»Ich bin froh, dass Sie fragen«, sagte Krantz.
»Passen Sie auf«, ergriff Halperin das Wort. »Wir gehen mit Catch and Release auf Tour.«
»Auf Tour?«
»Die Zuschauer langweilen sich dabei, Ihnen immer zuzusehen, wie Sie vier Forellenarten und drei verschiedene Lachsarten an den Haken bekommen. Verstehen Sie mich nicht falsch, Sie haben auf den Großen Seen ganz außerordentlich gefischt – den Menschen viel über Sicherheitsvorkehrungen, Angelschnüre, Rollen und die gesetzlichen Vorschriften beigebracht. Besonders auf Lake Ontario. Aber seien wir mal ehrlich, das ist alles recht trocken. Es wird langweilig. Die Zuschauer sehen Ihnen zu, wie Sie vor der Kamera über Ihre Leinen und Haken reden. Manchmal fangen Sie was Großes und manchmal gar nichts. Eine Stunde lang sieht man, wie Sie kleine Fische ins Wasser zurückwerfen«, sagte Halperin. »Genau deswegen laufen uns die Zuschauer davon.«
»Wir wollen nicht so kleinkariert denken«, sagte Krantz. »Wir wollen unsere Konkurrenz aus dem Weg räumen und hier wirklich ganz kreativ denken. Wie hört sich das an?«
Rick nickte. »Ja, sicher. Klingt gut. Allerdings … mir fällt dazu nichts ein. Ich schätze, dass Ihnen schon was Kreatives vorschwebt?«
Wieder dieses Lächeln. Rick bekam ein flaues Gefühl im Magen. Ein Produzent und ein Networkboss, die ihn beide angrinsten. Es war schwer, sich nicht wie ein Köder zu fühlen, der gleich als Haifutter über Bord geworfen werden würde.
Krantz öffnete eine vor ihm auf dem Tisch liegende Akte. Er nahm zwei große Schwarz-Weiß-Fotos heraus, sowie ein paar zusammengeklammerte Dokumente. Dann blätterte er die Fotos durch, als würde er sie zum ersten Mal sehen, und reichte sie Rick über den Tisch.
Ein Auge auf Halperin gerichtet, nahm dieser zögernd die Blätter entgegen.
»Bitte lassen Sie sich Zeit. Schauen Sie sich die Akte an«, sagte Krantz. »Ein Fan Ihrer Show hat uns das zugeschickt. Zuerst wollten wir ihm einen der üblichen vorgedruckten Antwortbriefe mit einem Ihrer signierten Fotos schicken. Die Sekretärin, die sich darum kümmerte, hat Brent diesen Brief gezeigt«, sagte Krantz.
»Und nachdem ich ihn gelesen hatte, habe ich ihn gleich Harry gegeben.«
Fantastische Teamarbeit , dachte Rick. Gedankenvoll nickte er wieder und warf dann einen Blick auf die Fotos. Er biss sich auf die Lippe und verkrampfte sich.
»Ich weiß, das sieht man sich nicht gerne an«, sagte Halperin. Er hob die Hände. »Aber schauen Sie weiter. Nicht wegsehen.«
Das erste Bild zeigte einen toten Mann in schwarz-weißem Hochglanzformat. Diverse Körperteile fehlten und aus der Leiche waren riesige Fleischstücke herausgerissen. Rick ließ die Akte sinken. Galle stieg ihm die Speiseröhre hoch und brannte sich ihren Weg wieder hinab, als er schluckte. »Was zum Teufel ist das?«
»Schauen Sie weiter. Lesen Sie den beigelegten Brief, und dann werden wir Ihre Fragen beantworten«, sagte Krantz. »Da steht alles drin – die Erläuterungen.«
Rick blätterte die Fotos durch. Sie waren noch drastischer als das erste. Nahaufnahmen der Wunden, der abgetrennten Glieder. Er war sich nicht sicher, ob er noch mehr davon ertragen konnte. Schließlich legte er die Bilder beiseite und las den Brief.
Der Fan war ein Typ aus Pennsylvania, der behauptete, religiös Catch & Release zu schauen, aber es langweilte ihn, ständig das Gleiche zu sehen – wie man Rick gerade informiert hatte. Trotzdem lobte er Rick und dessen Fertigkeiten mit der Angel die ganze erste Seite lang, sowie auch den Sender dafür, die Show zu produzieren. Er erwähnte die Tatsache, dass er Lance Crowleys Show schrecklich fand.
Crowley war in der fast identischen Angelshow eines konkurrierenden Senders zu sehen: Casting with Lance Crowley .
»Zumindest mag er Lance nicht«, sagte Rick. »Das ist doch ein großer Pluspunkt.«
Halperin zuckte die Achseln. »Wer mag den schon?«
Rick drehte das Blatt um und entdeckte einen auf das Papier geklebten Zeitungsausschnitt.
Mann von unbekanntem Monster im Eilanden River getötet
Rick lehnte sich im Stuhl zurück und fing an, den Artikel zu lesen. Der erschreckende Bericht erzählte von einem Eingeborenen, der im Fluss angegriffen wurde, als er für sein Dorf Wasser holen wollte. Unbekannte Kreaturen töteten ihn, bissen einen Arm und einen Fuß ab. Die Neuigkeit des Angriffs verbreitete sich über die Dörfer der Gegend. Panik brach aus, da dort dieses Jahr mehr als zwanzig Menschen verschwunden waren und es nun einen Augenzeugen des neuesten Angriffs am Fluss gab. Die Dorfbewohner, die vom Fischfang lebten, trauten sich nicht mehr ans Wasser, und die Häuptlinge verlangten, dass die Regierung von Papua die Kreaturen im Fluss beseitigte – sie hatten Angst, dass es sich um hasserfüllte Geister handelte, die die Menschen zerstören wollten.
Das zweite Blatt des Briefs umschrieb die Idee des Fans, wie sich aus Catch & Release ein wahrlich auserwähltes Meisterwerk von Fernsehsendung machen ließe – so lauteten seine Worte.
Rick las sich die dritte Seite des Briefs zweimal durch und überflog dann erneut die Fotos und die Zeitungsausschnitte. Er legte die Dokumente in die Mappe auf seinem Schoß zurück und klappte sie zu.
»Ihre grauen Zellen arbeiten«, sagte Halperin. Er drehte einen Finger neben seiner Schläfe, was eher so wirkte, als wollte er andeuten, dass jemand verrückt war.
»Sie arbeiten«, sagte Rick, »aber in alle möglichen Richtungen. Ich bin mir nicht ganz sicher, dass ich das verstehe.«
»Was gibt’s da nicht zu verstehen?«, fragte Krantz. »Es ist doch alles genau erklärt.«
»Und Ihnen gefällt das? Sie wollen diese Idee verwirklichen?« Rick war sich nicht im Klaren, ob er überhaupt begriff, was die Idee war. Er wollte nicht so wirken, als ob er nicht dazugehörte, sondern so, als wären sie alle der gleichen Meinung. Das war albern. Wenn er es nicht verstand, sollte er das auch sagen können. Aber stattdessen befürchtete er, nicht dazuzugehören.
»Ich persönlich finde es genial. Einfach genial!« Halperin klatschte so laut in die Hände, dass Rick fast zusammenzuckte.
Nach der Besprechung überlegte Rick, ob er seine Frau anrufen sollte. Bisher hatte er keine Zeit dafür gefunden. Nachdem sie Ricks Zusage hatten, wollten Krantz und Halperin sofort mit den Vorbereitungen beginnen. Es gab viel zu erledigen, aber nicht viel Zeit. Der Arbeitstag flog nur so dahin. Da er keine Mittagspause gemacht hatte, war Rick in der Lage, das Büro anderthalb Stunden früher als üblich zu verlassen.
Auf dem Nachhauseweg beschloss er, beim Floristen an der Ecke anzuhalten. Er kaufte ein jahreszeitgemäßes Bouquet Herbstblumen: Sonnenblumen und duftenden Lavendel mit Schleierkraut. Kurz überlegte er, eine neue Vase dazuzukaufen, aber er tat es nicht. Als er zu seinem Haus abbiegen wollte, hielt er stattdessen gegenüber an. Er stellte den Motor ab und blieb im Auto sitzen. Er starrte das Haus an. In der Küche und im Wohnzimmer brannte Licht – nichts Ungewöhnliches.
Was ihn aber störte, war das Auto, das hinter dem seiner Frau in der Einfahrt parkte. Das war das Problem. Er kannte es nicht, schrieb sich das Kennzeichen, die Marke und das Modell auf. Er hatte keine Ahnung, was er mit diesen Informationen machen wollte. Aber das war egal, haben wollte er sie trotzdem.
Rick spielte mit dem Gedanken, hinter dem Auto zu parken und ins Haus zu gehen. Das war es, was er tun wollte, was er tun sollte . Doch er tat es nicht.
Stattdessen startete Rick sein Auto wieder. Ziellos fuhr er bis 17 Uhr in der Stadt herum und kehrte erst dann nach Hause zurück.
***
Als er diesmal zu seinem Haus abbog, stand das Auto nicht mehr in der Einfahrt. Rick bereute es, die Blumen gekauft zu haben, und überlegte, ob er sie im Auto lassen sollte. Er konnte sie ja am nächsten Morgen wegwerfen oder sie auf der Arbeit einer der Sekretärinnen schenken. Die Neuigkeiten, die er Karen zu erzählen hatte, würden sowieso einen Streit vom Zaun brechen. Die vorweg gekauften Blumen fühlten sich wie ein Eingeständnis seiner Schuld an. Vielleicht waren sie das auch.
Читать дальше