„Es kann kein Räuber sein,“ sagt der Forscher. „Ein Räuber hätte sich nicht gezeigt.“
Omsky macht ein paar Schritte vom Feuer weg, um besser sehen zu können. Er ruft über die Schulter: „Wie weit mag es wohl sein bis dort hinauf?“
„Eine Stunde, vielleicht zwei. Man sieht unglaublich weit in diesem Lande und täuscht sich leicht in den Entfernungen.“
In der Nacht liesse sich nichts unternehmen, meint Omsky. Man könne nicht in den schwarzen Felsen herumklettern. Man müsse also bis zum Morgen warten.
Omar berührt den Arm des Forschers.
„Was sagt der Kawadscha?“
„Er will morgen früh auf den Berg dort klettern.“
Über diese Mitteilung gerät Omar ausser sich.
„Das war doch ein Dschinni, o Herr — ein böser Geist. Sage dem Kawadscha, dass er nicht hingehen darf. Es würde sein Verderben sein. Bei Allah — es würde grosses Unglück über uns alle kommen. Bitte, sage es ihm.“
Der Forscher schaut Omar belustigt in das bebende Gesicht. Dann meint er: „Sag’ es ihm doch selber, du Sohn des Löwen.“
Zu des Forschers Verwunderung wirft sich Omar vor Omsky nieder und fleht ihn mit vielen Worten an, den Gedanken, einen Dschinni zu suchen, aufzugeben. Er umklammert dabei Omskys Knie.
„Was will er denn?“ fragt Omsky.
Der Forscher erklärt es ihm lachend.
„Steh auf, du Narr!“ sagt Omsky unwillig und schiebt ihn weg.
Seines Geschickes Lenkerin
Omar schaufelt mit den Händen Sand aufs Feuer, um es auszulöschen. Er meint auf diese Weise den bösen Wüstengeist irrezuführen.
Als der Forscher zu Basil Nada kriecht, legt sich Omar wieder bescheiden auf seinen Platz ausserhalb des Zeltes und beobachtet Omsky, der lange steht und zu den Bergen hinüberschaut.
Es muss die dritte Stunde der Nacht sein, überlegt Omar. Da gehört die Wüste nicht mehr den Menschen. Möge Allah diesem Fremden guten Schlaf geben, dass er bis zum Morgen sein Vorhaben vergisst.
Die Nacht ist trotz der Winde heiss. Omsky streckt sich im Sande aus und schliesst die Augen. Aber ebensowenig, wie Omar durch das Erlöschen des Lagerfeuers die Geister bannen kann, vermag Omsky durch das Schliessen der Augen die Bilder seines Traums zu vertreiben. Sie kommen zu ihm und umflattern ihn.
... Felder, Dörfer, schneekalte Märzenluft — Herden grauer Buchenstämme, Tannen — Tannen. Auf gepflügten Äckern liegt nasser Schnee und punktiert die Furchen. Endlos dehnt sich das Land in sanften Hügeln. — Anny steuert.
Wenn freier Weg vor dem Wagen liegt, fährt sie toll. Er sitzt an ihrer Seite.
Er meint zuweilen ein Jauchzen zu hören im Lärm des Motors. Ihre Lippen sind leicht geöffnet. Es liegt ein merkwürdiges Lächeln darauf.
Anny hat graublondes Haar, ganz feines, wie Seide. Ein paar lose Löckchen flattern im Nacken.
Warum drückt Omsky denn die Lider zusammen?
Er kann diesen weissen Nacken, der kühl und blass wie Perlmutter schillert, nicht länger sehen, sonst muss er sich darüber beugen, ihn zu küssen.
Und es ist ihm ganz einerlei, dass der schwere Wagen mit Sechzigkilometerfahrt über die schmale und aufgeweichte Strasse rennt.
Überhaupt ist es fraglich, ob das noch eine Fahrt ist. Hängt man denn nicht in einer bebenden Schaukel? Und das Land mit seinen Wäldern und Wiesen und Dörfern fliesst in schnellem Wirbel unten vorbei. Fliesst wie ein gewaltiger Strom, den die märztollen Bäche in rasendem Taumel ins Meer jagen — in die Unendlichkeit.
Was ist das heute mit dem Mädchen? Sie hat noch kein Wort geredet. Hat ihm nicht einen Blick zugeworfen, einen dieser kalten, spöttischen Blicke. Warum, zum Teufel, wendet sie denn so viel Mühe und Grausamkeit daran, ihn zu demütigen? Jeder ihrer Atemzüge sagt es ihm doch, dass er nichts gilt, dass er gar nicht mitgezählt im Leben dieser jungen Dame. Gut, er hat sich damit abgefunden. Er wirft keinen Blick in diese Höhe.
Und doch ist das jetzt so, als ob Milliarden von Elektronen von Körper zu Körper fluteten. Herrgott, das alles ist dreimal verfluchter Wahnsinn.
Die Polster schaukeln. Eine schlammige Dorfstrasse hemmt die Fahrt. Wasser spritzt rauschend unter den Rädern. Eine Kirchenglocke läutet, und man merkt mit Verwunderung, dass es Abend wird. Bleich steht der Himmel über den Dächern.
Hinter dem Dorf eine lange Strasse — und dann wieder Wald. Und jetzt wird es Zeit umzukehren.
„Glauben Sie, dass wir auf diesem Seitenwege vorwärtskommen können?“
„Die Gegend ist mir fremd. Ich will aussteigen und es untersuchen.“
„Schliessen Sie die Tür.“
Der Weg führt drei- bis vierhundert Meter in den Wald hinein, macht ein paar sinnlose Krümmungen und verliert sich. Doch, zum Henker, da kommt ja die Limousine hinterhergefahren.
Er hebt die Hand. Der Weg ist unfahrbar.
Anny lacht. Und da ist es schon so dunkel, dass ihr Gesicht hinter der dicken Schutzscheibe nicht mehr zu erkennen ist. Nur das Lachen ist zu hören. Ein helles, klingendes Lachen, das Omsky, den Chauffeur, verwirrt.
Sie überlässt ihm den Platz am Lenkrad, und er fährt rückwärts. Er fährt kaum zehn Meter, und dann steht der Motor still. Bestürzt springt Omsky auf, den Schaden zu suchen. Den Schaden findet er bald. Der Benzinbehälter ist leer.
„Sie haben wohl vergessen nachzufüllen?“ sagt sie. „Und das ist jetzt eine feine Geschichte.“
„Gnädiges Fräulein, ich gebe Ihnen mein Ehrenwort,“ verplappert er sich im Eifer. Es ist doch schwer, seine Vergangenheit ganz zu überwinden.
„Ja — was macht man nun?“ fragt sie.
Unmöglich, ihr Gesicht zu sehen. Aber in ihrer Stimme schwingt heller Silberklang.
Er schlägt vor: „Ich kann zum nächsten Dorf laufen, Benzin holen, oder auf alle Fälle einen Wagen ...“
„Unsinn! Glauben Sie denn, dass ich eine Stunde oder länger allein hier im dunklen Walde bleibe?“
Das kann ihr wirklich nicht zugemutet werden. Es war ungeschickt, ihr mit diesem Vorschlage zu kommen.
Aber der zweite ist nicht viel besser.
„Gnädiges Fräulein könnten vielleicht mit mir gehen.“
Da hört man wieder das Lachen, das ihn in gleicher Weise demütigt und beglückt. Er wundert sich, dass er dieses Lachen noch nie hörte.
„Mit meinen dünnen Lackschuhen soll ich auf dieser schlechten Strasse den weiten Weg machen? Nach zweihundert Schritten müssten Sie mich tragen.“
Das hätte ihn sicherlich nicht erschreckt. Nein, dieser Gedanke brauchte ihr nicht schon wieder Anlass zur Heiterkeit zu geben.
„Wissen Sie keinen besseren Rat?“
Da sagt er und wird sich mit Verwunderung bewusst, dass er plötzlich seinen Hass vergessen hat: „Wenn ich nicht allein gehen soll und Sie mich nicht begleiten wollen, dann bleibt nur eins übrig ...“
Er wagt es nun doch nicht, den Satz zu vollenden.
Er steht vor der offenen Tür. Er steht, ihren Augen und ihrem Spott freigegeben.
„Nämlich?“ fragt sie hinterhältig zum Wagen hinaus.
„... dann muss ich hier bei Ihnen bleiben ...“
„Das wäre eine Lösung,“ meint sie.
Er fühlt ein warmes Knistern bis in die Fingerspitzen.
Zu allem Überflusse beginnt es nun zu schneien. Der Wald ist nur noch eine schwarze Wand. Die Tannenwipfel scheinen es eilig zu haben, die letzte Tageshelle vom Himmel fortzustossen.
„Worauf warten Sie? Es wird kalt, wenn die Tür noch lange offen steht.“
„Soll ich nicht die Notlaterne anstecken?“
„Damit uns möglicherweise Wegelagerer überfallen.“
Anny sitzt jetzt im hintern Teil des Wagens.
Er schliesst die Tür und steigt zum Führersitz.
Ja, diese Sache ist nun in der Tat ein wenig verwickelt. Da steht ringsum der grosse Wald. Das nächste Dorf mag eine Stunde fern liegen. Und Omsky sitzt da, und es ist Nacht. Und hinter ihm sitzt die junge Dame, aus der man nicht klug werden kann. Wie aber das mit dem Benzin gekommen ist, das kann er durchaus nicht verstehen. Dass er den Behälter vor der Abfahrt füllte, soviel ist sicher und gewiss. Nun hätte er grosse Luft, wieder auszusteigen, um die Sache gründlich zu untersuchen. Aber er wagt nicht, sich zu rühren.
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