Eine starke Marke hat also immer beides und ist nicht einfach ein Oberflächenzeichen. Eine einzigartige, erfahrbare Markengestalt mit wertvoller Substanz, die hält, was sie verspricht, ist anziehend, attraktiv, begehrenswert und leistet somit das, was man auch heute von Marken erwartet: Ein Kunde zahlt ein Preispremium, kauft häufiger Produkte derselben Marke, hat eine höhere Bindung an sie, identifiziert sich und empfiehlt die Marke in seiner Gruppe weiter. Das sind echte Markenwerttreiber, die man einfach messen kann, um den Markenwert seiner Marke zu kennen.
Negativ formuliert: Kommunikative Marken ohne echtes differenziertes Leistungsversprechen enttäuschen und führen zur Illoyalität, geringem Preispremium, keiner Weiterempfehlung und somit zu zunehmendem Rabattierungszwang als letztem Differenziator – frei nach dem Motto: Ich kann das Gleiche wie die anderen, ich bin aber billiger.
Das ist der Anfang vom Ende der Markenführung. Auch leistungsstarke Marken, die diese aber nicht attraktiv ausdrücken können, ereilt das Schicksal der Austauschbarkeit. Die Kunst liegt in der Verknüpfung von herausragender Leistung und dichtem Ausdruck dessen, um am Markt einen Eindruck zu hinterlassen.
Wenn auch keine Definition Anspruch auf vollständige Wahrheit hat, kann man es in pragmatischer Weise aber sicher wie folgt auf den Punkt bringen: Erfolgreich ist der Ansatz, der sich auch künftig bewähren wird.
Erfolg versprechend ist die leistungsbasierte Betrachtung von Hans Domizlaff in Kombination mit evolutionären Gesichtspunkten, insbesondere der Theorie der Memetik. Dieses evolutionäre Markenverständnis ermöglicht es, die zukünftigen Gestaltungsräume in der Markenführung zu erweitern und diese besser und wirkungsvoller zu nutzen und zu steuern.
Evolutionäre Markendefinition: Marke als Mem-Pool
Die evolutionäre Markendefinition leitet sich aus der Theorie der kulturellen Evolution, der Memetik, ab. Unter Memetik versteht man die Lehre von der Beschaffenheit und Wirkungsweise so genannter als Träger kultureller Bedeutungseinheiten und kultureller Entwicklung. Das sind zum Beispiel Lieder, Bücher, typische Verhaltensweisen, Symbole, Bedeutungen, Witze und so weiter. Der Begriff der Memetik wurde von der britischen Psychologin Susan Blackmore programmatisch in ihrem Buch «Die Macht der Meme oder die Evolution von Kultur und Geist» im Anschluss an die Thesen Richard Dawkins geprägt.
In Analogie zur biologischen Evolution sind Meme also die kulturellen Entsprechungen von Genen. Als Informationsträger wollen sich Meme replizieren und werden über den Weg der Nachahmung weitergegeben. Damit eignet sich die Memetik ausgezeichnet als theoretische Grundlage für ein erweitertes Markenverständnis. Marken wollen sich auch durch Werbung, Kauf, Weiterempfehlung oder Nutzung replizieren und damit zum Beispiel als «Species» Nivea oder Tempo in alle Nischen wachsen. Je attraktiver die Marken-Meme, desto stärker die Ausbreitung. Verlieren Meme aufgrund von Überfluss oder Irrelevanz an Attraktivität, werden sie nicht mehr gekauft, weiterempfohlen oder sogar verschwiegen. Als Folge werden sie nicht mehr selektiert beziehungsweise imitiert und sterben aus.
Knapp und präzise formuliert entspricht eine Marke der Summe der Meme, die sie durch Leistungen und Kommunikation in den Köpfen der Kunden zu Vorurteilen und einem wertigen Bild von Markencodes verdichtet haben. Eine Marke kann also auch als Mem-Pool begriffen werden. Meme bestehen unter anderem aus Werten, Leistungen (Produkte, Services, Erfahrungen), Geschichten, stilistischen Elementen wie Farbe und Form, aus Persönlichkeiten, Symbolen, Ritualen sowie aus kulturellen Codes wie zum Beispiel Heldengeschichten, Initiationsriten, Paarungsritualen, aber auch aus Gefühlen wie etwa Liebe.
So besteht beispielsweise der augenscheinliche Mem-Pool von Nivea, einer der europäischen Most Trusted Brands (der sehr schön auf der Website zu entdecken ist), unter anderem aus dem Begriffswert «Pflege» («One Word Equity»), aus dem Namen Nivea, (Nivis= lat. für «Schnee») aus Urvertrauen, aus der Farbe Blau, aus der Dose, aus dem Schriftzug, aus der hohen Qualität zum vernünftigen Preis und Ehrlichkeit.
Diese Nivea-Meme haben sich schrittweise in die folgenden Märkte individualisiert und ausgebreitet: pflegende und dekorative Gesichtspflege, Haarpflege, Rasur, Baden/Duschen, Körperpflege, Babypflege und Sonnenschutz; dabei wurden verschiedene Altersund Geschlechtergruppen erobert. Die Produkte sind oft neu, aber der Kern des Mem-Pools ist gleich geblieben und wurde immer wieder stilistisch zeitgemäß unter anderem in 17 Nivea-«Flagship-Shops» in Deutschland erneuert. Dies zeigt auch, wie sich fast 100-jährige Marken immer wieder in der Balance von Stabilitäts- und Trendadaption erneuern und einen robusten überlebensfähigen Mem-Pool mit verschiedenen Produktpopulationen schaffen.
Das Verständnis von Marke als Mem-Pool erweist sich als äußerst fruchtbarer Ansatz, weil es in umfassender Weise sowohl Werte und Leistungen als auch kulturelle Muster, Geschichten und unbewusste Codes (vgl. Kapitel 5, S. 139 ff.) umfasst. Oft beinhalten unbewusste Codes das Wesen einer Marke, weil sie für den Kunden in einer besonders eingängigen Weise wahrgenommen werden. Im Gegensatz zu eingeschränkteren Kategorien wie «emotionaler und rationaler Nutzen», «Reason Why» oder unfundierte «Images» ermöglicht dieser Ansatz eine offenere und produktivere Herangehensweise im Markenmanagement. Eine Marke ist ein ganzheitliches, offenes adaptives System, das auch als solches behandelt werden sollte, wenn man das Beste aus ihr herausholen will.
Worin zeichnet sich nun eine erfolgreiche Marke, als Mem-Pool verstanden, aus? Wie es für eine Spezies gemäß der erweiterten Evolutionstheorie immer darum geht, ihre Gene möglichst zahlreich weiterzugeben, um so das Überleben und Wachsen zu sichern, so muss auch eine Marke ihre Meme möglichst zahlreich weiterverbreiten. Als Mem-Pool ist eine Marke also dann umso erfolgreicher, je replikationsfähiger ihre Meme sind. Wenn ihr dies gelingt, wird sie häufig gekauft, verwendet, weiterempfohlen und wiederholt gekauft. Sie ist begehrlich, attraktiv und wird dauerhaft von Kunden selektiert und wird so eine StarBrand, die den Unternehmenswert steigert.
Marken-Meme bestehen aus der Markenkernleistung, Produkten, Dienstleistungen, Erfahrungen, Claims, unbewussten Markenbotschaften, Verhaltenscodes, Symbolen, Geschichten oder Ritualen, das heißt, je mehr Adidas-Schuhe, H+M-Kleider und Klingeltöne von Shakira verbreitet werden, umso erfolgreicher repliziert sich der Mem-Pool dieser Marken. Der Mem-Pool FIFA-Fussball-WM ist zum Beispiel einer der attraktivsten unserer Zeit und wird eher verteilt als verkauft. Wie attraktiv ist der Mem-Pool? Verkaufen Sie noch oder verteilen Sie schon?
Die Replikationsfähigkeit von Memen wiederum hängt – ähnlich wie in der biologischen Evolution – davon ab, wie stark sie die evolutionären Erfolgsbedingungen erfüllen.
Eine fitte Marke ist ein attraktiver «Mem-Pool».
Die grundlegenden evolutionären Erfolgsbedingungen
Auf der Suche nach Gesetzmäßigkeiten beziehungsweise Universalprinzipien für erfolgreiches Handeln kommt man schnell immer wieder an einen Punkt: die moderne, erweiterte Evolutionstheorie, die auch heute noch auf den zwei wesentlichen Ideen basiert, die deren Urvater Charles Darwin im 19. Jahrhundert in seinen zwei bahnbrechenden Büchern formuliert hat: «The Origin of Species by Means of Natural Selection or the Preservation of Favoured Races in the Struggle for Life» und «The Descent of Man and Selection in Relation to Sex».
Darwins Forschung ist im Übrigen ein ausgezeichnetes Beispiel dafür, wie man zu wesentlichen Erkenntnissen kommt, indem man Komplexitäten methodisch fundiert reduziert und daraus wiederum erfolgreiches Handeln ableiten kann. Wäre Darwin damals auf der Ebene der einzelnen Tiere oder Tierarten geblieben, statt den Sprung auf die höhere Ebene der Gesetzmäßigkeiten vorzunehmen, wäre er nie mit dieser Theorie in die Weltgeschichte eingegangen.
Читать дальше