Sprunghaft, wie es ihre Art war, plauderte Karin von diesem und jenem, und als sie sich vor dem Hotel, in dem Theda wohnte, trennten, fiel ihr ein, daß sie immer noch keine Antwort auf ihre Frage bekommen hatte.
„Na, wie ist es nun, gehst du mit auf den Krabbenfang oder nicht? Um vier Uhr geht es los! Bis dahin hast du noch Zeit, es dir zu überlegen! Auf Wiedersehen!“
Sie winkte der zurückbleibenden Theda einen Gruß zu und schritt weiter.
„Ich komme natürlich mit!“ rief Theda ihr nach.
„Schön! Ich komme am Nachmittag noch einmal bei dir vorbei!“
Den ganzen Tag über kam Theda nicht mehr von dem Gespräch los, das sie mit Karin geführt. Sie ging ernstlich mit sich zu Rate, zu welchem Beruf sie sich am meisten eignen würde, kam aber so recht zu keinem Entschluß. Schließlich gab sie es auf. Sie hatte es ja nicht nötig, sich von heute auf morgen zu entscheiden; sie wollte noch einmal mit Karin sprechen und nach den Ferien sofort etwas unternehmen.
Von diesen Gedanken verriet Theda ihrer Mutter noch nichts. Sie war ein Mensch, der sich erst selbst über die Dinge, die ihn beschäftigten, im klaren sein mußte, ehe er sich einem anderen Menschen gegenüber darüber aussprach.
So sagte sie nur beim Abendbrot, daß sie sich entschlossen hatte, mit Karin Holt und ihrem Verlobten mit auf den Krabbenfang zu gehen.
Magdalena Eick war nicht sonderlich entzückt von diesem Vorhaben, versuchte aber auch nicht, Theda davon abzubringen. Sie war froh, daß sie überhaupt etwas unternahm, und redete sich selbst über die Bedenken hinweg, daß ja nicht gleich ein Unglück geschehen mußte. Und Rolf Torsten tat ein übriges, sie zu beruhigen.
So suchten sie frühzeitig ihr Lager auf, um am anderen Morgen frisch zu sein. Der Morgen begann schon früh! Schon um drei Uhr mußten sie das Hotel verlassen.
*
Grau kroch die Dämmerung herauf, als die drei Menschen, in der herben Nachtluft ein wenig frierend, den Fischerbooten zustapften. Es war totenstill, nur das Brausen des Meeres war zu hören. Suchend schritten sie an den Ewern entlang.
„FW 181. Das ist er!“
„Ja, das ist er!“ erscholl eine rauhe Stimme hinter ihnen. Die drei fuhren herum und blickten in das wetterharte Gesicht des Fischers Larsen.
„Na, dann man tau!“ Er schob seinen Südwester ein wenig in den Nacken und sprang als erster in den Ewer.
Im gleichen Augenblick wurde auch Klaus Johannsens Kopf sichtbar. Er kratzte sich das struppige Haar und schlurfte noch ein wenig schlaftrunken nach vorn, spuckte einmal kräftig über Bord und machte die Vertäuung los.
Nun wurde es auch auf den anderen Ewern lebendig.
„Gute Fahrt!“ rief man sich gegenseitig zu.
Die Maschinen stampften, und bald hatte das Fahrzeug das freie Fahrwasser erreicht.
Der erste Sonnenstrahl zitterte über das Wasser. Langsam stieg der goldene Sonnenball immer höher — es war Tag!
Thedas Augen suchten den Horizont ab — überall Wasser — so weit das Auge blickte. Nur hin und wieder tauchte in der Ferne ein anderes Fischerei-Fahrzeug auf.
Der Ewer hatte den Fangplatz erreicht! Das große Netz wurde ausgelegt — die Maschinen liefen mit verminderter Kraft. Und dann wartete man ein — zwei Stunden lang, hoffte auf einen guten Fang.
Endlich war es dann soweit! Die Netze wurden eingezogen und hochgehievt. Zappelnd ergoß sich der Segen des Meeres an Deck. Taschenkrebse wühlten sich unter den Krabben hervor, liefen eilig davon, um sich in irgendeine dunkle Ecke zu verkriechen. Kleine Fische, die sich in den Maschen der Netze verfangen hatten, flogen in hohem Bogen wieder über Bord, um sich weiterhin ihres Daseins zu freuen oder aber von einem Möwenschnabel aufgefangen zu werden.
„Sie wittern die Beute!“
Fischer Larsen deutete auf die weißlich-grauen Vögel, die mit lautem Geschrei das Fischerboot umflogen.
„Sie fehlen nie, wenn die Netze eingezogen werden. Ganz plötzlich sind sie da und sind auch ebenso plötzlich wieder verschwunden.“
Theda wartete gespannt, wann die Möwen davonfliegen würden. Es wurden immer weniger, und als die letzte Schaufel mit den Krabben in dem brodelnden Wasser verschwand, war auch weit und breit keine Möwe mehr zu sehen.
„Sie tun sich jetzt woanders gütlich!“
„Ja, und wir uns auch“, meinte der Fischer, der Rolfs Worte gehört. „Hier, probieren Sie einmal!“ Er stellte eine Schüssel mit dampfenden Krabben und ein Fäßchen mit Salz vor seine Gäste hin. „So frisch bekommen Sie nie wieder Krabben zu essen. Langen Sie nur gut zu!“
Fachmännisch brach er ein Krustentier auseinander, daß das zartrosa Fleisch sichtbar wurde.
Die anderen taten es ihm nach, sie verspürten mit einem Male Hunger.
Wieder und wieder wurden die Netze eingezogen, bis die Behälter nichts mehr zu fassen vermochten.
Das Tagewerk war vollbracht. Larsen stand am Steuer und brachte das Boot in den heimatlichen Hafen zurück. Sie hatten gute Fahrt gemacht.
Nach herzlichem Abschied gingen Theda, Karin und ihr Verlobter an Land. Sie hatten ein eigenartiges Gefühl in den Beinen, als sie nach so langen Stunden zum ersten Male wieder festen Boden unter den Füßen verspürten.
„Kinder, wißt ihr was?“ Rolf hakte Karin rechts und Theda links ein — „heute abend führe ich euch in einen Spielsaal!“
„Darum ist mir im Augenblick noch gar nicht zu tun“, entgegnete Karin kläglich, „meine Beine wollen gar nicht so, wie ich will!“
„Das gibt sich!“ tröstete Rolf. „In einer Stunde ist alles vergessen!“
Er sollte recht behalten! Sie hatten kaum das Hotel erreicht, als Karin sich erkundigte:
„Wie war das mit heute abend?“
„Ich halte meine Einladung aufrecht!“
„Wundervoll! Um wieviel Uhr gehen wir?“
„Sagen wir, um acht?“
„Gut! Sei pünktlich, Theda!“
„Ach, bitte, laßt mich zu Hause!“
„Du willst nicht mit?“ Karin war fassungslos. „Aber so was gibt’s doch gar nicht, oder warst du schon so oft in einer Spielhölle?“
„Noch nie!“ gestand sie ehrlich.
„Und dann willst du diese Gelegenheit verpassen? Kommt gar nicht in Frage. Wir holen dich ab und wehe dir, wenn du nicht fertig bist“, drohte sie scherzhaft.
Theda suchte ihr Zimmer auf und ruhte ein wenig. Sie speiste mit ihrer Mutter zu Abend. Ihr Vater war schon am Morgen zurückgefahren, seine Dienstgeschäfte hatten ihm nicht länger Zeit gelassen. Und dann machte sie sich doch zum Ausgehen bereit.
*
Die Spielsäle waren nur mäßig besucht. Für das Publikum, das hier zu verkehren pflegte, war acht Uhr abends noch früh am Tage. Rolf Torsten führte seine Damen herum und machte sie auf dieses und jenes aufmerksam.
Die erregende, prickelnde Atmosphäre des Spielkasinos nahm sie gefangen. Hundertfältig brach sich das Licht in den hohen Spiegeln, ergoß sich über elegante Toiletten und ließ echte und unechte Brillianten aufsprühen.
Ein Raunen hing in der Luft, niemand wagte, laut zu sprechen. Nur ab und zu waren einzelne Worte oder Wortfetzen des Croupiers zu verstehen:
„Plain — passe — nichts geht mehr!“
Das leise Klirren der Chips war zu vernehmen. Dann trat wieder Stille ein, nur das Rollen der Kugel war zu vernehmen — die Spieler hielten den Atem an. Dann hörte man gar nichts mehr, die Kugel lag still.
Ein Stuhl wurde zurückgestoßen — mit verzerrtem Gesicht taumelte einer hinaus. Ein anderer nahm den verlassenen Platz ein, und wieder rollte die Kugel.
„Wollen Sie Ihr Glück nicht auch einmal versuchen, Theda?“ Rolf schob ihr einige Chips zu.
„Ich weiß nicht ...“
„Versuchen Sie es ruhig einmal. Setzen Sie ‚impair‘, da kann Ihnen gar nichts passieren!“
„Ich werde ‚passe‘ setzen!“
„Dann muß ich dir schon das Gegenspiel halten und setze ‚manque‘!“
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