Walther von Hollander
Der Roman
des Mörders Karl Rasta
Saga
Gegen Morgen
© 1924 Walther von Hollander
Alle Rechte der Ebookausgabe: © 2016 SAGA Egmont, an imprint of Lindhardt og Ringhof A/S Copenhagen
All rights reserved
ISBN: 9788711474594
1. Ebook-Auflage, 2016
Format: EPUB 3.0
Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach Absprache mit Lindhardt und Ringhof und Autors nicht gestattet.
SAGA Egmont www.saga-books.com– a part of Egmont, www.egmont.com
Ich widme diesen Roman
Lili Turel
dargestellt
durch Karl Rastas letzten Freund,
den Oberlehrer
Eberhart Weßler
Die Mutter Karl Rastas, Frau Amtsgerichtsrat Rasta, geborene Gräfin Laschka, starb in diesem Frühling. Damit sank der letzte Mitspieler der totenreichen Tragödie, die Karls Namen trägt, ins Grab, der letzte Mensch, der Mitwisser und Handelnder zugleich, noch manches Dunkle hätte aufhellen können.
In den zwei Jahren seit Karls Ende, hat außer der Dienerschaft niemand die „Gräfin“ — wie man sie allgemein nannte — zu Gesicht bekommen. Man wußte nur, daß sie das Gut Willstetten, dieses bluttriefende Erbe, das ihr auf gräßlichen Umwegen zugefallen war, so umsichtig und tatkräftig verwaltete, als gelte es, für Generationen vorzusorgen und aufzubauen. Ob sie selbst ihre letzten Tage heiter oder traurig zugebracht hat oder (was wahrscheinlicher ist), mit dem undurchdringlichen Gleichmut, den sie vor den letzten Teil ihres Lebens gestellt hatte, das weiß niemand.
Die Rastas, die gewissermaßen die Eckbohms ausgetilgt haben, in einem Geschlechterkampf von mittelalterlicher Düsterkeit, sind nun selbst ausgestorben. Das Gut ist an den Staat gefallen. Es ist beinahe, als seien alle diese Menschen nie gewesen. Jegliche Spur ist ausgetilgt.
Der Tod der Gräfin hat mich nun endlich gezwungen, Vollstrecker des letzten Willens Karl Rastas zu sein. Ich habe mich lange dagegen gewehrt, die Dokumente des Mörders, der sich mein Freund nannte, und dessen letzte Tat die Zerstörung meines Lebens war, herauszugeben, und man wird nach Kenntnisnahme dieser Vorgeschichte verstehen, daß es für mich mehr Hemmungen als Sporne gab, den letzten Willen zu ehren. Ich füge mich — auch das wird man am Ende besser verstehen — als nach allen Erklärungen, die ich geben könnte. Ich habe mich entschlossen, meine bitteren Gefühle auszuschalten und nur das hierherzusetzen, was zum Verständnis der folgenden Dokumente notwendig und wichtig ist.
Karl Rasta entstammte einer angesehenen Juristenfamilie. Sein Großvater war der berühmte Rechtslehrer und Forscher Eugen Rasta, sein Vater, Hermann Rasta, war Amtsrichter in meiner Heimatstadt. Er war ein Mann von ungeheurem Wissen, glänzender Dialektik, scharfsinniger Logik und beißender Ironie, zu der sich im Verlaufe der Jahre eine immer wachsende Verbitterung gesellte. Diese Verbitterung war berechtigt. Nach Urteilen von Fachleuten überragte Hermann Rasta nicht nur die Fakultätsgrößen seiner Generation, sondern auch seinen berühmten Vater Eugen um Haupteslänge, und es war sicher eine Ungerechtigkeit, daß diese Kraft als Amtsrichter unserer norddeutschen Mittelstadt verkümmerte. Woran diese offensichtliche Zurücksetzung lag, habe ich nie ganz begriffen. Vielleicht war es wirklich die Schuld seiner Frau, eben jener geborenen Gräfin Laschka, einer sehr kleinen, zierlichen, unendlich hochmütigen Polin, die man nur selten zu Gesicht bekam, und die hinter einer Wolke von geheimnisvollem Klatsch und Tratsch ein Dasein führte, dessen Äußerlichkeiten vielleicht nur ihrem Mann, deren innerstes Geheimnis — wie ich aus Karls Aufzeichnungen entnahm — nur ihrem Sohn bekannt war.
Jedenfalls soll sie es gewesen sein, die ihren Mann bestimmte, den Ruf an verschiedene kleinere Universitäten abzulehnen, weil sie seine Berufung nach Wien mit Energie und scheinbar sicherem Erfolg betrieb. Woran dann diese Berufung scheiterte — ob wirklich, wie die Klatschmäuler behaupteten, an dem Bekanntwerden schwerer sexueller Jugendirrungen der Gräfin oder, wie ich eher annehme, an der schließlich versagenden Energie Hermann Rastas —, das weiß ich nicht.
Aus der Ehe stammten zwei Söhne, Eugen und Karl. An den etwa fünf Jahre älteren Eugen erinnere ich mich nur dunkel. Er starb bereits mit vierzehn Jahren in einer Irrenanstalt, an unheilbarer Melancholie, sagen die Einen, an Auszehrung infolge Hypertrophie des Gehirns, die Anderen.
Karl war mein Freund, sozusagen von den Windeln her. Mein Vater war Präsident des Oberlandesgerichts, an dem Karls Vater Amtsrichter war. Er war also gewissermaßen der Vorgesetzte Hermann Rastas und mag es mit diesem bedeutenden Untergebenen nicht leicht gehabt haben. Jedenfalls gab es zwischen den Familien unter der weiten Decke des konventionellen Verkehrs Spannungen, die einige Male fast zum Zerreißen der Decke führten. Bei mir zu Hause kam es dann immer zu erregten Gesprächen meiner Eltern, die immer wieder in den Satz gipfelten, daß „bei aller anerkannten Tüchtigkeit doch wohl vieles mit dem Mantel der christlichen Nächstenliebe zuzudecken sei“.
Ich habe mich um die Eltern Karls im Grunde nie viel gekümmert und habe sie auch nicht oft zu Gesicht bekommen. Der Vater Rasta war mir gleichgültig, für die Gräfin hatte ich eine mit Gespensterfurcht untermischte leidenschaftliche Verehrung, die der Anlaß zum ersten Streit mit Karl war.
Hinter der palazzoimitierenden Villa der Rastas, die an dem ziemlich steilen Südhang der Stadt lag, kletterte ein sehr gepflegter, zierlicher Garten herauf, zwischen dessen wunderbaren Rosenbeeten, Rosenhecken, Rosenbüschen man an Sommerabenden die Gräfin leise und ruhelos stundenlang einhertrippeln sehen konnte. Das waren dann die Abende, an denen wir lautlos und bedrückt in einer Ecke saßen, gelangweilt Blätter zerpflückten, Stöcke zerschnitzten oder höchstens auf einem Grashalm zu fiepen wagten. Oder ganz leise über den Zaun kletterten und uns den Abhang hinabrutschen ließen, in den verwitterten, zerfallenden Sandsteinbruch, der mit Höhlen und Hecken, Teichen und Tümpeln der eigentliche Schauplatz unserer Jungenspiele war. Hier auch hat mir Karl Rasta anvertraut, wie sehr sein Leben unter dem unruhigen Schatten der Mutter stand und daß nach ihren Wanderabenden im Garten immer „irgendwas Furchtbares“ im Hause geschah.
Was dieses Furchtbare war, hat er mir nie gesagt. Es muß auch verschieden gewesen sein. Ein Zank zwischen den Eltern, ein klägliches Winseln der Mutter, das man — so sagte er — durch zwei Stockwerke hörte, ein unheimliches Geräusch von der im Zimmer fortgesetzten Wanderung. „Sie ist wie eine Fledermaus,“ sagte mir Karl, „tags siehst du sie kaum, nachts aber flattert sie umher und trinkt Blut, um ihr kaltes Blut warm zu machen. Ich hasse sie. Sie ist ekelhaft, dumm und unheimlich.“
Das Urteil des Zwölfjährigen mag richtig gewesen sein. Mich hat es damals maßlos entsetzt und führte zu der ersten Entfremdung zwischen uns, die indes nicht lange andauerte. Es blieb lediglich das Gefühl des Unheimlichen, ich spürte immer die Fledermaus um Karls breiten Kopf. Auf die Dauer aber konnte ich mich seinem Einfluß nie ganz entziehen. Er war in unserer Freundschaft immer der Führer, zuweilen der Verführer, stets der Überlegene. Ich mußte stets um seine Freundschaft werben, war seiner nie ganz sicher und weiß auch heute nicht, warum er eigentlich mit mir befreundet war.
Er war klüger und entschiedener als ich. Er hatte bei kältester Berechnung ein erstaunliches Temperament (eine mir ganz fremde Charaktermischung) und wußte seine Selsamkeiten immer so zu drapieren, daß der Wind der Anerkennung von allen Seiten segelfüllend ihn vorwärtstrieb.
Читать дальше