Weitaus mehr wird Guardiola allerdings von einem anderen Primera-División-Trainer geprägt. Am 1. Spieltag der Saison 1996/97 empfängt Barça Real Oviedo. Die Kicker aus dem Fürstentum Asturien spielen mutig und gut, unterliegen aber mit 2:4. Trainer der Gäste ist der 30-jährige Baske Juan Manuel „Juanma“ Lillo, dem im Alter von 16 Jahren mitgeteilt wurde, dass er als Spieler nichts tauge – weshalb er schon im Juniorenalter ins Trainergewerbe wechselte. Mit nur 26 Jahren übernahm Lillo den Drittligisten DU Salamanca, den er innerhalb von drei Jahren in die Erstklassigkeit führte. Der Baske ist ein Intellektueller und Fußballphilosoph, dessen Denken über das Spiel von César Menotti, Jorge Valdano, Francisco Maturana und Angel Cappa beeinflusst wird. *Lillo gilt als Erfinder des 4-2-3-1-Systems mit zwei defensiven Mittelfeldspielern („Doppelsechs“) und ist überzeugt, dass „wir uns im Fußball von Begriffen wie Angriff und Verteidigung lösen müssen. Angriff und Verteidigung existieren nicht. Das sind Hilfsbegriffe, die wir uns aus kollektiven Sportarten entlehnt haben, die mit der Hand gespielt werden. Aber im Fußball kannst du den Ball eben nicht festhalten.“
Kurz nach Ende des Spiels im Camp Nou klopft es an der Tür der Gästekabine. Lillo: „Es war Pep Guardiola, der sich noch gar nicht umgezogen hatte und mich fragte, ob er sich eine Minute mit mir unterhalten könnte. Als ob ich mich nicht gern mit dem besten Mittelfeldspieler der Fußballgeschichte unterhalten würde! Er erklärte mir, dass ihm die Spielweise meiner Mannschaft sehr gut gefalle und dass er gern mit mir in Kontakt bleiben wolle. Und was als kleine berufliche Begegnung begann, entwickelte sich dann zu viel mehr.“ Juanma Lillo teilt noch Jahre später mit Johan Cruyff die Überzeugung, dass es keinen mannschaftsdienlicheren Mittelfeldspieler gegeben habe als Pep Guardiola.
In der Meisterschaft muss Barça Real den Vortritt lassen. Die Blaugrana schießen zwar 17 Tore mehr als der Meister (und 45 mehr als der Dritte La Coruña), aber nach 42 Spieltagen hat Real trotzdem zwei Punkte mehr auf dem Konto. Guardiola bestreitet mit 38 Saisoneinsätzen so viele wie nie zuvor und nie wieder danach.
Erfolgreicher ist Robsons Team in den Pokalwettbewerben. Im Finale um die Copa del Rey, den spanischen Vereinspokal, spielt Barça gegen Real Betis. Zur Halbzeit steht es im Madrider Bernabéu-Stadion 1:1. In der Kabine beraten die Spieler mit Mourinhos Hilfe, wie man die Schwächen des Gegners auf der linken Abwehrseite besser ausnutzen kann. Robson ist nur Zuhörer. Am Ende gewinnt Barça mit 3:2.
Im Europapokal der Pokalsieger räumt Barça nacheinander AEK Larnaka, Roter Stern Belgrad, AIK Solna und den AC Florenz souverän aus dem Weg. Im Finale trifft Barça auf den Titelverteidiger Paris Saint-Germain. Spielort ist am 14. Mai 1997 das mit 52.000 Zuschauern ausverkaufte Feyenoord-Stadion De Kuip in Rotterdam. Wie im Finale von 1992 amtiert mit dem 35-jährigen Markus Merk ein Deutscher als Schiedsrichter.
Der „kicker“ verspricht eine „Samba in Rotterdam“, denn in den Kadern der Finalisten stehen insgesamt fünf Brasilianer: bei den Katalanen der erst 20-jährige Ronaldo und Giovanni, bei den Franzosen Ricardo Gomes, Rai und Leonardo. Allerdings empfiehlt das Fachblatt, auch noch zwei andere Akteure zu beachten: „Barça hat mit den beiden Spaniern und Mittelfeldspielern Josep Guardiola und Iván de la Peña Supertalente in seinen Reihen, die zuletzt sogar Ronaldo in den Schatten stellten. Kein Wunder, dass diesmal nicht der Titelverteidiger Paris Saint-Germain, sondern sein Herausforderer als Favorit für den Gewinn des Europacups gilt.“
Aus dem Dream-Team von 1992 stehen in Rotterdam nur noch Guardiola und Albert Ferrer in der Anfangsformation. Stoichkov wird erst in der 85. Minute eingewechselt, Guillermo Amor (der im Finale 1992 aber nicht spielte) kommt nach der Halbzeitpause auf den Platz. Das Tor hütet der Portugiese Vitor Baia, die Abwehr wird vom Portugiesen Fernando Couto organisiert, das defensive Mittelfeld bilden Guardiola und der rumänische Kapitän Gheorge Popescu. Vorne stürmt neben dem Brasilianer Ronaldo der Portugiese Luís Figo.
In der 37. Minute überwindet Ronaldo Saint-Germain-Keeper Bernard Lama vom Elfmeterpunkt, und dieses 1:0 hält bis zum Schlusspfiff. Guardiola erhält vom „kicker“ die Note 3,5, der Korrespondent resümiert: „In spieltechnischer Hinsicht übertraf es das erste UEFA-Cup-Endspiel zwischen Schalke und Inter deutlich. Von der erhofften brasilianischen Fußball-Samba aber waren nur Spurenelemente erkennbar.“
Der Zauber, den Cruyff mit dem FC Barcelona und Sacchi mit dem AC Mailand veranstaltet hatten, war Vergangenheit. Aus heutiger Sicht ist es fast unglaublich, wie defensiv damals noch (bzw. wieder) in Europa gespielt wurde. In derselben Saison bestreitet Schalke 04 sein zweites UEFA-Cup-Finalspiel bei Inter Mailand fast ausschließlich mit Defensivspielern und der Vorgabe: „Die Null muss stehen.“ Der technisch beste Mann des Teams, Olaf Thon, spielt Libero.
Da der FC Barcelona nicht bereit ist, dem nun 26-jährigen Guardiola einen neuen Vertrag zu verbesserten Konditionen zu geben, will Pep zum AC Parma in die italienische Serie A wechseln. Auch der AC Mailand, AS Rom und der AC Florenz interessieren sich für den Katalanen. Zwischen Guardiola und Parma ist bereits alles klar, und der Spieler hat sogar schon unterschrieben, da erhebt Präsident Núñez Einspruch. Der FC Barcelona verliert bereits Ronaldo an Inter Mailand. Im Kampf um seine Wiederwahl will der Barça-Boss nicht auch noch den Wechsel der Identifikationsfigur Guardiola bekanntgeben müssen. Nun erhält Guardiola einen neuen Vierjahresvertrag. Sein damaliger Berater Josep Maria Minguella: „Letztlich wurde es für Barça teurer als eine sofortige Verlängerung. Wir hatten ja schon einen fertigen Vertrag mit Parma, und den toppte Barça dann noch einmal.“
Beim Finale in Rotterdam saß auch Louis van Gaal auf der Tribüne, der 1995 mit Ajax Amsterdam die Champions League gewonnen hatte. Guardiola ist ein großer Fan dieses Ajax-Teams: „Mir fiel die Kinnlade herunter, als ich van Gaals Ajax spielen sah. Das Tempo des Passspiels und der Bewegungen, die Flügelstürmer. (…) Spieler mit der Mentalität Johan Neeskens’ und den technischen Fähigkeiten Johan Cruyffs. Sie gingen totales Risiko ein. Dieses Ajax überwältigte mich. Die Disziplin des Teams, der Ballbesitz. Es sah so einfach aus und war so zerstörerisch. Für Madrid, AC Milan, Bayern … erstaunlich. Ajax erteilte allen eine Fußball-Lektion.“
Längst pfeifen die Spatzen vom Dach, dass der Niederländer Robson ablösen wird, obwohl dieser noch einen Vertrag bis 1998 hat. Angeblich ist van Gaal nur als Direktor für die Nachwuchsakademie vorgesehen. Aber wenig später wird Robson auf den Posten des Sportdirektors abgeschoben, und der Niederländer übernimmt die Profimannschaft.
Robson, der im Sommer 1998 zum PSV Eindhoven zurückkehren wird, empfiehlt van Gaal die Weiterbeschäftigung Mourinhos: „Ich erzählte ihm: Louis, er kennt die Stadt, er kennt den Klub, er kennt die Spieler. Er spricht ein fantastisches Spanisch und kann für dich das Gleiche tun wie für mich. Er ist ein Aktivposten.“
So übernimmt van Gaal den Portugiesen – nicht zur ungeteilten Begeisterung. Für die Medien ist José Mourinho weiterhin nur El Traductor, der Übersetzer, und auch die Barça-Spitze nennt ihn zum Zeitpunkt der Ankunft van Gaals noch immer so. Van Gaal: „Manchmal glaube ich, dass ich der Einzige war, der an José glaubte. Ich sprach über José immer als einen Fußballmann. Mit der Zeit begannen auch die Funktionäre, ihn mit dem Respekt zu behandeln, der einem Assistenztrainer gebührt. Ich nahm ihn ernster als die meisten Leute im Klub, weil ich in einer Position war, ihn beurteilen zu können.“
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