollen vom Arbeitstisch.
Petronius kehrte mit einer gefüllten Amphore zurück. Marius zwängte den Wein in Drusus hinein, der wie ein Fisch auf einem Schneidebrett zappelte. Stück für Stück zog ich das Messer heraus und roch an der Wunde. Sollte Darminhalt in die Bauchhöhle geflossen sein, wäre er nicht mehr zu retten.
»Wer versucht denn, jemanden mit solch einem Messer umzubringen?«, sagte Marius. »Die Klinge ist nicht länger als eine Hand.«
»Deine Hände sind größer als die der meisten anderen Menschen, General. Von euch anderen hat wohl auch keiner gesehen, wie das passiert ist?« Ich wandte mich an die drei Gäste im Tablinum, unterbrach mich aber selbst. »Ave Domini. Es war nicht meine Absicht, respektlos zu erscheinen.«
Der Senatsvorsitzende Scaurus, der erst kürzlich das hohe Alter von siebzig Jahren erreicht hatte, lächelte freundlich und brachte sein spärliches Haupthaar in Ordnung. Er war klein und hatte einen krummen Rücken. Sein Gesicht war verrunzelt wie ein alter Apfel. Er sah aus, als würde er beim kleinsten Windstoß umfallen. Dennoch steuerte er Gerüchten zufolge sowohl den Senat als auch seine blutjunge Ehefrau wie ein Kapitän sein Schiff.
Der andere war Licinius Crassus Orator. Wie sein Beiname andeutete, war er der beste Redner Roms. Der Klang seiner Stimme war den meisten vertraut, denn er brachte seine Redefähigkeit recht großzügig unter die Leute, was ihn aber auch anstrengend machte. Seine Augen, deren Pupillen so klein waren, dass sie kaum zu sehen waren, taxierten mich, als hätte er allergrößte Lust, mich anzuspucken.
Der Dritte kam mir auch bekannt vor, doch es wäre unhöflich gewesen, ihn nach seinem Namen zu fragen, und damit anzudeuten, dass er nicht so bedeutend war wie die anderen beiden Herren. Seine Toga war neu, der Purpursaum war noch fast schwarz. Er verneigte sich mit einem ironischen Lächeln auf den schmalen Lippen, eine Parodie meiner eigenen Reaktion. Sein helles, fülliges Haar umgab das bleiche, sommersprossige Gesicht.
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