Rifkin schreibt Europa als Heimat der sozialen Gesetzgebung und weltweiten Verfechter der Menschenrechte eine führende Rolle in der Globalisierung zu. Er sieht in der Europäischen Union das erste übernationale Netzwerk, in dem es Nationen gelingt, miteinander zu kooperieren und gemeinsam sowohl Wohlstand als auch Lebensqualität zu schaffen und zu mehren.
Insbesondere hinsichtlich neuerer gesellschaftlicher Werte wie ökologische Nachhaltigkeit oder Work-Life-Balance sieht er Europa in der Vorreiterrolle für das Entstehen einer vernetzten und nachhaltig agierenden globalen Kultur. Wir erleben durch den Export von europäischen Luxusmarken und Imitation europäischer Lebensart, dass europäische Werte sowohl in den USA als auch in den aufstrebenden Ländern als eine Art Leitkultur im Zeichen des Aufstiegs zelebriert werden.
Europa als Kulturraum mit seinen 500 Millionen Einwohnern kann, allen Unkenrufen zum Trotz, eine gestaltende Macht für ein besseres Leben werden. Dies gelingt nur, wenn wir als Markenführer das Selbstbewusstsein entwickeln, unsere spezifischen Werte und unsere ökonomische Kraft einzusetzen. Die Werte sind Einheit in der Vielfalt, Freiheit, Toleranz, Nachhaltigkeit und ein modernisierter und leistungsbasierter Gerechtigkeitssinn. Nur wenn wir uns auf unsere eigenen Stärken besinnen, diese ausbauen und nicht immer nach den Vereinigten Staaten schauen, wird ein Label «Made in Europe» weltweit zum Kassenschlager.
Wie «Europa-fit» ist Ihre Marke und wie nutzen Sie europäische Werte in der Markenführung?
Das «Kreative Zeitalter»: Die neue Welle der Wertschöpfung
Durch die zunehmende Automatisierung wesentlicher, ehemals durch Menschen erarbeiteter Wertschöpfungsstufen stellt sich die Frage, wo denn die Quellen unserer Wertschöpfung sein werden, wenn die Globalisierung und die Verlagerung von Produktionsstätten so weitergehen. Mit dieser Frage eng verbunden ist der Aufstieg von China und Indien («Chindia») als weltweite Standorte für die Produktion jeglicher Waren, Software-Entwicklung und intelligenter Dienstleistungen.
In der westlichen Welt entstehen durch den Überfluss und die Überernährung zunehmend neue Bedürfnisse nach Kreativität, Aufmerksamkeit, Selbstverwirklichung, Design, aber auch nach Fürsorge und Lebenskunst. Es sind Lebensknappheiten dieser Art, die eine weitere Stufe in der Wertschöpfungskette schaffen. Um sie zu befriedigen, werden Kunden künftig viel Geld ausgeben. Besonders Menschen, die in Berufen arbeiten, die im weitesten Sinn künstlerisch, kreativ und wissensbasiert sind, haben mit ihrer neuen Selbstständigkeits- und Selbstdarstellungskultur das «Kreative Zeitalter» bereits eingeläutet. Marken können hier als Begleiter und Inspiratoren für Kreativität wirken.
Macht Ihre Marke im kreativen Zeitalter noch einen relevanten Unterschied?
Web 2.0:Die Machtübernahme durch die Konsumenten
Im Gegensatz zur ersten Welle des Internets, die im Wesentlichen zunächst die Transaktionskosten zwischen Unternehmen und Kunden reduzierte und in deren Folge auch ganze Distributionskanäle ins Web verlagert wurden, ermöglicht das Web 2.0 die Machtübernahme durch die Konsumenten und stellt damit eine Entmachtung der klassischen Massenmedien dar.
Anwendungen des Web 2.0 stellen Plattformen wie zum Beispiel flickr.com oder youtube.com dar, die es den Anwendern erlauben, ihre kreativen Leistungen wie beispielsweise Fotografien und Videofilme mit einigen wenigen Mausklicks in der ganzen Welt zu veröffentlichen. Internetnutzer können auf Seiten wie linked-in.com oder xing.de aber auch ihre eigene Identität gemeinsam mit ihrem sozialen Netzwerk einstellen oder ihre eigenen Inhalte produzieren. Mit Hilfe von viralen Effekten wie Weiterempfehlung, Reputation durch Sternebewertung und Talk Value durch charmante Geschichten schafft die so genannte User-Community ihre eigenen Märkte und beginnt das Spiel von Angebot und Nachfrage immer wesentlicher zu beeinflussen.
Dieses aktive Kommunikationsverhalten der Konsumenten hat mittlerweile rund 80 Millionen Internetblogs entstehen lassen. Die neue Medienkultur ändert natürlich auch die Art der Meinungsbildung. Meinungsmacher sind nicht mehr nur gängige Medien und Fachexperten, sondern zunehmend auch selbst ernannte Hobby-Journalisten, die es zuweilen zu einer sehr hohen Community-Reputation bringen. Fernsehen wird für viele, insbesondere gebildete, aber auch jüngere Schichten zu langweilig. Viel spannender und befriedigender ist es, eigene Inhalte zu produzieren und ins Netz zu stellen oder auch über weltweit vernetzte Onlinespiele wie «World of Warcraft» in Parallelwelten einzutreten.
So werden Buchhalter in ihrer zweiten Welt zu Zauberern, die böse Geister austreiben, oder bauen sich in der pseudorealen virtuellen Welt von «Second Life» zusammen mit drei Millionen anderen Benutzern eine neue parallele Existenz auf. Dort versuchen sie, ein besseres Leben zu führen und dem echten Alltag neue Erfahrungen wie spontanen Sex im virtuellen Café hinzuzufügen. Nun ist es mit dem virtuellen Sex wie mit dem virtuellen Steak – also nicht wirklich befriedigend. Dass aber die Ausweitung der Fantasie aus dem eigenen Kopf in die technische Virtualität Konsequenzen in der persönlichen Wahrnehmung hat, steht außer Frage. Marken werden sich hinbewegen zu interaktiven Erfahrungsräumen oder Serviceplattformen für «Life-Design». Sie sind Dialogforen für innovative Zukünfte.
Wie nutzen Sie die sozialen Medien des Web 2.0 für Ihre Marke?
Das Ende des klassischen Marketings: Es wird als solches durchschaut
Nach über 40 Jahren Erfahrung im Umgang mit Wohlstand und damit auch mit den herkömmlichen Marketingmethoden und -formaten, mit echten und falschen Werbeversprechen lassen sich Konsumenten immer weniger etwas vormachen. Sie informieren sich über Produkte in Meinungsforen und Warentests und wissen immer genauer, was sie wirklich wollen.
Vorbei ist es mit der Passivität. Kunden erwarten von einem Unternehmen heutzutage – und künftig immer stärker – authentische Kommunikation und Produkte sowie Dienstleistungen, die die versprochene Qualität tatsächlich aufweisen. Letztendlich müssen Angebote im Austausch mit dem Konsumenten selbst, als individuelle Maßanfertigung, zu ihrem «eigenen» Produkt werden. Marken, die manipulativem Marketing oder manipulativer PR unterliegen, geraten immer stärker unter Druck.
Wie machen Sie Marketing, wenn herkömmliche Techniken durchschaut werden?
«Me-too» funktioniert nicht mehr
In überfüllten, überreifen und somit übersättigten Märkten wird es immer schwieriger, für Kunden wirklich neue, das heißt spürbar neue Innovationen zu lancieren. Deswegen versuchen viele Unternehmen und Marken entweder einem Trend zu folgen (Follower-Strategie) oder auf den Zug des Innovationsführers aufzuspringen und ihn zu kopieren (Me-too-Strategie). Aber fast 75 Prozent der Markteinführungen scheitern langfristig. Oder Unternehmen scheitern, weil sie Innovationen oder Produktsegmente im Markt etablieren wollen, die entweder nicht relevant genug oder irrelevant sind.
In diesem Umfeld wird die Kunst der wirklichen Produkt- und Markeninnovation zu einem wesentlichen Baustein der zukünftigen Markenführung, um für die (über) kritischen Kunden der heutigen Zeit einen wirklich wertigen Unterschied zu schaffen. Die Schlüsselherausforderung für eine Marke ist es, systematisch und kontinuierlich neue Nummer-eins-Positionen zu entdecken und für sich zu besetzen. Sie muss ein echtes Marken-Innovationsportfolio entwickeln, um nicht beliebig jedem Trend hinterherzulaufen oder den Wettbewerb zu kopieren.
Wie finden Sie systematisch einzigartige Nummer-eins-Positionen, statt nur hinterherzulaufen?
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