Die Herausforderung bei Neueinführungen besteht darin, einen guten Mittelweg zwischen Bewahrung und Innovation zu finden. Welche Werte beziehungsweise Meme Ihrer Marke bleiben gleich und können bestenfalls modern interpretiert und inszeniert werden? Wo liegen ihre Grenzen? Wo gibt es Anknüpfungspunkte für Neuerungen, neue Produktlinien und Markenkonzepte, die im Trend liegen UND zu Ihren Markenkernwerten passen? Sind Sie selbst- oder fremdähnlich?
2. Gebot: Du sollst relevant sein- ohne Relevanz, keine Existenz
Relevant zu sein heißt, konkreten Nutzen zu bringen und dadurch eine möglichst hohe Wichtigkeit zu erlangen. Es ist hilfreich, drei Ebenen der Relevanz einer Marke zu unterscheiden (siehe Grafik gegenüber):
die Ebene des individuellen Nutzens für den Kunden,
die Ebene der generellen Lebensknappheit aus dem psychosozialen Kontext des Kunden und
die tiefer liegende Schicht auf der kulturellen Ebene, auf der potenzielle Kunden sozialisiert wurden.
Basis: relevanter funktionaler Nutzen
Ist Ihre Leistung, Ihr Angebot wichtig für den Kunden? Erhöht Sie den Mehrwert auf der Kundenseite oder reduziert sie die Anwendungskosten in der konkreten Problemlösung? Antworten darauf werden meist in Fokus-Gruppen in Form von Telefoninterviews mit offenen und/oder geschlossenen Fragen gesucht. Der Kunde benennt seine Erwartungshaltung, seine Zufriedenheit und Ähnliches. Die Problematik liegt hier darin, dass der Kunde nicht bestehende Produkte testet und daher in die Zukunft gerichtete Beurteilungen abgeben soll. Dabei weiß er nicht wirklich, was er in Zukunft will – entweder hat er keine konkrete oder nur eine unscharfe Vorstellung davon, oder er kennt seine echten Bedürfnisse nicht beziehungsweise möchte sie nicht zugeben. Ein echter Zukunftsfitness-Hinweis wird so eine Befragung daher nicht ergeben. Bestenfalls liefert sie eine Bestätigung des oberflächlichen Status.
Die meisten bahnbrechenden neuen Ideen der jüngeren Vergangenheit, wie zum Beispiel die Neuauflage des Minis von BMW in den USA, schnitten bei Marktforschungen schlecht ab, weil die Befragten sich nicht vorstellen konnten, welchen konkreten Nutzen sie davon haben würden, und entsprechend gegen das neue Produkt votierten. Die Befragten wollten damals eben alle die großen schweren Sport Utility Vehicles (SUVs). Wer sich also nur auf Kundenbefragungen verlässt, vergibt vielleicht bereits heute die Chance auf einen morgigen innovativen Erfolg. So hat zum Beispiel Chrysler in den USA zu lange dem Kundenwunsch nach großen (benzinfressenden) Status-Autos Rechnung getragen und die Ökologie-Sparte kampflos an die japanischen Hersteller abgegeben.
Selbstverständlich ist es erforderlich, die Wichtigkeit von Produktleistungen, Services und die Kundenzufriedenheit testen zu lassen. Das Ergebnis kann allerdings lediglich als Gegenwarts-Feedback gewertet werden, auf dessen Basis man zum Beispiel den Service verbessern, ein zusätzliches technisches Feature zur Problemlösung einführen oder die Abwicklungsgeschwindigkeit erhöhen kann. Zur großen Marke wird man mit dieser Maßnahme allein jedoch nicht. Für Hinweise auf die zukünftige Fitness Ihrer Marke und ihres Mem-Pools sind die folgenden zwei Ansätze viel umfassender und zielführender.
Lebensknappheiten: psychologische und soziale Motivatoren
Menschen handeln immer nach dem Knappheitsprinzip. Was im Leben knapp ist, ist relevant und wird begehrt. Knappheiten können aus dem sozialen Umfeld heraus entstehen. Es kann der Wunsch nach Wohlstand sein, wie er zurzeit in den Aufsteigerländern China, Indien und Mittel- und Osteuropa stark ausgeprägt ist, oder auch das Bedürfnis nach Sicherheit, Status, Geselligkeit oder Entlastung. Auf der individuellen Seite können es Wachstumswünsche sein wie Freiheit, Selbstverwirklichung, Kreativität oder Anerkennung als Trendsetter in einer Gemeinschaft.
Die gefühlten Lebensknappheiten sind die Basis für die so genannte «Appetenz» und somit Relevanz für Ihr Angebot. Eine Marke ist nur dann «fit», wenn sie die Lebensknappheiten als grundlegende Motivatoren von Konsumenten bedient. Dort, wo Überfluss und Überbedienung vorherrschen, wird der Kunde sie missachten und «diskontieren». Wer strebt heute den Kauf des vierten DVD-Players oder das Erlebnis der wiederholt schlechten Beratung in einem Warenhaus an? Die Menschen erwarten zunehmend wieder persönliche Aufmerksamkeit, Entlastung und Lebensqualität in einer Zeit des materiellen Überflusses. Eine ausführlichere Behandlung zum Thema Lebensknappheiten anhand von Beispielen und mit Anregungen für Fitness-Möglichkeiten für Ihre Marke finden Sie im Kapitel 4.
Kulturelle Codes: Prägungen und Werte einer Kultur
Was kulturelle Codes auf eine positive Weise anspricht, ist relevant. Codes sind gemeinhin Vereinbarungen über einen Set an Symbolen, Verhalten und Zeichen. Codes sind immer spezifisch und müssen entschlüsselt werden. Wer die Fähigkeit besitzt, Codes zu entschlüsseln, gehört zur Community. Wer nicht über diese verfügt, steht im Abseits. Codes können Landes- oder Softwaresprachen sein oder aber auch Verhaltensweisen verschiedener Gemeinschaften.
Unter kulturellen Codes versteht man universelle, archetypische Gründungs- und Heldengeschichten der Kultur, in der man aufwächst. Sie enthalten unter anderem Wertvorstellungen, Verhaltensund Bedeutungsmuster, verborgene und offene Sehnsüchte. Kulturelle Codes entstehen aus der Historie einer Kultur und prägen Menschen meist in der frühkindlichen Phase der Erziehung. Sie werden darüber hinaus aber noch bis in die Lebensphase der Postadoleszenz, teilweise bis Anfang dreißig, individuell angenommen und geformt. Sie lagern sich im Unterbewusstsein ab, steuern aber unsere Wünsche und unser Verhalten maßgeblich.
Marken und deren Meme sprechen diese Codes entweder positiv oder negativ an. Erfolgreiche Marken haben den richtigen Code der Sehnsüchte entschlüsselt und fallen sozusagen auf einen fruchtbaren Nährboden. Marken, die kulturellen Konventionen widersprechen, haben die Chance, als rebellische Marke zu reüssieren, man denke an Apple oder YouTube. Kulturelle Codes sind also der Schlüssel zur Welt. Sie zu kennen ist in einem interkulturellen Markt existenziell, um in allen Erdteilen auf positive Resonanz zu stoßen. Mehr zum Thema Kulturcodes in Kapitel 5 (ab Seite 160 ff.).
Fazit:Eine Marke ist also dann fit, wenn sie die wesentlichen funktionellen Probleme der Kunden löst, Nutzen und Lösungen bietet, dabei die Lebensknappheiten berücksichtigt und zusätzlich die passenden kulturellen Codes und Archetypen bedient. Suchen Sie Ihre Marke und Ihren Markt nicht nur nach augenscheinlichen Nutzendimensionen ab, sondern investieren Sie in die Analyse der Lebensknappheiten und der kulturellen Codes.
3. Gebot: Du sollst attraktiv und signalstark sein
Die Kategorien Nutzen, Knappheiten und kulturelle Sehnsüchte der Marke müssen dicht, deutlich und signalstark ausgedrückt werden, um unsere Kunden, Kollegen und Freunde zu beeindrucken. Der Pfauenschwanz mag hier einmal mehr als eindrückliches Bild dienen.
Er drückt das so genannte Handicap-Prinzip der Evolution aus. Es besagt, dass Spezies sich während des Balzens anstrengen, möglichst komplizierte Dinge wie Tanzen, Singen oder Wettrennen auszuüben und dabei ein Maximum an äußerer Wirkung zu entfalten, ohne daran zu sterben. Auf eine Gleichung gebracht: Je höher das sichtbare Meistern eines Handicaps, umso größer die Attraktivität. Insbesondere die Größe und Schönheit des Pfauenschwanzes symbolisiert den Weibchen die nötige Kraft und Vitalität der Gene und damit auch die Fähigkeit, das Überleben und den hohen Status innerhalb der Pfauengruppe mit gemeinsamen Nachkommen zu sichern.
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