Selbst in Aden, dem strategisch so wichtigen Punkt, erschien kein englischer Offizier oder Soldat an Bord. Bei Betreten der Hafenstadt trug man sich in eine Liste ein, und der englische Staatsbeamte, der sah, daß man Deutscher war, mühte sich in deutscher Sprache, uns bei dem Mieten eines Autos nach Aden behilflich zu sein. Er sagte uns freundlich-höfliche Worte über Hamburg, das er aus der Zeit vor dem Kriege kannte, und war uns auch beim Einschiffen wieder behilflich. Ganz im stillen — denn der Russe war mit uns — dachte ich, ob wohl bei uns in ähnlicher Lage ein deutscher Beamter ... — und Andernfalls, die meine Gedanken erriet, rief laut: »I Gott bewahre!«
Die Autofahrt nach Aden, auf der wir an Hunderten mit Kamelen bespannten Wägelchen vorüberrasten, bot Reize besonderer Art. Durch schmutzige Araberstraßen, in denen wir langsam fahren lassen, um Einblicke in die offenliegenden Wohnräume zu bekommen, führt der Weg durch Felsspalte und Tunnels hindurch, hinter denen plötzlich auf einem zerrissenen riesigen Kraterkessel die Stadt Aden sichtbar wird. Niedrige, weiß getünchte arabische Häuser, englische Kasernen mit exerzierenden Soldaten, ein großer Lagerplatz für Kamelkarawanen und als Ziel der Fahrt die berühmten in den Fels gehauenen Zisternen zur Sammlung des Regenwassers. Seit Jahren hat es hier nicht mehr geregnet. Die Riesenbassins sind leer. Wir steigen aus und bummeln durch die belebten Arabergassen, ehe wir die Rückfahrt antreten. Lebhafter Handel. Vornehmlich mit Straußenfedern. Aber auch mit Perlen, Tabak, Kaffee, Häuten, Fellen, Gummi und Aloe. Den Verkehr mit den Küstenländern Arabiens und Afrikas besorgen kleine Dampfer, die man wieder außerhalb der Stadt, von der großartig angelegten Felsstraße her zu Dutzenden auf dem Meere sieht. Pyramiden von Salz, das aus dem Meerwasser gewonnen wird, dazwischen kleine Windmühlen zum Pumpen des Wassers in die Verdunstungsbassins, beleben das Bild da unten, während das Auto den Berg hinuntersaust. In einem vierhundert Meter langen Tunnel karamboliert es mit einem Kamelfuhrwerk. Das Kamel stürzt, blutet. Das Auto ist beschädigt. Araber, Inder, Perser versammeln sich um uns und nehmen unter lautem Geschrei Partei für und wider. Ein junger, schwarzer Polizist steht ratlos. Die Situation spitzt sich zu. Ein englischer Offizier erscheint. Er fragt höflich beide Parteien, läßt zu Worte kommen, wer reden will — und lächelt. Die Araber, Perser, Inder blicken schon freundlicher. Der englische Offizier müht sich um das blutende Kamel — oder er tut doch so, gibt ein paar Ratschläge und ein paar Rupien und bewirkt, daß beide Parteien mit dem Gefühle, zu ihrem Recht gekommen zu sein, weiterziehen. — Muß man wirklich bis Aden reisen, um zu erkennen, daß es auch andere Mittel gibt, um Streitigkeiten zu schlichten, als rohe Gewalt? Mir scheint: nein! — es sei denn, daß beide Teile Kamele sind.
Von Aden nach Ceylon ist eine weite Reise. Zehn Tage und Nächte ohne Unterbrechung auf dem Meer. Also schnell noch einmal mit dem Motorboot an Land. Der Commandante ist ein viel zu großer Menschenfreund, um uns in Aden zurückzulassen.
Unser Eifer hat seine Gründe. In Aden ist Fischmarkt. Wer weiß, was das bedeutet, kommt — wenn auch nur, um zu schauen! Ich kann nicht prüfen, ob es wirklich über zweihundert Arten Fische sind — wie man uns versichert —, die hier feilgeboten werden. Vier kapitale Haifische, von denen einer schon zur Hälfte verkauft ist, sind etwas Alltägliches, und man versteht nicht, was wir daran bestaunen.
Wer gab all diesen Fischen Namen? Wie ist es möglich, sie dem Gedächtnis einzuprägen? — Unser China-Deutscher verblüfft von neuem. Er kennt nicht nur die Namen, er weiß auch die Preise, die Zubereitung und Bekömmlichkeit. Ich empfehle ihn der Aufmerksamkeit Karl Baedekers, der sich hoffentlich doch bald entschließt, seinem Indien ein China und Japan folgen zu lassen. — Der Geschmacksunterschied selbst in Größe und Aussehen sich ähnelnder Fische scheint groß zu sein. Wozu sonst die leidenschaftlichen Debatten einkaufender Eingeborenenfamilien vor dem Verkaufsstand von Fischen, die sich ähneln wie ein Hering dem andern? — Hingegen will mir die Aehnlichkeit eines weiblichen Menschen mit dem Meerwunder, der »Seejungfrau«, nicht eingehen, obschon Andernfalls vor einem besonders gelungenen Exemplar begeistert ausruft: »Genau wie unsere Portiersfrau!« — Mir scheint, daß unsere prächtigen Seehunde der Nordsee denn doch mehr Anspruch auf die zweifelhafte Ehre haben, als Menschen angesprochen zu werden.
Vom Wasser tönende Signale mahnen uns zur Rückkehr — und zehn Minuten später geleitet der Lotse unser Schiff aus dem Hafen. Fliegende Fische, die bis zu fünf Metern Höhe aus dem Meere emporschießen, am Tage, prachtvolle Sonnenuntergänge und ein leuchtender Sternenhimmel am Abend sind nun zehn Tage lang die einzige Abwechslung, die uns die Natur bietet.
Andernfalls und der junge Russe sind sich klar, daß Zerstreuung auf dem Schiff über dies Gleichmaß hinweghelfen muß. Sie sinnen auf Unterhaltung.
»Ihre für Indien bestimmten Seidenschals,« meint Andernfalls.
»Was ist damit?« fragt der Russe.
»Wir veranstalten eine Ausstellung.«
»Hier an Bord?«
»Selbstverständlich!«
Und am nächsten Tage gleicht der Salon an Bord einem indischen Märchen. Den kostbarsten Schal hatte Andernfalls selbst umgelegt. Jeder begehrt ihn. Und der Umstand, daß er käuflich ist, erhöht den Reiz. — Der siamesische Graf kann sich nicht satt sehen.
»Sie können bestellen,« sagt Andernfalls, »die Chemnitzer Firma liefert in sechs Monaten.«
Beatrice, seine schöne schlanke Frau, steht neben ihm. Sie wählt mit viel Geschmack und bestellt.
»Ein Dutzend von jedem?« fragt Andernfalls und tut arglos.
Beatrice sieht sie erstaunt an. Der Graf erblaßt.
»Sie werden vermutlich doch für jede Ihrer Gattinnen ...« fährt Andernfalls fort.
Der Russe pfeift irgendeine Melodie.
»Und gesondert verpackt?« fragt sie weiter.
»Was hat das zu bedeuten?« fragt Beatrice.
Der Russe pfeift durch die Zähne.
»Oder wünschen Sie für die übrigen elf Gattinnen andere Muster?« wendet sich Andernfalls an den Grafen.
Beatrice begreift. Sie benimmt sich wie eine Romanfigur, geht ein paar Schritte auf den Grafen zu, brüllt: »Du Lump!« und verschwindet in ihrer Kabine.
Durch Andernfalls, die allein Zutritt hat, läßt sie dem Grafen, der scheinbar alles tut, sie zu versöhnen, bestellen, daß sie erst hinter Penang, also wenn der Graf ausgestiegen ist, wieder an Deck kommen wird.
Noch ist der Uebergang der syrischen Sklavin in Andernfalls’ Dienste nicht vollzogen, da steigt mit Beatrice eine neue Gefahr auf. Andernfalls erklärt nämlich, daß wir die Pflicht hätten, uns Beatrices anzunehmen. — Beatrice gefällt mir zwar ausgezeichnet — aber alles hat seine Grenzen.
Der Graf, der sieht, daß Beatrice für ihn verloren ist, weicht nicht von meiner Seite. Er spricht fortgesetzt von »Allenfalls« — womit er »Andernfalls« meint — und versucht, mir klarzumachen, daß er unmöglich ohne Frau, zu deren Empfang alles in der Heimat vorbereitet sei, heimkehren könne. Ich verstehe! Aber meine Einwände, die er »kleinlich« und »echt europäisch« nennt, bleiben ohne Eindruck. Um so überzeugender wirkte der Bescheid, den ihm Andernfalls auf seine Werbung hin gab — und zu dem der Russe wieder seine Melodie pfiff. —
»Na,« sagt gegen Abend der Commissario, der nächst dem China-Deutschen hellste Kopf an Bord, »auf so einer Seereise erlebt man doch was.«
»Das wäre alles sehr schön,« erwidere ich, »wenn dieser ‚man‘ nicht gerade ich wäre.«
»Erlauben Sie,« widerspricht er, »der leidende Teil ist doch der Graf aus Siam.«
Mir, der ich weiter sehe, erscheint das zweifelhaft, und nachts träume ich, obschon der Indische Ozean spiegelglatt liegt: es war Herbst und ein Schiff lief in den Hafen von Triest ein. Ein Mann entstieg ihm, der mir zum Verwechseln ähnlich sah. Und diesem Manne folgten zwölf Frauen.
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