Eber waren nicht die einzige Gefahr, die es im dichten Regenwald gab. Im Dschungel lebten auch die schwarze Papuaschlange sowie der Taipan. Egal, ob sie ihren muskulösen, zweieinhalb Meter langen Körper um niedrig hängende Äste geschlungen hatten, zusammengeringelt auf einem Felsbrocken auf ebener Erde versteckt oder unter Selaginella- und Elatostemablättern in Deckung lagen – sie schienen in ständiger Angriffsbereitschaft zu sein, um zuschlagen zu können. Das Gift beider Schlangen konnte einen Mann innerhalb weniger Stunden töten.
Sobald die Sonne unterging, verschärften sich die Gefahren. Nicht nur, dass die Flussufer voller Krokodile waren – es gab auch Giftspinnen, die überall im Dschungel ihre klebrigen Netze spannen. Schlimmer war allerdings, dass Oom und Kota ständig nach Mitgliedern des Yakti-Stammes Ausschau halten mussten.
Die Yakti waren für ihre Brutalität bekannt, die oft in unerwartete Kopfjägerüberfälle eskalierte. Die Stöcke, die Oom und Kota mit sich trugen, konnten die Männer wohl davor bewahren, auf eine zusammengerollte Schlange zu treten, aber eine gute Waffe gegen die Yakti, die Bögen mit Widerhakenpfeilen, in Gift getauchte Blaspfeile und Steinäxte bei sich trugen, waren sie nicht.
Und natürlich gab es da noch die vielen Wairoku, die des Nachts verschwanden und nie wieder gesehen wurden. Niemand wusste genau, was ihnen zugestoßen war.
***
Trotz der offensichtlichen Gefahren war der Weg vom Dorf zum Fluss eine Auszeit. Oom und Kota genossen den Frieden. Hier hatten sie Zeit miteinander, ganz ohne ihre Frauen und Kinder. Der Gang, um die Eimer mit Wasser für den Abend zu füllen, sollte nicht länger als höchstens eine halbe Stunde dauern. Sie würden am Rande des schnellfließenden Wassers sitzen und wichtige Dinge oder auch Triviales bereden, oder schweigen und sich einfach von den wilden Geräuschen einhüllen lassen, aus denen die Gespräche der nachtaktiven Tiere bestanden.
Als sie aus dem Blätterdach auf die Lichtung hinaustraten, war von der Sonne kaum noch etwas zu sehen. Sie versank bereits hinter der Bergkette. Die Luftfeuchtigkeit fühlte sich dicht und stickig an. Schweiß lief ihnen von der Stirn. Ihre so straffe, dunkle und verwitterte Haut war rot und klamm. Als sie das Flussufer erreichten, setzten sie ihre Eimer und die Stöcke ab. Es blieb genügend Zeit, um knietief in den Fluss zu waten. Das auf ihre Arme gespritzte Wasser kühlte ihre Körper sofort.
Mit hohlen Händen schöpfte Oom Wasser. Er wusch sich den Schweiß vom Gesicht und goss es sich über den Kopf, machte seine kurzen glatten schwarzen Haare nass. Kota tat es ihm gleich, aber sprang dann kopfüber in den Fluss, um zu schwimmen.
Plötzlich wirbelte das Wasser auf. Blasen stiegen hoch. Obwohl die Sonne schon fast untergegangen war, konnte Oom erkennen, dass sich das Wasser rot färbte. Er dachte, dass ein Krokodil angegriffen hatte. Er sah Rückenflossen. Mehr als eine.
»Kota! Kota!« Oom sah sich um. Kota war nicht wieder aufgetaucht. Das Herz wurde ihm schwer. Sein Instinkt sagte ihm, dass er umdrehen und zum Ufer hochlaufen sollte. Stattdessen wagte er sich gegen die Strömung in dem Versuch voran, auf die hochsteigenden Blasen zuzulaufen.
Allerdings stiegen keine Blasen mehr auf.
Das Rot im Wasser wurde schnell den Fluss hinuntergewaschen. Oom stand bewegungslos da. Er wartete und horchte.
»Kota?«
Aus der jetzt schlammigen Tiefe schnellte eine Hand hervor.
Oom umklammerte sie und zog. Er musste seine gesamte Kraft aufbringen, um Kota zurück an Land zu ziehen.
Als er seinen Freund auf Blätter bettete, fürchtete Oom, sich übergeben zu müssen. Kotas Körper sah wie zerhackt aus. An seinen Oberschenkeln und seinem Bauch fehlten ganze Fleischstücke. Ein Arm und ein Fuß waren abgerissen.
Aus jeder einzelnen Wunde schienen Blut und Wasser zu sickern.
»Oom«, sagte Kota. Es kam nur als ein Flüstern heraus. Seine Augen standen offen, aber sahen plötzlich trübe und leblos aus.
Oom sah zum Fluss und erschauderte. Im Wasser war irgendetwas, etwas Gefährliches. Etwas, das jetzt die Seele seines Freundes, seines Bruders gefressen hatte.
1982, Rochester, New York
Rick Stone kam in die Küche und zog seinen Hemdkragen über die Krawatte. »Ist der Kaffee fertig?«
Karen drehte sich vom Herd zu ihm um. »Hm, wo könnte der Kaffee wohl sein, wenn er fertig ist?«
Rick bemühte sich, zu lächeln. Er nahm eine Tasse aus dem Schrank. »Hab ihn schon gefunden – hier in der Kaffeemaschine«, sagte er.
»Genau da wollte ich dir vorschlagen, zuerst nachzusehen. Du bist einfach zu clever für mich, Rick.«
»Machst du Eier?« Kaum, dass er es gesagt hatte, bedauerte er es schon.
»Willst du mich veräppeln?« Karen hielt die Bratpfanne hoch: Rührei.
Rick nahm neben Jared Platz, der in seinem Hochstuhl saß. Er sah seinem Sohn dabei zu, wie er nach den trockenen Cheerios vor sich griff.
»Müssen wir uns jeden Morgen streiten?«
» Das nennst du streiten, Rick?« Sie seufzte. »Du streitest dich nicht. Unter keinen Umständen.«
Er schloss die Augen und legte sich eine Hand auf den Bauch. »Ich brauche die Aufregung nicht, ganz bestimmt nicht vor der Konferenz heute Morgen.«
»Willst du die Krawatte tragen?«
Rick trank einen Schluck Kaffee – bitter. Er fuhr seinem Sohn durchs Haar. Ihre Bemerkung ignorierte er. »Ich bin etwas nervös. Der Sender hat noch nie so eine Konferenz vorgeschlagen. Nicht, seit wir mit ihnen über die Show gesprochen haben.«
»Du bist nervös, weil du dir richtige Arbeit suchen müsstest, wenn sie die Show absetzen.« Karen schabte die verbrannten Eier mit dem Pfannenwender auf drei Teller. Sie angelte die Toastbrotscheiben aus dem Toaster, steckte zwei neue hinein und drückte den Hebel runter. »Kannst du Butter draufstreichen?«
Rick stand auf. »Klar.«
Karen trug die Teller zum Tisch, stellte ihren und dann Ricks ab, und begann, Jared mit der Gabel vom dritten Teller zu füttern. »Glaubst du, dass sie die Show absetzen werden?«
Rick tat so, als würde er zwar kein Mitleid oder Mitgefühl, aber doch immerhin Besorgnis im Ton seiner Frau hören. Er machte sich etwas vor – es gab keine Spur davon, zumindest nicht für ihn. Nicht, was seine Karriere anging. »Wir hatten drei ziemlich gute Saisons.«
Er hatte keine Ahnung, wie erfolgreich die letzten beiden gewesen waren.
Rick bestrich die letzte Scheibe Toast mit Butter und legte zwei davon seiner Frau, die andern beiden sich selbst auf den Teller. Er warf einen Blick auf die Uhr. Bis zur Konferenz war es noch Zeit. Er wollte nur nicht länger als notwendig im Haus bleiben, wenn Karen wieder eine ihrer komischen Launen hatte, wie so oft in letzter Zeit.
»Übers Angeln. Eine Fernsehsendung über das Angeln.« Sie fragte nicht, sie stellte nur fest. Das tat sie regelmäßig. Es demütigte ihn, und sie wusste es.
Jared stieß die Gabel von seinem Gesicht weg. Sein Mund war fest geschlossen.
Rick streute Salz auf sein Rührei. »Ich glaube, er will die Eier nicht essen.«
»Rick, er mag Eier.«
»Ich hab nicht gesagt, dass er Eier nicht mag. Ich hab gesagt, dass ich glaube, er will die hier jetzt nicht essen.« Rick sah wieder auf die Uhr. »Ich mache mich besser auf den Weg.«
»Ja. Tu das.« Sie wedelte abweisend mit der Hand.
Rick schabte die Eier von seinem Teller in den Mülleimer und schämte sich fast. Sie hatte sie extra für ihn gemacht, und er warf sie weg. Doch Jared hatte recht. Selbst gesalzen schmeckten sie verbrannt. Nun war es zu spät. An der Küchentür nahm er seine Aktentasche und hielt inne. Karen sah nicht mal zu ihm hin. Sie versuchte weiter, ihren Sohn zu füttern. »Ich wünschte, wir könnten es wieder hinbekommen, Karen. Ich weiß nicht, warum sich alles so entwickelt hat.«
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