„Aber . . .?”
„Gar kein Aber. Ich habe mich gefreut.”
„Das hast du dir aber nicht anmerken lassen. Vater ist sehr enttäuscht. Du hast ihn schrecklich gekränkt.”
„Ich . . . Vater!?”
„Ja, du warst sehr wenig nett zu ihm. Überhaupt nicht herzlich. Du behandelst ihn wie einen Störenfried . . .”
„Ja, aber wie behandelt er mich denn?! Dauernd hat er etwas an mir auszusetzen! Ich weiß schon gar nicht mehr, wie ich mich benehmen soll!”
„Er ist dein Vater”, sagte Frau Moeller ernst, „und er ist durchaus im Recht, wenn er versucht, dich zu erziehen.”
Ulrike schwieg, Sie bückte sich und pflückte eine welke Rose ab.
„Oder bildest du dir tatsächlich ein, du hast es nicht mehr nötig, erzogen zu werden?” fragte die Mutter.
„Alle waren mit mir zufrieden . . . bevor ihr kamt.”
„Wenn man dich so hört, könnte man glauben . . . möchtest du etwa, daß wir bald abfahren?”
Ulrike stand ganz still und sah ihre Mutter an. „Nein”, sagte sie, „nein, ich wünsche mir nur, daß ihr mich lieb habt . . . so, wie ich bin.”
Frau Moeller nahm ihre große Tochter in die Arme. „Mein dummes kleines Mädchen”, sagte sie, „wir haben dich doch lieb. Mehr als alles andere auf der Welt! Ja, glaubst du denn, der Vater würde sich so über dein Benehmen kränken, wenn er dich nicht lieb hätte! Dann könnte es ihm doch ganz gleichgültig sein, wie du dich aufführst!”
Ulrike stiegen die Tränen in die Augen, sie wußte selber nicht recht, warum. „Ich habe mir immer so viel Mühe gegeben, vernünftig zu sein!” schluchzte sie.
Frau Moeller streichelte sie zärtlich. „Vielleicht ein bißchen zuviel. Du hast, scheint mir, ganz vergessen, daß du noch ein kleines Mädchen bist. Niemand verlangt von dir, daß du dich wie ein Erwachsener benimmst.”
„Aber ich möchte doch gerne . . .”
„Erwachsen sein kannst du noch ein ganzes Leben lang. Komm, putz dir die Nase . . .” Frau Moeller gab Ulrike ein frisches Batisttüchlein. „Sonst denken die Tanten am Ende noch, ich habe ihren Liebling verhauen.”
Ulrike mußte unter Tränen lächen, und die Mutter beobachtete sie zärtlich.
„So ist‘s schon besser”, sagte sie, „und jetzt wollen wir lieber von angenehmeren Dingen sprechen. Gehen wir auf die Terrasse zurück, ja?” Sie schob ihre Hand unter Ulrikes Arm. „Erzähl mir mal von deinen Freundinnen, Uli . . . wir waren ja schon in Persien, als du auf die höhere Schule gekommen bist. Sicher hast du nette Klassenkameradinnen, nicht wahr?”
Ulrike zögerte mit der Antwort. „Es geht”, sagte sie dann.
„Komm, sei nicht so einsilbig. Mit wem bist du denn näher befreundet?”
„Näher befreundet?”
„Na, ich meine einfach . . . mit wem spielst du?”
„Aber, Mutti”, sagte Ulrike, „ich spiele doch nicht mehr!”
„Nicht? Was tust du dann in deiner Freizeit?”
„Lesen.”
„Ja natürlich. Eine kleine Leseratte warst du ja immer schon. Aber trotzdem . . . wen lädst du denn zu deinem Geburtstag ein? Und von wem wirst du eingeladen?”
Sie hatten die Terrasse erreicht. Ulrike streckte sich auf der Rohrliege aus, verschränkte die Hände hinter dem Kopf. „Ach weißt du, Mutti”, sagte sie, „das ist heute alles nicht mehr so, wie es war, als du noch in die Schule gingst. Wir verkehren privat überhaupt nicht miteinander. Außerde . . . die meisten wohnen ja am anderen Ende der Stadt.”
„Soll das heißen . . . du hast überhaupt keine Freundin?”
„Wozu? Ich wüßte gar nicht, was ich mit einer Freundin machen sollte. Ich habe doch die Tanten.”
Frau Moeller zündete sich eine Zigarette an. „Jetzt sag mir mal etwas ganz ehrlich, Ulrike . . . ich will dir nicht weh tun, aber ich glaube, ich muß dich das fragen . . . bist du vielleicht . . . nicht sehr beliebt in deiner Klasse? Ich meine . . . weil du so gute Noten hast?”
„Ach so! Du glaubst, daß niemand mit mir zusammen sein will? Ach wo. Du hast komische Vorstellungen, Mutti. Ich will nichts mit den anderen zu tun haben. Sie sind mir viel zu blöd.” Als sie sah, daß ihre Mutter ganz erschrokkene Augen bekam, fügte sie rasch hinzu: „Und außerdem, ich habe dir ja schon gesagt . . . keines von den Mädchen, die ich kenne, wohnt hier draußen. Ehe eine bei mir wäre oder ich bei ihr, wäre bestimmt der halbe Nachmittag vertrödelt.”
„Sind Doktor Reitmanns denn weggezogen?”
„Wieso?”
„Aber, Uli, das weißt du doch ganz genau! Gabriele Reitmann ist genau in deinem Alter. Ihr habt früher mal so nett zusammen gespielt.”
„Ja, im Kindergarten!” Ulrike setzte sich auf. „Mutti”, sagte sie, „ich weiß ja, daß du es gut meinst . . . aber bitte, gib es auf. Es ist zwecklos. Warum willst du mir einreden, daß ich eine Freundin haben müßte? Ich brauche keine.”
Tante Emmy kam auf die Terrasse, um den Kaffeetisch zu decken. Ulrike stand sofort auf, um zu helfen. Frau Moeller konnte nicht mehr weiterreden. Wenig später kam der Vater herunter, Tante Sonja brachte die Kaffeekanne aus dem Haus und schenkte ein.
Ulrike war sehr froh, daß sie nicht mehr Rede und Antwort stehen mußte. Sie gab sich sehr viel Mühe, nichts zu tun, was den Vater ärgerte, und Herr Moeller seinerseits zwang sich, Ulrikes Angewohnheiten, die ihm nicht paßten, stillschweigend zu übersehen.
Es wurde ein gemütlicher Nachmittag, Die Eltern hatten viel aus Persien zu erzählen. Sie hatten auch ein ganzes Album mit Fotografien mitgebracht.
„Um eines beneide ich euch auf alle Fälle”, sagte Tante Sonja im Gespräch, „ihr seid alle beide so wundervoll braun. Hier kann man den ganzen Sommer in der Sonne liegen, ohne auch nur halbwegs eure Farbe zu erreichen.”
Die Mutter strich sich das blonde Haar aus der Stirn, „Findet ihr wirklich, daß mir das steht?”
„Doch, unbedingt!” erklärte Ulrike, ehe die Tanten noch antworten konnten. „Nur ein ganz klein bißchen mußt du aufpassen, Mutti . . .”
Frau Moeller sah ihre Tochter erstaunt an. „Aufpassen? Wie meinst du das?”
„Bloß wegen der Falten. Vielleicht solltest du mal eine gute Nährcreme benutzen . . . wie du, Tante Emmy!”
Herrn Moellers Stirn krauste sich bedrohlich. Er öffnete schon den Mund, um Ulrike zurechtzuweisen, da legte die Mutter begütigend ihre Hand auf seinen Arm. „Nicht, bitte nicht! Du hattest mir doch versprochen . . .”
Der Vater schwieg. Diesmal ging das Unwetter noch an Ulrike vorüber. Aber es war ihm anzusehen, daß er sich seine Gedanken machte.
Bis zum Schlafengehen fiel kein böses Wort mehr.
Dann, als Ulrike schon frisch gewaschen und mit sich und der Welt zufrieden in ihrem Bett lag, kam die Mutter noch einmal zu ihr hinein.
„Ich habe eine Überraschung für dich, Uli”, sagte sie vorsichtig.
„Was ist es?” Ulrike richtete sich in ihren Kissen auf.
„Du bekommst morgen Besuch. Ich habe eben mit Frau Doktor Reitmann gesprochen. Sie schickt Gaby und Klaus herüber.”
Das Blut schoß Ulrike in das helle Gesicht. „Mutter!” sagte sie entsetzt. „Wie konntest du!”
„Na, na, na!” Frau Moeller versuchte zu lachen. „Du tust grade so, als ob dieser harmlose Besuch eine Katastrophe wäre!”
„Stimmt genau. Eine Katastrophe. Du weißt nicht, wie Gaby und Klaus sind! Bitte, Mutti, bitte . . . mach diese Einladung rückgängig!”
„Das kann ich nicht.”
Ulrike sah die Mutter schweigend an, dann ließ sie sich auf ihr Kopfkissen zurücksinken, schloß die Augen und rollte sich zur Seite.
„Uli”, sagte die Mutter, „Uli, was ist mit dir? Willst du mir nicht wenigstens einen Gute-Nacht-Kuß geben?”
Aber Ulrike rührte sich nicht. Sie wollte nichts mehr sehen und nichts mehr hören.
Frau Moeller wartete noch eine ganze Weile. Dann endlich verließ sie sehr langsam und sehr nachdenklich das Zimmer.
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