• Die Kompensierung durch Idealisierung dient gleichermaßen der Aufrechterhaltung des narzisstischen Gleichgewichts, nur greift das Subjekt zur Idealisierung äußerer Objekte, die zu allwissenden und omnipotenten Objekten werden, mit denen das Subjekt sich dann identifizieren kann.
Symptome entstehen durch die Verwendung spezifischer Abwehrmechanismen. Sie stellen Kompromiss- oder Ersatzbildungen dar. Sie ermöglichen in gewisser Hinsicht Triebabfuhr, befriedigen aber auch das Über-Ich, die Außenwelt oder die Selbstregulation. Das Kind mit der Aufzugsphobie kann beispielsweise seinen Angstaffekt äußern, aber auch die Beziehung zur Mutter konfliktfrei halten. Indem die Symptome sowohl das Abgewehrte als auch die Abwehr enthalten, dienen sie auch der Mitteilung des unbewussten Konfliktes, der Wiederkehr des Verdrängten, dem Wunsch, den Konflikt doch noch zu lösen. Diese Symptomsprache sucht die Psychoanalyse zu verstehen. Die Wege der Symptombildung und deren Verständnis werden wir anschließend an den einzelnen Störungen aufzeigen.
Es wird ferner zwischen Symptombildung und Charakterbildung unterschieden, wobei die Symptombildung in der Regel als Ich-dyston, d. h. Ich-fremd, empfunden wird, die Charakterneurose bzw. der neurotische Charakter dagegen erlebt seine Verhaltensweisen als Ich-synton, d. h., dem Ich zugehörig.
3 Alters- und geschlechtsspezifische Aspekte
3.1 Freuds phallischer Monismus
Freuds Theorien (1924d; 1925j; 1931b; 1933a) zur männlichen und weiblichen Entwicklung gehen von einem biologisch bedingten Vorteil des Knaben aus und »ver-herr-lichen« die männliche Entwicklung. Die stärkere Anlage der Frau zur Bisexualität gehe aus der weiblichen Sexualentwicklung hervor, die bis in die phallische Phase hinein männlich sei, da sie unter dem Primat der Klitoris, d. h. einem dem männlichen Glied analogen Organ stehe. Freud zufolge beginnt das Primat der Vagina erst in der Pubertät. Die Frau hat nach Freud ein passives, weibliches und ein männliches, aktives Geschlechtsorgan. Die Weiblichkeit sei durch die Bevorzugung passiver Ziele, die Männlichkeit durch aktive Ziele gekennzeichnet. Ein weiteres zentrales Moment in der weiblichen Entwicklung sei der Penisneid, den Freud als primär betrachtet und der ein tiefes Minderwertigkeitsgefühl in der Frau hinterlasse. »Irgendeinmal macht das kleine Mädchen die Entdeckung seiner organischen Minderwertigkeit, natürlich früher und leichter, wenn es Brüder hat oder andere Knaben in der Nähe sind« (ebd., 1931b, S. 524). Und: »Es bemerkt den auffällig sichtbaren, groß angelegten Penis eines Bruders oder Gespielen, erkennt ihn sofort als überlegenes Gegenstück seines eigenen, kleinen versteckten Organs und ist von da an dem Penisneid verfallen« (ebd., 1925j, S. 23). Beim Knaben löse der Anblick des weiblichen Genitals die Vorstellung einer Wunde, einer vollendeten Kastration aus. Kastrationskomplex und Penisneid sind bei Freud ein phylogenetisches Erbe, das mittels Erinnerungsspuren bewahrt geblieben ist. Der ursprüngliche Penisneid des Mädchens und die Kastrationsangst des Knaben werden allerdings auch bei Freud später durch Regression und Reaktionsbildungen verstärkt. Freuds Theorie wird als phallischer Monismus bezeichnet: »Auf der nun folgenden Stufe infantiler Genitalorganisation gibt es zwar ein männlich, aber kein weiblich; der Gegensatz lautet hier: männliches Genitale oder kastriert« (ebd., 1923e, S. 297).
Neben den Fantasien über die unterschiedliche organische Ausstattung machte Freud noch auf einen anderen, wesentlichen Unterschied zwischen Knaben und Mädchen aufmerksam. Am Ausgang menschlicher Entwicklung gibt es einen fundamentalen Unterschied: das erste Liebesobjekt des Kindes ist für das Mädchen ein gleichgeschlechtliches, für den Knaben ein gegengeschlechtliches. Freud sah im Penisneid der Mutter die Ursache für deren positivere Haltung dem Jungen gegenüber. »Nur das Verhältnis zum Sohn bringt der Mutter uneingeschränkte Befriedigung; es ist überhaupt die vollkommenste, am ehesten ambivalenzfreie aller menschlichen Beziehungen« (ebd., 1933a, S. 143).
Neben dem Wechsel der erogenen Zone, von der aktiv-männlichen Klitoris zur passiv-weiblichen Vagina muss das Mädchen bei Freud nicht nur den Wechsel von der Aktivität zur Passivität bewältigen, sondern auch noch sein Liebesobjekt wechseln. Der Abwendung von der Mutter gehe eine Lockerung des Verhältnisses durch Versagungen voraus. Der entscheidende Schritt von der Mutter hin zum Vater ist bei Freud jedoch eine Auswirkung des weiblichen Kastrationskomplexes. Mit der Entdeckung seiner Penislosigkeit erkennt das Mädchen seine organische Minderwertigkeit und die der Frau schlechthin. Die Liebe des Mädchens galt der phallischen Mutter, die Entdeckung, dass auch die Mutter kastriert ist, entwertet diese in den Augen des Mädchens. Zudem macht das Mädchen sie für die eigene Penislosigkeit verantwortlich. Aus dem Kastrationskomplex gibt es bei Freud drei Entwicklungen für das Mädchen: die Ablehnung von Sexualität, der Männlichkeitskomplex und der Weg in die normale Weiblichkeit. Es ersetzt den Wunsch nach einem Penis durch den Wunsch nach einem Kind, um die Weiblichkeit herzustellen. »Die weibliche Situation ist aber erst hergestellt, wenn sich der Wunsch nach dem Penis durch den nach dem Kind ersetzt, das Kind also nach alter symbolischer Äquivalenz an die Stelle des Penis tritt« (ebd., 1933a, S. 137).
Während der Kastrationskomplex des Mädchens den Objektwechsel und Ödipuskomplex einleite, beende der des Knaben den Ödipuskomplex und führe zur Bildung des Über-Ich. Bei Freud hat das Mädchen kein analoges Motiv, den Ödipuskomplex aufzulösen, es bleibe auf den Vater fixiert. Das Über-Ich des Mädchens ist nach Freud stärker personen- und situationsbezogen. »Man zögert es auszusprechen, kann sich aber doch der Idee nicht erwehren, dass das Niveau des sittlichen Normalen für das Weib ein anderes wird. Das Über-Ich wird niemals so unerbittlich, so unpersönlich, so unabhängig von seinen affektiven Ursprüngen, wie wir es vom Manne fordern« (ebd., 1925j, S. 29).
Wir denken, dass Freud dezidiert die seiner Zeit zugrunde liegenden Fantasien analysiert hat, der Fehler, den er machte, war, diese Fantasien nicht als kulturbedingt, sondern als anatomisches Schicksal zeit- und kulturunabhängig zu postulieren. Bereits das grausame, seit Jahrhunderten bestehende Phänomen der Klitorisbeschneidungen in Afrika zeigt, dass hier ähnliche Fantasien die männliche Dominanz sicherstellen. Auch dort gilt die Klitoris als männliches, aktive Sexualität ermöglichendes Organ, das entfernt werden muss, damit die Frau weiblich wird. Bevor wir auf kulturelle Aspekte eingehen, möchten wir nun zuerst die Diskussion um Freuds Theorien zur Geschlechterdifferenz historisch nachzeichnen. Bereits in den 1930er Jahren lösten Freuds Theorien eine rege Diskussion aus. Unterstützt wurde Freud vor allem von Lampl de Groot, Marie Bonaparte und Helene Deutsch.
3.2 Befürworter zu Freuds Zeiten
Bonaparte (1935) sah in der Aufgabe der »männlichen« Klitoriserotik und der Hinwendung zur passiven, empfangenden weiblichen Vaginalerotik die Grundlage der Weiblichkeit. Sie führt diesen Vorgang wie Freud auf die größere Passivität der Frau zurück, die sie aus dem weiblichen Kastrationskomplex begründet. »Die Klitoris, ein verstümmelter Phallus, kann tatsächlich niemals, nicht einmal in der Fantasie, zu jener Aktivität gelangen, auf die der Penis nach seiner ganz anderen Anlage Anspruch hat« (ebd., S. 29). Lampl de Groot (1927) und Deutsch (1925; 1930) sprachen sogar von der Notwendigkeit der Wendung der Triebe ins masochistische. Erst, wenn sich das Mädchen immer wieder der Kastration unterwirft, sei eine Beziehung zum Vater möglich. Mit der Wahrnehmung der eigenen Penislosigkeit wird bei Deutsch die aktiv-sadistische Klitorislibido ins masochistische gewendet und mündet in den Wunsch, vom Vater kastriert zu werden. Diese Wendung ins Masochistische ist bei Deutsch vorgezeichnet und bildet die erste Grundlage zur endgültigen Entwicklung der Weiblichkeit. Schwangerschaft und Geburt können nur mit Hilfe des Masochismus als lustvoll erlebt und deshalb angestrebt werden. Das Triebleben der Frau diene nicht nur dem Lustprinzip, die Frau müsse auch die durch Menstruation und Geburt mit Schmerzen durchsetzte Sexualität akzeptieren.
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