Und Herr Eivind betrank sich immer weiter. Er lebte ganz für sich allein in schwärzester Sünde und Erniedrigung. Er lebte in den Wäldern des Helleberges. Mit seinem großen Gewehr zog er aus; hin und wieder fiel ein Schuß. Aber Herr Eivind brachte niemals Wild nach Hause. Er schoß nur. Wahrscheinlich tötete er auch — aus purer Lust und ohne Zweck und Nutzen. Herr Eivind konnte alles tun, was er wollte, so groß und mächtig, wie er war; er brauchte niemand Rechenschaft geben.
Es hieß damals auf Lisät, Herr Eivind bereue alles, was er getan; vor allem bereue er sehr, daß er seine Frau Dagmar kränkte. Das mag nun ebensogut wahr sein oder nicht wahr sein. Es ist sehr wohl möglich — Herr Eivind konnte eben seine Reue nicht auf andere und feinere Art bezeigen, als daß er in den Wald ging und sein Gewehr abschoß und nach Hause kam, sich auf sein Bett legte und betrank.
Vielleicht hätte Frau Dagmar ihm helfen können, denn er liebte sie noch immer; die zarte Frau Dagmar hätte ganz gewiß dieses schreckliche Feuer in dem mächtigen Manne löschen und ihn mit ihren guten reinen Kinderhänden führen und wieder auf einen besseren Weg bringen können. Aber sie wollte nicht. Sie konnte wohl auch nicht. Sie hatte keinen starken Sinn und keinen festen Willen; sie hatte nichts weiter zu geben als ihre rührende, lächelnde Hilflosigkeit.
Frau Dagmar lauschte gern, wenn der Zigeuner-Halstein von seinen langen Wanderungen erzählte. Aber am liebsten hörte sie ihn vom Süden des Landes erzählen, von der Gegend, wo ihre Heimat lag. Sie war doch so einsam und unglücklich auf Lisät; darum sehnte sie sich zurück in das Land ihrer Kindheit; und sie mußte also dem zugetan sein, der jenes Land kannte und ihr davon berichtete.
Wie hätte aber Herr Eivind in seiner Stärke und in seiner Not solches verstehen sollen? Wie hätte aber der Knecht Oswald in seiner großen Liebe und in seiner großen Not solches verstehen können? Nein, weder Herr noch Knecht begriff es. Herr und Knecht haßte darum den Zigeuner-Halstein aus ehrlichem, glühendem Herzen.
Oswald gönnte ihm kein gutes Wort mehr; doch weil es der Herrin anders gefiel, jagte er den Zigeuner nicht vom Hofe. Herr Eivind machte später auch dieses nach seiner eigenen Manier ab. Er nahm Halstein auf sein Zimmer und trank mit ihm und lachte mit ihm und machte sich gemein mit ihm in jedweder Art. Bald nach Weihnachten verschwand Halstein. Bald nach den dreizehn Nächten fand man Herrn Eivind im schwarzen Ur, mit einem Loch im Kopfe. Herr Eivind war noch nicht ganz tot, als man ihn fand; er wollte unbedingt eine Mitteilung machen. Doch niemand vermochte seine Worte zu verstehen. Dann starb er. Ein tapferer Mann, der vor keiner Tat zurückschreckte. Er starb an seiner Liebe.
Dieses ereignete sich zu der Zeit, da Jan, der bleiche Kamerad des Tater-Halstein, ebenfalls verschwand. Jan verschwand an dem Tage, als Herr Eivind im schwarzen Ur aufgefunden wurde. Und damit waren die Zigeuner wieder aus dem Fjord hinaus ...
Der Punkt, der sich mit so unheimlicher Kraft bewegte, war fort, der Punkt, der das stille Wasser aufriß und alle Ruhe zerstörte ...; aber die Wellen rollten weiter und weiter ...
Großer Himmel, es wurde so verwunderlich an diesem Strande. Einige Mädchen heirateten nach altem Schick und Brauch und gebaren Kinder. Einige Mädchen heirateten nicht und gebaren dennoch Kinder. Die Natur hat in allen Winkeln der Welt die sonderbarsten Einfälle.
Auf Lisät wurde Trygve geboren. Frau Dagmar hatte nicht viele Lebenskräfte; sie reichten nicht weiter als bis zu diesem einen Kinde, zu diesem Sohn. Als sie ihn geboren hatte, welkte Frau Dagmar dahin und starb still und bescheiden, genau so, wie sie gelebt hatte. Vor ihrem Tode legte sie ihren Sohn Trygve in Oswalds Arme.
Dieser Art hatte der treue Knecht die Liebe seiner schönen Herrin gewinnen können. Was tat er dafür? Er tat nichts — keine Eroberung, kein Genuß, keine Sünde; weder Lust noch Reue. Der Knecht Oswald und verbotene Früchte — nein, das wäre doch ganz undenkbar. Er stand nur stumm und ergeben vor Frau Dagmars Tür und wartete. Er hatte nur noch ein Auge, und es war auch anderweitig nicht übermäßig viel Verführerisches an ihm. Aber er gewann Frau Dagmars kleine süße Kinderseele, ja, ihre Seele gewann er ganz und gar. Frau Dagmar legte ihren einzigen Sohn Trygve in ihres Knechtes Arme und lächelte ein wenig auf ihre besondere Weise. Damit war es getan. Es wurde kein einziges Wort geredet. Der Knecht nickte. Das war alles. Das war ein heiliger Schwur.
Der Knecht Oswald hat seinen Schwur gehalten ...
Herrn Eivinds Vater war Herr Bardolf.
Es war Herr Bardolf, der die drei großen Häuser auf der anderen Seite des Fjords baute. Aber der Haupthof war von jeher Lisät und blieb allezeit Lisät.
Das war eine große Zeit; Reichtum und Macht an allen Ecken und Enden. Das war ein starkes Geschlecht, damals. Herr Bardolf Einarson von Lisät, Herr Einar Rolfson von Lisät ... oh, mein Lieber, alles ungeheuer mächtige Herren! Viele vor Herrn Bardolf nannten sich schon Lisät, sie nannten sich nach ihrem Lande. Sie waren vom Schöpfer selber als Herren über dieses Land gesetzt worden. Sie kamen alle auf die Welt, um hier zu herrschen.
Sie regierten mit Strenge, das soll Gott wissen. Denn sie waren durchweg finstere Männer mit langen, krummen Nasen und Knochenfäusten und Herzen ohne Mitleid, kalt und ohne Erbarmen mit anderen Geschöpfen.
Herrn Bardolf gehörte noch alles Land vom Schärenhof bis zum hintersten Fjordbund, alle die Berge und Bäche, die Wälder und die Fische in der Tiefe und das Wild auf den Höhen. Rund herum wohnten seine Pächter — es waren im Grunde noch Leibeigene, Träle. Sie saßen auf hundert kleinen Gehöften, vielleicht waren es auch zweihundert Gehöfte. Sie mußten Herrn Bardolf Fron leisten, daß er sie auf seinem Boden wohnen und leben ließ.
Die Herren von Lisät waren aber niemals Bauern, niemals Landleute mit der Liebe zum Boden im Blute. Sie gingen ganz einfach als Herrscher über ihr Land hin. Und soweit es Herrn Bardolf anbetrifft, so liebte er zu reiten. Ja, er liebte es, auf seinem großen Rappen in diesen Felsenbergen umherzureiten. Und damit er besser umherreiten konnte, rief er seine Träle herbei und befahl ihnen, Wege zu bauen, ganz sinnlose und zwecklose Wege — Herrenwege, nur zu eines Herrschers Vergnügen geschaffen.
Was hätte dem armen Volk größeren Eindruck machen können als diese märchenhaften Reitwege des Herrn Bardolf? Wenn er dahergeritten kam, traten die Leute schnell und scheu beiseite, die Mütze in der Hand, und keiner wagte es, sein Angesicht zu heben.
Herr Bardolf trug vom frühen Morgen bis in die Nacht hinein einen geraden, zierlichen Degen an seiner linken Seite. Und er trug einen steifen Kragen, der ihm bis unter die Ohren reichte, er trug Kniehosen und seidene Strümpfe und Schuhe mit Silberschnallen. Darüber kann gar kein Zweifel sein, daß Herr Bardolf von der Liebe des Himmels in solcher Vollkommenheit erschaffen wurde. Wenn er in den Sattel stieg, mußte ihm ein Knecht den Bügel halten. Es konnte geschehen, daß das Pferd aus purem Übermute ein paar gelbe Äpfel fallen ließ. „Dort liegt das Dusör“, konnte Herr Bardolf sagen und griff in die Zügel.
Der Knecht beugte seinen Rücken. Der Knecht drückte die Hand vor den Mund, um seine Zähne zu verbergen, weil er es niemals gewagt hätte, seinem Herrn ein unwürdiges Gesicht zu zeigen. So mächtig und geachtet war dieser Herr Bardolf. Die Leute freuten sich über jedes gnädige Wort aus seinem Munde.
Herr Bardolf war der Richter, er saß mit Hut und Degen hinter einem großen Tische und erteilte Strafen ...
Als er genug hatte vom Straßenbau, hieß er seine vielen Leute in den Wald gehen und Bäume fällen, uralte Föhren und Tannen. Und er befahl ihnen, am Strande von Elde ein Haus zu bauen. Es wurde ein ungeheuerlich weites Haus mit vielen Fenstern und mehreren Eingängen. Hernach bekam Herr Bardolf erst recht Lust zum Häuserbauen. Darum stellte er gleich noch ein Haus an die Mündung des Trollbaches; und ein weiteres Haus stellte er am Hang von Mevik auf.
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