Sie können sich denken, daß diese Nacht noch bizarrer zu werden drohte, und wie hätte die barmherzige Hella Hell den kleinen Knaben allein in den berauschten und zitternden Händen dieser krisenerschütterten Familie zurücklassen können?
Fabian schlief inzwischen sehr tief (was übrigens auch für die gestürzte Inger zu gelten schien), und Regina war ganz damit beschäftigt, die letzten Zentiliter Weißwein in sich hineinzukippen, deshalb verzog ich mich mit weichen, wogenden Schritten ins Schlafzimmer des Paares, ließ den schlappen kleinen Babykörper in die Wiege sinken und stieß sie eine Weile immer wieder leicht mit dem Fuß an, während ich versuchte, Ordnung in das im Laufe des Abends entstandene Gedankenchaos zu bringen.
Ich konnte mich jetzt nicht in meine gepflegte und behagliche Wohnung zurückziehen. Zuerst mußte ich mich davon überzeugen, daß die Ordnung im Ström-Fors’schen Wirrwarr wieder ihr normales (mit ihren Maßstäben gemessen) Niveau erreicht hatte. Außerdem konnte ich Jojo doch nicht in der Stadt herumwuseln lassen. Aber ich konnte mich auch nicht auf die Suche nach ihm machen, denn der Kleine könnte zu früh aufwachen, und die beiden Mamas waren in einem Zustand, in dem sie das Baby sehr leicht auf den Boden fallen oder mit dem Kopf gegen eine Tischkante stoßen lassen könnten, oder vielleicht würden sie sein Schreien auch gar nicht hören, und er würde den entsetzlichen plötzlichen Kindstod erleiden (diese Todesfälle ereignen sich doch offenbar immer dann, wenn das Kind allein im Raum ist).
Ich schlich mich zurück ins Wohnzimmer, wo inzwischen Ruhe eingekehrt war. Sogar Regina war eingeschlafen und hing jetzt mit obszön strotzenden Eutern über dem Sofa. Ich deckte sie zu, hütete mich aber davor, sie zu berühren.
Aus dem anderen Bündel stieg derweil beruhigendes Schnarchen auf, und deshalb konnte ich Ingers Zustand in aller Ruhe inspizieren. Sie brauchte ein Kopfkissen, aber ansonsten konnte ihr nichts passieren.
Nach dieser Nachtrunde ging ich ganz einfach zu Jokkes Bett, zog mich aus und schlüpfte unter seine Decke, die sicher seit zwei Monaten nicht mehr gewaschen worden war und nach Jojojojojojo duftete ...
Ha, ha! Ich weiß, was Sie jetzt denken! Rotkäppchen und der böse Wolf, nicht wahr?
Ich war offenbar eingeschlafen, denn ich weiß nicht, was dann passiert ist.
Plötzlich aber lag der kühle Knabenkörper neben mir und atmete heftig. Er roch nach Bier, und ich drehte langsam meinen Kopf zu ihm hin, um den süßen Duft mit der milden Beimischung von Tabaksduft einzuatmen, die seine Kopfhaut abgab. Einige Augenblicke verstrichen, dann berührte er unbeholfen und mit zitternder Hand meinen Bauch und schob seinen Oberschenkel zwischen meine. Er preßte seinen steifen Unterleib gegen meine Hüfte, und die Wollust, die diese Nähe mir gab, kannte in der Weltgeschichte nicht ihresgleichen. Wir wußten beide, daß unsere Geschichte ein sofortiges Ende nehmen würde, wenn Regina oder Inger uns im wahrsten Sinne des Wortes mit heruntergelassener Hose ertappten. Deshalb mußte jede Bewegung mit dermaßen exquisiter Raffinesse passieren, daß ein geschickter Herzchirurg daran seine Freude gehabt hätte. Jos Fingerspitzen, gehärtet vom Gitarreüben, drückten leicht gegen meine Scham, die sich geöffnet hatte und schon überlief von der quälenden Lust, ihn ganz verschlingen zu wollen. Meinen Jojo. Unsere Körper und unsere Sinne vermischten sich, zwei Meere begegneten einander und zogen uns hinab in eine verzauberte Unterwelt.
Unsere Lippen suchten über eine Brücke aus heißen Atem einen Weg zueinander, vorsichtig, vorsichtig, und wurden dann sanft zusammengekoppelt und öffneten sich der schönsten Naturmalerei, die die Welt jemals erblicken würde, wenn sie die Pinselstriche unserer Zungen hätte sehen können. Wir tranken einander in dieser feuchtwarmen triefenden Oase, in die uns unsere durstige Wüstenwanderung geführt hatte. Wir waren Tristan und Isolde, die ersten und die letzten Liebenden, und allein schon die bleiche Beschreibung dieses glühenden Liebesaktes, die ich hier liefere, zwingt mich dazu, meine Schreibarbeit für einen Moment zu unterbrechen und mich einem dringenden intimen Bedürfnis zu widmen.
Ich hatte geglaubt, alle Nuancen der Anziehungskraft zu kennen, aber diese keuchende Nacht der unerträglichen Spannung in Jojos Bett ließ mich einen ganz neuen Ton in der Tonleiter entdecken, einen neuen Buchstaben im Alphabet, eine neue Grundfarbe oder vielleicht ganz einfach die Signatur Gottes.
Und als die Sehnsucht auf der allerschärfsten Schneide zitterte, und Hella Hell den Kuß der Seligkeit entgegennehmen wollte, als sie die Kapsel öffnete, in die ihr Glückselixier siebenundzwanzig Jahre hindurch eingesperrt gewesen war, in dem Moment, als der ewige Kontrakt besiegelt werden sollte ... wurde er abgebrochen. Dieser Abbruch hatte die Gestalt eines banalen Bedürfnisses und führte zu einem gelben Strahl ins Klo. Der Abbruch erschien in Form einer taumelnden Regina auf dem Weg zur Toilette.
Atemlos wartete ich auf die Entdeckung und versuchte, in meinem keuchenden Krampfzustand Auswege zu ersinnen. Jojo flüsterte »o Scheiße« und zog die Decke so hoch, wie es nur ging, ohne daß vier Füße zum Vorschein kamen. Regina platschte überaus lange und in der schablonenmäßig geschnittenen und hellhörigen Wohnung überaus aufdringlich, dann folgten ein Hustenanfall, ein lautes Schnaufen, Papiergeraschel, rauschendes Wasser, und endlich stapfte sie mit röchelndem Atem zurück in ihr Schlafgemach, wo alle Geräusche verstummten.
Beachten Sie nun bitte meine Charakterstärke, als ich mich, nachdem ich meinem Paradiesjungen einen Kuß auf den Hals gesetzt hatte, mit demselben Widerwillen von unserem Liebeslager losriß, mit dem eine Mutter ihrem in den Krieg ziehenden Sohn zuwinkt.
Draußen wurde es jetzt hell, und die deprimierende Dämmerung schob sich zwischen die Nacht und Hella Hell, so, wie die deprimierte Regina sich zwischen Jocke und Hella Hell schob.
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