Bei Sporting herrschten chaotische Arbeitsbedingungen. Der Präsident verpflichtete Spieler am Trainer vorbei. In der Saison 1992/93 wurde Sporting Dritter, aber im Dezember 1993 wurde Robson gefeuert, nachdem sein Team im UEFA-Cup gegen Casino Salzburg ausgeschieden war. Der Engländer ging zum FC Porto, begleitet von Mourinho. In Porto wurde aus dem Übersetzer ein Assistenztrainer, wenngleich Robson ihm weder hier noch bei seiner folgenden Station die Verantwortung für das Training übergab. Aber Mourinho brachte nun in die Planung des Trainings seine eigenen Ideen ein, besorgte das Scouting und schrieb Berichte über kommende Gegner. (Sein erstes ausführliches Scouting-Dossier verfasste Mourinho bereits als 15-Jähriger für seinen Vater Felix, einen ehemaligen Profifußballer, der einer der besten Keeper in der Geschichte von Vitória Setúbal war und auch acht Minuten lang das Tor der portugiesischen Nationalelf hüten durfte. Als Trainer wurde er mit Rio Ave Fünfter in der 1. Liga und zog in das spanische Pokalfinale ein, verbrachte aber nur eine Saison komplett im Oberhaus.)
Robson war beeindruckt: Der Portugiese konnte ein Spiel exzellent lesen. Noch wichtiger war für ihn, dass er nahe bei den Spielern war und „ihre Psychologie verstand“. Die Zusammenarbeit zahlte sich rasch aus. Als Robson und Mourinho in Porto ankamen, befand sich der Klub in einem armseligen Zustand. Doch 1995 und 1996 wird Porto mit dem englisch-portugiesischen Duo Meister.
„José und Pep hatten ein gutes Verhältnis“
Beim FC Barcelona unterschreibt Robson nur unter der Bedingung, dass Mourinho ihn begleiten darf. Dessen Status ist deutlich gewachsen. In Porto musste „Mou“ sich mit einer Jahresgage von 35.000 Pfund begnügen, was bereits deutlich mehr war, als ihm bei Sporting gezahlt wurde. In Barcelona kassiert er nun jährlich 300.000 Pfund, mehr als das Achtfache. Spötter bezeichnen den Portugiesen als bestbezahlten Übersetzer im Weltfußball.
Da er keine Meriten als Profikicker mitbringt, stößt der Assistent bei den Barça-Spielern zunächst auf Skepsis. Denn mehr als einige Einsätze in der 2. Liga hat Mourinho als Spieler nicht absolviert, in der Regel als Zentralverteidiger, manchmal auch im defensiven Mittelfeld. Höhepunkt der kurzen Karriere war ein Hattrick für den von Mourinhos Vater Felix trainierten Lissaboner Traditionsverein Belenenses, hinter Benfica und Sporting die Nr. 3 in der portugiesischen Metropole. Die drei Treffer erzielte „Mou“ allerdings gegen einen ziemlich schwachen Gegner, der an diesem Tag 17 Tore kassierte.
Aber nach und nach kann Mourinho die Barça-Kabine überzeugen – durch geschickte Videoanalysen und gute Vorbereitung auf die Stärken und Schwächen des Gegners. Auch sein Chef Bobby Robson hat zunächst einen schweren Stand bei den Spielern. Der Schatten seines Vorgängers Cruyff ist lang. Dass der Engländer trotzdem überlebt, hat er möglicherweise seinem Übersetzer zu verdanken. Robson ist bei Amtsantritt bereits 63, sein Assistent 30 Jahre jünger, weshalb er einen besseren Zugang zu den Spielern hat. Außerdem begnügt sich Mourinho nicht damit, die Ausführungen seines Chefs einfach zu übersetzen, sondern ergänzt sie durch eigene und dezidiertere taktische Anweisungen. Vor allem die Spieler, die etwas mehr über den Fußball nachdenken, sind bald vom Portugiesen angetan.
Zu ihnen gehört zuvörderst Pep Guardiola, der seine eigene Meinung vom Spiel hat und diese auch kundtut. Robson: „José sah, dass er (Guardiola, Anm. d. A.) eine wichtige Figur im Klub war, und sagte sich: ‚Ich muss ihn kennenlernen, ich muss mit diesem Burschen klarkommen.‘ Und es gelang ihm. José und Pep hatten ein gutes Verhältnis. Sie respektierten einander.“ Ein Vorteil sei gewesen, dass sich beide problemlos verständigen konnten: „Auf Spanisch, mitunter auch auf Katalanisch.“ Nach seiner Ankunft in Barcelona hatte das Sprachgenie Mourinho Katalanisch gelernt. Für Robson hatte er sich dadurch unersetzlich macht – und bei den Katalanen im Team mächtig gepunktet.
Sowohl Mourinho wie Guardiola hegen Jahre später nur positive Erinnerungen an ihre gemeinsame Zeit in Barcelona. Mourinho: „Ich hatte seinerzeit eine gute Beziehung zu ihm.“ Der höfliche Guardiola reiht Mourinho sogar in die Riege seiner ersten Mentoren ein. Im April 2011 – die Rivalität zwischen ihm und Mourinho strebt gerade ihrem Höhepunkt entgegen – erklärt Guardiola auf einer Pressekonferenz, der FC Barcelona habe Mourinho in seiner Ausbildung zum Trainer „ebenso geholfen, wie er mir geholfen hat, Trainer zu werden“.
Der Sohn des Maurers und der Privatschüler
Von ihrer jeweiligen Herkunft her können die Unterschiede zwischen Guardiola und Mourinho kaum größer sein: Guardiola ist in einfachen Verhältnissen aufgewachsen und in einem politischen und kulturellen Milieu, das vom Widerstand gegen das Franco-Regime geprägt war. Mourinho verbrachte seine Jugend in einem großzügigen Haus, das auf dem riesigen Anwesen seines wohlhabenden Großonkels Mário Ascensão Ledo stand. Der Besitzer von Fabriken für Sardinen-Konserven in Setúbal, Oporto und an der Algarve gehörte zu den Profiteuren des autoritären Salazar-Regimes, Portugals Entsprechung zu Franco. Salazar starb 1970, fünf Jahre vor Franco. Sein Estado Novo wurde 1974 von der Nelkenrevolution hinweggefegt, und die Familie von Mário Ascensão Ledo verlor ihr Sardinen-Imperium an „die Kommunisten“, wie es ein Onkel Mourinhos formulierte. Natürlich verarmte die Familie dadurch nicht. Während der Maurersohn Guardiola das Fußballspiel auf den staubigen Straßen Santpedors erlernte, kickte der Privatschüler Mourinho im gepflegten heimischen Garten unter schattenspendenden Bäumen.
Aber zwischen Pep und „Mou“ gibt es Gemeinsamkeiten. Auch Mourinho beschäftigte sich bereits als Spieler intensiv mit Trainingslehre und Taktik des Fußballspiels. Auch Mourinho pflegte die Eindrücke, die er als Spieler beim Training gewann, detailliert zu notieren. Beide waren als Spieler schnelle Denker – mit dem erheblichen Unterschied, dass Mourinho technisch zu limitiert war, um seine Gedanken auf dem Spielfeld umzusetzen. Joao Malheiro, ein mit Mourinho befreundeter Schriftsteller: „Man sah früh, dass sein Kopf schneller war als seine Füße.“
Sowohl Guardiola wie Mourinho sind an fremden Sprachen interessiert und lernen sie rasch. Mourinho spricht sechs Sprachen fließend: Portugiesisch, Spanisch, Katalanisch, Englisch, Französisch und Italienisch. Als er 2008 Trainer von Inter Mailand wird, genügen ihm drei Wochen Sprachunterricht, um seine erste Pressekonferenz bei den Nerazurri ausschließlich in Italienisch zu bestreiten. Pep Guardiola wird als Trainer die Fragen der Journalisten häufig in deren Landessprache beantworten – auf Englisch, Italienisch, Französisch, Katalanisch oder Spanisch. Außerdem teilen beide ein Interesse an Philosophie und Literatur. Als Student besuchte Mourinho gern die Vorlesungen des Philosophen Manuel Sérgio, der ihn lehrte, dass Sport keine rein physische Aktivität sei. Weshalb es wichtig sei zu verstehen, wie Menschen funktionieren.
Begegnung mit Juanma Lillo
Auch beim FC Barcelona ist Mourinho seinem Chef Robson näher als der offizielle zweite Mann José Ramón Alexanko, ein ehemaliger Barça-Mannschaftskapitän. Längst ist Mourinho nicht mehr nur der bestbezahlte Übersetzer, sondern, so Robson, auch der „bestbezahlte Scout der Welt“.
Robson und Guardiola haben häufig Differenzen. Der Führungsspieler ist enttäuscht, dass Robson ihn nicht zum Kapitän ernennt. Vor allem aber haben der Trainer und Guardiola unterschiedliche Ansichten über die Taktik. Diese kontroversen Taktikdebatten sind noch Jahre später Robsons hartnäckigste Erinnerung, wenn der Name Guardiola fällt. Guardiola will Cruyffs 4-3-3 bzw. 3-4-3 spielen, Robson bevorzugt indes das „englische“ 4-4-2. Dennoch prägt gegenseitige Wertschätzung die spätere Sichtweise. Guardiola versichert, er habe mit Robson ein „fantastisches Jahr“ verlebt: „Er war ein sehr erfahrener Trainer, mit klaren Ideen.“ Und Robson ist beeindruckt, „mit welcher Geschwindigkeit Pep Dinge lernte. Als Mensch und Fußballer ist Pep sehr intelligent. Taktisch ist er Weltklasse.“ Vor dem Champions-League-Finale 2009 mutmaßt der todkranke Robson über Guardiola: „Wenn er als Trainer auch nur halb so gut ist wie als Spieler, wird er gewinnen.“
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