Dann wandte er sich Nadja zu.
Er sagte ihr voraus, sie werde eine Tochter und einen Sohn haben. Dann: „Du hast drei Schwestern und zwei Brüder.“
„Nein. Ich habe eine Schwester und einen Bruder.“
Er warf die Muscheln abermals und sagte:
„Das ist nicht möglich. Du hast nur einen Bruder?“
„Ja.“
„Ein Bruder ist gestorben. Seine Krankheit begann im Kopf.“
„Ja, das stimmt. Ich habe ihn vergessen. Er ist kurz nach der Geburt gestorben.“
„Du träumst oft davon, dass du mit David schläfst. Es ist aber in Wirklichkeit ein Geist, der sich als David ausgibt. Du hast bis jetzt nicht viel Geld. Du brauchst eine goldene Halskette, das wird dir Glück bringen. Du hast eine Maschine nicht gekauft, die du kaufen wolltest vor der Abreise. Du musst hundert Kauris darbringen, dann wird es ein gutes Jahr werden.“
Dann fragte Nadja nach ihrer gesundheitlichen Situation.
Coulibaly sprach von Blähungen und Völlegefühl, von zu viel Speichel, Erbrechen, Geräuschen im Bauch, kleinen Würmern und versprach Medizinen dagegen.
Nadja sagte ihm, sie sei Diabetikerin. Er fragte sie, unter was für Symptomen sie leide.
„Unter keinen, im Prinzip, solange ich Diät halte und regelmäßig die Spritzen mache.“
„Dann ist die Krankheit auch nicht sichtbar für mich, beziehungsweise es ist dann gar keine Krankheit. Du hast ja keine Schmerzen, und alles funktioniert. Ich kann Dir aber trotzdem eine Medizin machen. Wir brauchen vor allem Erdnüsse und Bohnen.“
(Das war insofern interessant, als wir ein halbes Jahr vorher eine Heilerin in Jerusalem konsultiert hatten, die gegen Diabetes ebenfalls das Einreiben von Erdnussöl und häufiges Essen von grünen Bohnen empfohlen hatte.) Er versicherte sich nochmals, ob wir alles Benötigte aufgeschrieben hätten, und damit war die Konsultation zu Ende.
Ich fragte ihn, ob ich ein Foto „nehmen“ könne – „Je pourrais prendre une photo ?“
Er missverstand mich, holte einen Briefumschlag mit alten Fotos und wollte mir freudestrahlend eines schenken, das ihn mit einer Ziege vor dem Haus zeigte.
Ich erklärte ihm, ich würde gerne selber ein Foto von ihm machen und ihm eine Kopie schicken.
Er nahm seinen Fetisch und posierte damit, stolz lächelnd.
Nun zog er sein Zauberhemd aus, und wir gingen zusammen auf den Markt zu einem „magischen Einkauf“.
Ein weißer Hahn für 1700 CFA, sieben weiße Kolanüsse und eine Plastikflasche Kuhmilch gegen meine Angstträume.
Ein weißer Stoff gegen die Sorgen meiner Mutter.
Eine Goldkette für Nadjas Reichtum, für umgerechnet etwa 40 Fr.
Langsam wurde es uns etwas zu teuer, und bei meinem Silberring (für Glück und Schutz) gab es eine längere Diskussion darüber, welches Modell adäquat sei. Coulibaly beharrte darauf, es müsse ein großer Ring mit einer flachen, glänzenden Fläche sein, wie ein Siegelring, aber ohne Verzierung.
Die Ausgaben summierten sich und es kamen mir Zweifel, wie viel ich wirklich auszugeben bereit war. Mich beruhigte allein der Gedanke, dass der Gewinn Coulibalys dabei eigentlich minimal und eigennützige Interessen von ihm deshalb ausgeschlossen seien. Klar wurde mir allerdings bei diesem Marktgang, wie sehr Magie, Opfertiere, Glücksbringer und Nahrungsmittel für rituelle Zwecke auch ein beträchtliches Marktsegment in Afrika darstellen. Weiter hatten wir einzukaufen: ein Ei (gegen meinen kleinen, dicken Widersacher), hundert Kaurimuscheln für Nadja, Erdnüsse, Bohnen und diverse andere Zutaten für die Medizin.
Inzwischen war es etwa 1 Uhr mittags. Wir kehrten zurück und Coulibalys Frau bot uns Reis und Schafleber an.
Als er unsere Einkäufe überblickte, stellte er fest, dass wir doch einiges vergessen hatten. (Der ganze Einkauf war etwas chaotisch gewesen. Wir hatten ihn zum Beispiel wiederholt auf die Kauris aufmerksam gemacht, was er jeweils mit einer wegwerfenden Geste quittierte, sodass wir schließlich nicht mehr darauf insistierten, weil wir dachten, er hätte vielleicht noch genug davon zu Hause. Nun, als er sah, dass sie fehlten, ärgerte er sich über seine Vergesslichkeit. Wie Ahissia hatte er etwas Zerstreutes und Geistesabwesendes an sich und der Marktrundgang schien ihn viel Nerven gekostet zu haben).
Nach etlichem Hin und Her zog er schließlich wieder sein Zauberhemd an und sagte:
„Ich muss jetzt arbeiten, das heißt die Medizinen herstellen und die Rituale machen. Das dauert etwa bis vier Uhr, dann könnt ihr wieder kommen und alles holen.“
Wir fragten ihn noch, ob er uns seine Adresse aufschreiben könne, für den Fall, dass wir sein Haus nicht mehr fänden, aber auch, um ihm später die Fotos schicken zu können.
Wir hatten nicht realisiert, dass er Analphabet war. Er durchsuchte ein Bündel von Zetteln, in denen die Adresse irgendwo notiert war, was aber natürlich nicht einfach war. Schließlich gab er uns eine Elektrizitätsrechnung mit der Adressangabe, die wir abschrieben. Dann holte er einen Notizblock hervor, voll gekritzelt mit Zeichen und Zeichnungen. Er malte auf ein leeres Blatt einen Kreis und vier Zeichen und bat uns, unsere Namen darunter zu schreiben.
„Ihr könnt mir trotzdem Briefe schicken“, sagte er. „Ich habe jemanden, der mir alles vorliest und dem ich eine Antwort diktieren kann.“
Dann gingen wir.
Als wir zurückkamen, sagte er:
„Ich habe den ganzen Nachmittag gearbeitet. Ich war im Wald. Mit deiner Mutter bin ich noch nicht fertig. Es war sehr hart. Ich muss nachher noch einmal in den Wald gehen.“
Ich fragte ihn, was er für meine Mutter getan habe.
„Ich habe das weiße Tuch an einem Baum aufgespannt, um das Böse von ihr wegzuziehen und aufzufangen. Das Tuch werde ich vergraben, aber es ist noch nicht fertig. Mit ihr ist es eine schwierige Arbeit. Es ist ein dringender Fall, wir konnten nicht mehr warten. Ich werde das Tuch vergraben; der Baum wird sterben, aber sie wird gesund werden.“
Seine Holzfigur stand jetzt nicht mehr im Hintergrund, sondern bei den Medizinen, die er hergestellt hatte. Die „Arbeit“ machte er mit seinem Fetisch, beziehungsweise mithilfe des Geistes, den er verkörperte.
Nadja gab er eine Plastikflasche mit einer bräunlichen Flüssigkeit gegen den Diabetes.
„Du musst jeden Tag dreimal einen Esslöffel davon nehmen.“
Sie blickte etwas misstrauisch und fragte, ob da vielleicht auch Blut drin sei.
„Nein, nur Kräuter“, sagte er, und zum Beweis, dass es sich um nichts Giftiges handle, nahm er demonstrativ selber einen Schluck davon.
Ebenfalls überreichte er ihr hundert magisch bearbeitete Kauris, die sie auf einem Gestell in ihrem Zimmer aufstellten sollte. Auch die Goldkette für die fortune hatte er zauberkräftig gemacht.
Mir übergab er den Tontopf gefüllt mit Wurzelstückchen, Blättern und Hühnerfedern.
„Das musst du mit Wasser aufkochen, dann abkühlen lassen und sieben Tage lang täglich ein Glas davon trinken.“
„Das ist schwierig, weil ich die nächste Zeit kaum je eine Woche am selben Ort sein werde. Soll ich es auch in eine Flasche abfüllen?“
„Nein, dann wartest du, bis du zu Hause bist und trinkst es dort.“
Er gab mir eine Plastiktüte und wir verschnürten das Ganze sorgsam.
Dann überreichte er mir zu meinem Schutz den Silberring und ein Päckchen, in Zeitungspapier gewickelt.
„Geh damit zu einem Schuster auf dem Markt und lass es dir in Leder einnähen. Diesen Talisman und den Ring trägst du dann immer auf dir. Sie werden jeden Angreifer abwehren.“
Als Letztes reichte er mir ein Ei, auf das mit Filzstift Figuren und Linien gezeichnet waren, unter anderem dieselben, unter die wir unsere Namen gesetzt hatten. Dieses Ei sollte ich, wie gesagt, um 18 Uhr mit abgewandtem Blick auf einer Hauptstraße fallen lassen.
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