Omsky fragt einmal, ohne den Kopf zu wenden: „Sind Sie verwundet.“
„Nein. Aber nun ist meine Expedition verloren. Alles, was ich besessen, ist mit dem Schiff in die Luft geflogen. Alles ist hin. Warum haben Sie mich nicht den Wellen überlassen?“
Omsky sagt: „Das Schiff hat jetzt wohl den Grund erreicht. Wir aber leben. Und wenn Sie Ihre Hände rühren können, dann fassen Sie mit an. Es handelt sich vorläufig nur darum, das Leben zu bergen.“
Basil Nada erwacht aus einem Dämmerzustand und erfasst sofort seine Lage. Sein Rücken liegt im Wasser. Aber da das Wasser warm ist, merkt er es kaum anders als eine angenehme Erfrischung. Auch der Wind, der über ihn hinstreicht, kühlt.
„Was wollen Sie?“ fragt Nordau mürrisch. „Wir werden es hier nicht lange aushalten. Morgen wird uns die Sonne ausgedörrt haben, denn es ist doch kein Tropfen Trinkwasser da ...“
Das stimmt. Soviel weiss Omsky auch. Es gab einmal eine Zeit, in der auch Omsky den Dingen ihren Lauf lassen wollte. Das ist vorbei. Er will jetzt wieder der Meister seines Schicksals sein.
Seine Meinung ist, dass man nicht weit von der Fahrstrasse der Dampfer abgetrieben sein könne. Und man werde voraussichtlich im Laufe des Tages aufgefischt werden, meint er.
„Das Wasser steigt im Boot!“ ruft Basil Nada.
Die Freude, dem Tode entgangen zu sein, hat den Kaufmann eine kurze Weile mit Gleichgültigkeit auf die Lage blicken lassen. Doch da er gewahr wird, dass ihm das Wasser in die Ohren läuft, fährt er erschreckt in die Höhe.
„Das Boot ist leck!“
Es kommt plötzlich eine grosse Beweglichkeit über Basil Nada. Er packt das Wasserfass, das ihm am nächsten liegt, und wirft es über Bord.
„Was plagt Sie, Mann?“ fragt Omsky.
Das Boot müsse erleichtert werden, behauptet der Kaufmann. Alles müsse hinausgeworfen werden, wenn man nicht ersaufen wolle.
Damit ist Omsky durchaus nicht einverstanden. Nein, im Gegenteil, es ist noch immer seine Ansicht, möglichst viel vom Untergang zu retten.
„Sie sagten doch selber, das wir hier nur auf den nächsten Dampfer warten,“ schreit der Kaufmann in weinerlichem, zänkischem Tone. „Wozu soll uns denn der ganze Kram hier dienen?“
Das hat ja ebenfalls seine Richtigkeit. Aber Omsky weiss, was er will.
„Dass im Laufe des Tages ein Dampfer in unsere Nähe kommen wird, ist wahrscheinlich. Ob er uns aber bemerkt oder auffischt, ist schon mehr zweifelhaft.“
„Und dann?“ fragt Basil Nada mit Ungeduld und Bekümmerung.
Omsky gibt keine Antwort. Er weist mit einer Kopfbewegung hinüber zu den Schattenbergen.
„Irgendwo müssen wir Menschen finden ...“
Hier mischt sich Nordau mit einer Art Schadenfreude in die Unterhaltung.
„Menschen?! Der Küstenstrich ist fast unbewohnt, nur Sand. Es gibt dort nahe dem Meere nicht einmal eine Karawanenstrasse. Wie aber sollen wir in Tuchschuhen und mit leeren Taschen den weiten Weg wagen?“
Auch das ist richtig. Omsky, der Händler, der Forscher — alle drei haben recht. Omar rudert.
Omar rudert und verflucht leise, aber voll Inbrunst das Schiff, die Erbauer des Schiffes, sämtliche Heizer und ihre Anverwandten bis ins fünfte Glied. Und ausserdem flucht er dem Dampfkessel und des Dampfkessels Glauben. Aber er rudert unverdrossen, weil es von ihm verlangt wird.
Vor der Rettung des Forschers und des Kaufmanns war ein Herr und ein Knecht im Boot. Die Lage war klar und übersichtlich. Jetzt aber sind drei Herren im Boot und drei Meinungen. Das verwirrt die Verhältnisse und birgt Gefahren.
Omsky hat als erster das Boot, das herrenlos war, erstiegen. Er hält sich für des Bootes Eigentümer und Herr. Er ist der Ansicht, dass sein Wort hier in erster Linie Geltung habe.
Man werde bis morgen mittag liegen und warten, so entscheidet er. Aber länger warten werde man nicht. Zeige sich bis dahin kein Dampfer, dann steuere man der Küste zu.
Und Omsky sagt noch: „Wem das nicht passt, der mag seinen eigenen Weg gehen.“
Nordau schaut Basil Nada an und macht mit den Augen ein Zeichen. Auch der Kaufmann macht ein deutliches Zeichen. Das verdriesst Omsky. Mit steifem Nacken wendet er sich herum.
„Es ist nützlich,“ erklärt er, „dass alle Zweifel zerstreut werden. Wo jeder redet, wird nichts getan. Und alles geht schief. Ich will nicht in diesem Boot liegen und warten, ob es mir vergönnt wird, gerettet zu werden oder zu verdursten. Ich will leben.“
Es wird nun über diese Sache nicht mehr geredet. Obschon sich noch vieles sagen liesse. Denn, wenn Leute verschiedener Meinung sind, brauchen sie nach Worten nicht lange zu suchen.
Die vier im Boot sind zu verschiedene Menschen, als dass sie derselben Meinung sein könnten. Ausserdem ist nach dem Erlebnis der Nacht der Wunsch nach Ruhe in ihnen. Der Forscher und der Kaufmann legen sich im Achterteil des Bootes nieder. Omsky macht sich im Bug ein Lager zurecht. Omar schöpft mit seinem Fes das Wasser aus. Dann streckt er sich auf der Ruderbank aus und schläft, bis ihn Basil Nada mit einem linden Fusstritte weckt und ihm befiehlt, das Boot von neuem leer zu schöpfen.
Alle vier schlafen noch, als über dem fernen Gebirge die Sonne aufgeht. Es ist keine rote Kugel, sondern ein ungeheurer Knäuel wirbelnden Feuers, das da über die dunklen Felsengipfel emporschiesst und unerschöpfliche Glutmassen auf das längst ausgedörrte Land und das allzu blaue Meer schleudert.
Der Wind weht immer noch aus Norden. Wellen hüpfen, Wellen rauschen. Sie singen das ewige Lied, das voll Schönheit, aber ohne Erbarmen ist.
Zuerst erwacht Omar. Laut gähnend streckt er sich und wischt die letzten Fetzen des Schlafes aus den Augen.
Das Boot hat sich über Nacht von den andern Überresten des Dampfers entfernt und schwimmt jetzt in friedlicher Einsamkeit.
Omar schöpft mit der hohlen Hand Wasser aus dem Meer und verrichtet die morgendlichen Waschungen, wie sie der Koran vorschreibt. Dann legt er die Hände wie Fächer hinter die Ohren und betet. Voller Inbrunst ist sein Gebet, denn seine Sehnsucht nach der Heimat ist grösser denn je zuvor.
Vom Bug und vom Heck des Bootes betrachten drei Augenpaare den andächtigen Beter. In diesen Blicken ist teils Gleichgültigkeit, teils Spott.
Die drei Herren beugen nicht ihre Knie in Demut. Ihre Gesichter sind stolz. Unmöglich kann man sich die einfältige Andacht des Arabers darein denken. In den zerknitterten und noch feuchten Anzügen haben sie aber schon viel von ihrer äusseren Würde verloren. Eine einzige Nacht hat ihnen vieles von ihrer Vornehmheit genommen.
An Omar ist keinerlei Veränderung wahrzunehmen. Seine weiten dunklen Hosen und sein blauer Kittel sehen heute nicht schmutziger und elender aus als gestern. Und seinem gelben Gesicht merkt man nicht das geringste an, dass er in dieser Nacht nur wenige Stunden auf der schmalen Ruderbank geschlafen hat.
„Allah ist gross,“ murmelt Omar. „Alle Dinge sind ihm möglich. Wenn es sein Wille ist, wird er mich wieder zurückführen in meine Hütte ...“
Omar sitzt wieder auf seinem Platz und wartet auf Befehle, gehorsam und zuverlässig. Unbeholfen lächelnd schaut er von einem zum andern.
Wo Omar zu Hause sei, möchte Basil Nada wissen.
Omar, verwundert, in seiner eigenen Zunge angeredet zu werden, starrt den Kaufmann mit offenem Munde an. Dann glänzt sein Gesicht auf in kindischer Freude.
„O Efendim — Allah möge deinen Tag segnen! Das ist ein froher Morgen. O Freude, deine Stimme zu hören! Wo meine Hütte steht, willst du wissen, Vater der Güte? Sie steht drei Meilen hinter Damaskuscham. Bei El Veit teilt sich die Strasse ... eine Karawanserei liegt dort ...“
Omar hätte noch lange geredet und dem grossen Herrn von seiner Heimat erzählt. Denn seit Jahren ist dies nun die erste Gelegenheit, sich einem andern in seiner eigenen Sprache mitzuteilen. Jedoch der Kaufmann fährt wie ein Keil dazwischen.
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