Marie Louise Fischer
Im Internat gibt‘s keine Ruhe
SAGA Egmont
Im Internat gibt’s keine Ruhe
Genehmigte eBook Ausgabe für Lindhardt og Ringhof Forlag A/S
Copyright © 2017 by Erbengemeinschaft Fischer-Kernmayr, ( www.marielouisefischer.de) represented by AVA international GmbH, Germany ( www.ava-international.de)
Originally published 1967 by F. Schneider, Germany
All rights reserved
ISBN: 9788711719565
1. Ebook-Auflage, 2017
Format: EPUB 3.0
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Auf dem Schloßinternat Hohenwartau war große Pause.
Über das bucklige, uralte Kopfsteinpflaster des Schloßhofes rannten, hüpften, jagten und stießen sich die kleinen Mädchen, während die älteren, kichernd oder in ein ernsthaftes Gespräch vertieft, auf und ab spazierten.
Einige Schülerinnen der zwölften Klasse hatten sich die breite Rampe erobert, die schräg zum Burgtor hinaufführte. Hier saßen sie nun dicht nebeneinander, aufgereiht wie die Schwalben. Die meisten hatten den Kopf in den Nacken gelegt und blinzelten in den föhnblauen Himmel hinauf und zu den bayrischen Voralpen, auf deren Gipfeln über Nacht der erste, sehr weiße Schnee gefallen war. Sie genossen die wärmenden Strahlen der Herbstsonne, die Hunderte von großen und kleinen Fenstern des Schlosses aufblitzen ließ, während der Hof selber schon im Schatten lag.
Sie merkten nicht, daß sich unter ihren Mitschülerinnen eine sonderbare Unruhe auszubreiten begann. Die kleinen Mädchen, die eben noch getobt und gespielt hatten, rotteten sich in Gruppen zusammen, und auch die Spaziergängerinnen blieben stehen und tuschelten miteinander.
Kicki, ein zierliches Chinesenmädchen, Schülerin der Zwölften, kam um die Ecke gesaust und schrie: “Herhören, Kinder! Eine Riesenneuigkeit!”
Ihre Klassenkameradinnen fühlten sich unsanft aus ihren Träumen gerissen.
“Um Himmels willen, schrei nicht so”, mahnte Yvonne und bemühte sich, sie mit ihren vom Licht noch halb geblendeten blauen Augen beschwörend anzusehen. “Wir sind ja nicht taub!”
“Scheint mir aber doch so”, erwiderte Kicki keck, “sonst wärt ihr nicht die letzten, die davon erfahren!”
“Wie meinst du das?” fragte die braungelockte, sehr natürliche Helga ohne sonderliches Interesse.
“Na, seht euch doch mal um! Begreift ihr immer noch nicht, was passiert ist?”
Die muskulöse, sportlich durchtrainierte Ellen schwang sich elegant mit den Füßen auf die Rampe. “Hm, sieht aus wie ein Aufruhr im Bienenhaus”, stellte sie fest.
“Du hast es erfaßt!” bestätigte Kicki.
“Jetzt bitte ich dich, mach es nicht ganz so spannend, Kicki”, drängte Babsy, eine amerikanische Negerin, die mit den anderen schon seit Jahren auf Hohenwartau war. Ihre Eltern waren beide berühmte Sänger und in Europa engagiert.
Kicki hätte die anderen gerne noch länger auf die Folter gespannt, aber sie konnte sich nicht zurückhalten. “Tweedy hat sich verlobt!” platzte sie heraus.
“Was?” rief Hannelore, die sich sonst immer viel auf ihre Erfahrung und ihre Seelenruhe zugute tat, ganz verblüfft.
Den anderen verschlug es die Sprache. Dr. Herbert Jung, genannt Tweedy, war zu Beginn des Schuljahrs als Lehrer für Deutsch und Englisch nach Hohenwartau gekommen, und es gab nicht eine unter den Schülerinnen der zwölften Klasse, die nicht mehr oder weniger heimlich für ihn geschwärmt hatte. Helga und Yvonne, die früher die besten Freundinnen gewesen waren, hatten sich sogar seinetwegen ernstlich zerstritten.
“Wollt ihr denn gar nicht wissen, mit wem?” fragte Kicki.
“Menschenskind, red endlich!” rief Margot. “Du machst uns noch wahnsinnig!”
“Dich?” fragte Kicki zurück. “Ich dachte immer, du wärst verlobt!”
“Das nimmt mir doch nicht das Recht, neugierig zu sein!” sagte Margot.
“Ganz bestimmt nicht”, mischte die rothaarige Uschi sich ein, ”ich gehöre auch nicht zu denjenigen, die sich Hoffnungen auf ihn gemacht haben, aber trotzdem …”
“Also los! Wer ist es?” Ellen sprang von der Rampe, packte die um einen Kopf kleinere Kicki bei den Schultern und schüttelte sie kräftig. “Sprich, oder du kannst was erleben!”
“Aua! Laß mich los, oder du erfährst kein Wort!”
Ellen lockerte ihren Griff.
Kicki holte tief Atem und sagte mit heller, überkieksender Stimme: “Trudchen!”
“Das ist nicht möglich!” Helga starrte sie fassungslos an. “Das ist doch einfach nicht möglich!”
“Ich glaub‘s auch nicht”, erklärte Yvonne, seit langem zum ersten Mal wieder einer Meinung mit der ehemaligen Freundin.
“So einen schlechten Geschmack kann Tweedy bestimmt nicht haben.”
“Trudchen könnte ganz gut aussehen, wenn sie sich nur etwas besser zurechtmachte”, wandte Uschi ein. “Zumindest hat sie eine tadellose Figur!”
“Ach was, darauf kommt es doch gar nicht an”, erklärte Margot. “Laßt euch mal was von einer erfahrenen Frau erzählen: Trudchen ist immerhin die Tochter des Direktors, und Tweedy kriegt nicht nur sie, sondern alles, was damit zusammenhängt, das ganze Internat mit allem Drum und Dran! Und für einen Lehrer ist das schon ein lohnender Happen!”
“Du meinst, er hat sie ihres Geldes wegen genommen?” Babsy rollte die blitzenden Augen. “Das wäre doch wirklich die größte Gemeinheit des Jahrhunderts!”
Sie diskutierten eifrig weiter, und nicht nur die Schülerinnen der zwölften Klasse, sondern auch die älteren und die jüngeren bis hinab zu den ganz neuen kannten heute nur das eine Thema: das Gerücht über Dr. Herbert Jungs Verlobung.
Es wurden Wetten darüber abgeschlossen, ob es wirklich stimmte oder nur eine Internatsente war. Niemand spielte mehr, niemand warf noch einen letzten Blick in ein Schulbuch, sondern alle standen in kleinen und großen Gruppen beieinander und besprachen das Ereignis.
Die Zwölfte konnte die Nachricht noch nicht glauben.
“Fragen wir doch einfach Tweedy, ob es wirklich stimmt”, schlug Yvonne vor.
“Unmöglich”, widersprach Uschi und bekam schon bei dem bloßen Gedanken an eine solche Kühnheit einen roten Kopf.
“Warum denn nicht? Das ist doch das allereinfachste”, behauptete Yvonne.
Ellen dämpfte ihr Selbstgefühl: “Gib nicht so an, du traust dich ja doch nicht!”
“Und außerdem”, gab Babsy zu bedenken, “woher sollen wir denn wissen, ob er uns die Wahrheit sagt. Wenn er uns bis heute an der Nase herumgeführt hat, dann ist ihm doch auch zuzutrauen, daß er uns auch weiter beschwindelt.”
“Das hat er nie getan”, versuchte Helga den geliebten Lehrer zu verteidigen, aber es kam nicht sehr überzeugend heraus; seit Kickis Eröffnung fühlte sie sich geradezu körperlich elend, so groß war ihr Schmerz.
“Natürlich hat er das!” widersprach Margot. “Er hat uns den Junggesellen vorgespielt, dabei war er in Wirklichkeit längst gebunden. Oder glaubt ihr etwa, daß er sich aus heiterem Himmel mit Trudchen verlobt hat?”
“Ganz bestimmt nicht!” rief Ellen. “Erinnert ihr euch, wie sie ihn damals, am ersten Schultag, bei seinem Auto begrüßt hat? Die beiden haben sich gekannt, bevor er hier ankam, und wahrscheinlich hat er überhaupt nur ihretwegen in Hohenwartau angefangen!”
“So ein Schuft!” stieß Uschi hervor.
“So ein elender, gemeiner Halunke!” zischte Yvonne.
“Aber vielleicht stimmt ja alles gar nicht”, wandte Helga verzweifelt ein. ”Vielleicht ist es nur ein dummes Gerücht. Ihr wißt doch, wieviel hier geredet und getratscht wird.”
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