Vier Hochzeiten, ein Mauerfall und etliche Umzüge
Evelyn Maibaum
Die Handlung ist frei erfunden.
Ähnlichkeiten mit realen Personen und Situationen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.
Impressum
Texte: © Copyright by Evelyn Maibaum
Umschlag: © Copyright by Evelyn Maibaum
Lektorat: Daniela Fiebig
Satz: Lucas Bender
Grafik: Sebastian Dreyer
Verlag: epubli
Köpenickerstraße 154a
10997 Berlin
buchmaibaum@gmail.com
Druck: epubli - ein Service der neopubli GmbH,
Berlin
Aus tiefster Januarkälte kommend, betrat ich mit Glücksgefühlen das Theatercafé und legte in Windeseile Mantel, Schal, Mütze und Handschuhe ab, während ich flüchtig die anwesenden Gäste musterte. Das Café kannte ich seit vielen Jahren und hatte dort fast mein gesamtes Lohnstipendium gelassen.
Meine Augen suchten hastig nach Paula, konnten sie aber im Schummerlicht nicht entdecken. Ungeduldig hangelte ich zwischen den Tischen herum bis mich Herbert, der Kellner, leicht säuerlich wegen der Hektik, die ich angeblich verbreitete, ermahnte.
„Nun setz dich endlich! Was ist heute bloß los mit dir?“ „Sag ich dir nicht!“
Ich grinste ihn provokativ an, sodass er neugierig innehielt.
„Raus mit der Sprache, Kirsche!“
Genau in diesem Moment wurde die Tür aufgestoßen und meine Freundin stürmte herein. Augenblicklich flog ich ihr entgegen. Herbert vergaß sein Ansinnen, verdrehte die Augen und jonglierte ein Tablett mit Gläsern zum Abwaschen hinter den Tresen. Wir Freundinnen begrüßten einander lautstark und zogen ungewollt die Aufmerksamkeit der Gäste auf uns, die entweder lächelnd oder kopfschüttelnd zu uns herüberblickten.
„Komm, wir setzen uns!“ flüsterte ich, als ich das bemerkte und zog Paula am Ärmel zum einzigen freien Tisch.
„Nun sag endlich, was ist passiert? Ich bin gespannt wie ein Flitzebogen!“
Ich richtete mich auf, mein Herz pochte und so ehrfürchtig, wie ich es in jenem Moment gerade noch vermochte, verkündete ich:
„Es gibt was zu feiern.“
„Ja, ich weiß, nun sag schon, was es ist!
„Ich bin geschieden“
„Großartig!“ Paula atmete hörbar aus.
„Zwei Mal Cocktail Madeleine bitte und ein Glas Selters“ schrie ich durch das Café.
„Und einen Johannisbeermost dazu“ ergänzte Paula.
„Ja, doch! Geht’s auch ein bisschen leiser? Ihr seid nicht alleine hier!“ zischelte Herbert und legte kurz den Zeigefinger auf die Lippen.
„Jawoll! Jawoll!“ skandierten wir im Duett und prusteten wieder los. Unwillkürlich musste ich an meinen Vater denken. Aktuelle Kamera war bei uns zu Hause verboten. Die Sendung durften wir nicht einmal für die Staatsbürgerkunde-Hausaufgaben gucken. Unser Vater hatte ein riesengroßes Fundament gebaut mit einer Mordsantenne obendrauf. Damit empfingen wir nun ARD und ZDF und das Ostfernsehen wurde nur gelegentlich von uns angesehen wenn z.B. die Olsenbande lief. So also sorgte er schon frühzeitig für die richtige Grundeinstellung. Ansonsten verfügte er allerdings über recht seltsame Ansichten. Er hatte immer gemeint, dass wir – meine Schwester, Fanny, und ich – keine Disko bräuchten, weil dort nur komisches Volk herumrennen würde. In meiner Einfalt dachte ich, dass ich ja nie an irgend so ’n Kerl rankommen könnte. So entschied ich schon sehr zeitig zu heiraten. Ich war seit meinem achten Lebensjahr im Reitstall unterwegs, habe es aber, zu großer Karriere mit der Reiterei nicht gebracht, Ich angelte ich mir aber jemanden von dort der es besser verstand , Siegfried Plötze. Er ließ sich nicht lange bitten, und wir feierten einen Monat nach meinem achtzehnten Geburtstag Hochzeit mit fast allem Drum und Dran. Kirche fiel natürlich aus. Aber sonst: ein rauschendes Fest. Ein weißes Kleid mit kurzem Schleier genäht von meiner Mutter, Pferdekutsche, Eskorte… Gefühlt war die halbe Stadt Bernburg dabei und feierte mit.
Als Frischvermählte zog ich zu Siegfried ins Kinderzimmer. Wieder hatte ich es mit einem Vater zu tun – diesmal mit seinem. Er war anders gestrickt als meiner, denn er war ein Bauer, wie er im Buche steht. Die Familie betrieb Viehwirtschaft und damit kristallisierte er sich natürlich im Arbeiter -und- Bauern- Staat mit an die Spitze des Systems. Als ich mir auf meine weiße Hose fetzige, bunte Flicken genäht hatte, wollte mir Siegfrieds Vater das gute Stück fast vom Arsch reißen, weil er meinte, so könne man doch als verheiratete Frau nicht herumlaufen. Der hätte mich am liebsten rechts mit Schwein an der Leine und links mit dem Eierkorb in der Hand über den Hof wuseln sehen - das war wohl seine Traumvorstellung.
Bald darauf nahm das Schicksal seinen Lauf. Siegfried wurde ins Wehrkreiskommando eingeladen. Er hatte sich nicht herausreden können, als sie ihn drei Jahre für die Fahne verpflichten wollten, obwohl nur anderthalb Jahre nötig gewesen wären. Mit hängenden Schultern und Hundeblick wurde mir das offenbart, woraufhin ich entgegnete:
„Na, dann sieh mal zu… An der Stelle halte ich eine Scheidung für angemessen.“
Bei seinem ersten Urlaub war ich bereits ausgezogen - mit dem Fahrrad übrigens, ich besaß ja nichts. Freudig hatte ich die Tasche gepackt und mich mit fliegenden Fahnen wieder unter Papas Fittiche begeben. Die Erfahrung hatte ihn in der Zwischenzeit eines Besseren belehrt und von Stund an erlaubte er meiner Schwester und mir, zur Disko zu gehen. Na bitte!
Am Abend kam Siegfried zu uns, ich gab ihm an der Hoftür den Ring zurück und er konnte wieder abtreten.
„Wollt Ihr auch etwas essen?“
„Nein.“
„Ja! Zur Feier des Tages – du bist eingeladen, Paula.“
Es gibt aber nur…
„… genau das wollen wir: zwei Mal Zwiebelklump.“
„Wird gemacht.“ Herbert entfernte sich wieder.
Paula schaute mich nachdenklich an. „Tut dir die Scheidung denn auch ein klitzekleines bisschen leid?“
„Überhaupt nicht! Der Spasti hat mich gar nicht verdient!“
„Lange hat eure Ehe ja nicht gedauert.
„17 Monate, 2 Wochen, 4 Tage und 3 Stunden.“
„Herbert, noch zwei Madeleine darauf!“
„Und, wars teuer?“
„Nicht der Rede wert. Dreihundert Piepen.“
„Na dann.“
Der Alkohol sorgte für ein anhaltendes Stimmungshoch. Erst als Herbert das Essen servierte und uns gutmütig warnte
„Vorsicht heiß!“ spachtelten wir unsere Mahlzeit mit großem Vergnügen, still und sehr konzentriert, in uns hinein. Wir wollten uns auf gar keinen Fall die Zungen verbrennen. Allmählich entspannten wir. Unsere Wangen glühten. Paula blinzelte mich aus glasigen Augen zufrieden an. Ich lächelte vor mich hin. Wir aßen und schwiegen. Nur das Besteck klapperte sachte am Porzellan des Tellers. In diese Stille hinein fiel mein Blick auf einen blondgelockten, gut gebauten Kerl mit einem Bier auf dem Tisch. Er schaute mir unbeirrt in die Augen. Was hatte das zu bedeuten? Er regte sich nicht. Er sagte nichts. Er schaute mich nur an. So ging das den ganzen Abend. Erst als Paula und ich beschlossen hatten zu gehen, erhob auch er sich, legte einen Schein auf den Tisch und beeilte sich, uns die Tür aufzuhalten. Gespielt freundlich fragte er, ob er uns nach Hause bringen dürfe.
„Das könnte dir so passen!“ entgegnete Paula. „Es geht dich überhaupt nichts an, wo wir wohnen.“
„Und du? Darf ich dich begleiten?“
„Ja!“ rutschte es aus mir heraus.
Paula erschrak.
„Ist schon gut.“ beruhigte ich sie. „Wir kennen uns. Darf ich vorstellen? Äh, wie heißt du noch mal?“
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