Göttin sei Dank war es unverschämt leicht, Reginas Vertrauen zu gewinnen. Gemeinplätze und leeres Gewäsch reichten dazu völlig aus. Ihre Lebensanschauung bestand aus einem zerkochten Mus aus Simone de Beauvoir, dem Dalai Lama und populärwissenschaftlicher amerikanischer Psychosoße. Das Ganze wurde dann gewürzt mit einigen glitzernden Körnchen Gaydisco. Und mußte mit ansehnlichen Mengen billigen weißen Weins hinuntergespült werden.
Nein, jetzt war es an der Zeit, meinem schönen Plan neue Gleitmittel zuzuführen und meine weiteren Gedanken in mein schwarzes Tagebuch einzutragen. Ich tunkte die Feder in die Tinte und fing an zu schreiben.
Moment 1.
Begreift Regina, diese Riesenvagina, wie ihr feministischer Terror einen Sohn im Teeniealter beeinflussen muß? Jockes Psyche kann aufs übelste deformiert werden, wenn er sich in seinem kleinen Kinderzimmer zu seiner schäbigen E-Gitarre und seiner Sammlung von Platten der männlichen Rock-Desperados verkriechen muß. Ich muß ihn retten, ihm dabei helfen, dieser mit Schleimhäuten tapezierten Wohnung zu entkommen, in der die quasi-intellektuellen Floskeln herumschwirren wie resistente Bakterienherde.
Wie um alles in der Welt soll ich das Leid mitansehen können, das mein Joy Boy in dieser Umgebung aushalten muß, wo keine Rücksicht auf seine Bedürfnisse genommen wird? Geduld ist schwer.
Halte durch, bald werde ich dich retten, mein dreizehnjähriger Sahnepudding.
Das schrieb ich in einer Art wütenden Hochstimmung. Danach klappte ich das schwarze Buch sorgsam zu und verschloß es mit der roten Seidenschnur.
Damit war das Terrain besetzt, und mein Plan trieb wie ein Floß über einen unendlichen Ozean aus Möglichkeiten. Ich stand hier vor meiner wahren Lebensaufgabe. Und glauben Sie mir – ich hatte niemals böse Absichten! Der Plan, den ich für Jocke inszenierte, war mein letzter Versuch, mit behutsamer Hand den Schabernack, den das Schicksal mit mir trieb und vor dem ich bisher demütig den Nacken gesenkt hatte, in den Griff zu bekommen. Wenn es eine Sekte für Menschen mit meinem Charakterfehler gegeben hätte, einen Verband wie die Anonymen Alkoholiker, dann hätte diese Gemeinschaft eine treue Anhängerin gefunden, Hella Hell nämlich. Verstehen Sie, wie einsam ich mich fühlte? Und daß ich zu der Zeit, in der sich das alles zutrug, viel zu oft ein Wasserglas mit Wodka Kurant vollkippen mußte, wenn die Brecher der Erkenntnis sich über mein Gewissen ergossen, obwohl ich sonst doch nie auch nur das kleinste Alkoholproblem gehabt hatte?
Damals wie heute saß ich an meinem Schreibtisch und feuchtete meinen Hals mit einem nach schwarzen Johannisbeeren schmeckenden Elixier, auch wenn es heute aus übertrieben gesüßtem Saft besteht, dem einzigen Geschmack, der an die Vergangenheit erinnert, deren Puzzlestücke ich ohne die Assoziationen, die dieser Geschmack mir gibt, nicht zusammenlegen kann.
Es war Abend, und die Dämmerung jagte die Großstadtbevölkerung aus ihren ereignislosen Häusern ins schäumende Leben der Straßencafés.
Sollte ich in die Nacht hinaus wandern und mich auf einen Barhocker setzen, um mich von redseligen Herren von Mitte fünfzig umwerben zu lassen? Lachen und mir scheinbar interessiert ihre revidierte Lebensphilosophie anhören, nachdem sie nach ihrer ersten und ihrer zweiten gescheiterten Ehe endlich zu der Erkenntnis gekommen waren, daß es zwischen Männern und Frauen eben doch einen Unterschied gibt? Sollte ich zustimmen und lachen? Oder widersprechen und lachen? Mir noch mehr Unsinn anhören und mich zu einem weiteren Glas einladen lassen? Und dazu gezwungen werden, für den Gesprächszusammenhang völlig belanglose Details wie Namen und Beruf preiszugeben?
Diese düsteren Aussichten wurden von einem ebenso düsteren Regenguß unterbrochen, der gegen das Dach über meiner großflächigen Loftwohnung prasselte. Was Jocke wohl gerade machte?
Ich beschloß, Regina anzurufen. Es klingelte dreimal, dann meldete sich eine weiche und zugleich rauhe dreizehn Jahre alte Stimme, und ich war einfach außer mir.
»Aber hallo«, sagte ich dann. »Hier ist Hella.«
»Wie schön«, sagte Jocke, und ich hörte ihn lachen.
»Bist du allein?«
»Ja. Muttern und Inger fressen bei zwei Schwulen.«
»Und warum bist du nicht mitgegangen?«
»Hatte keine Lust.«
In meinem fieberhaften Gedankenwirbel kam es zu einem Stocken. Sollte ich Jocke einladen? Aber wie sollte ich das Regina gegenüber begründen? Ich faßte einen Entschluß. Ich würde ihr ganz einfach die Verantwortung für den kleinen Tunichtgut abnehmen, so lange sie von dem Baby dermaßen in Anspruch genommen war.
»Wozu hast du denn Lust?« fragte ich mit verspielter Stimme und betonte das Wort Lust.
»Weiß nicht«, sagte er (allerdings mit dieser wunderbaren jugendlichen Schlaffheit, die es sich wie »weinich« anhören ließ). »Spaß haben«, fügte er dann hinzu.
»Und wie geht das?«
»Was denn?« Jetzt schien er verwirrt zu sein.
»Spaß haben?«
»Dazu braucht man Kohle«, murmelte er mit einer Stimme, die plötzlich einen leisen Beiklang von verletzter Männlichkeit hatte.
»Kriegst du denn kein Taschengeld?« fragte ich und versuchte, mich so förmlich und geschäftlich anzuhören, wie ich nur konnte, damit er sich dem triefenden Geschlechtswesen Hella Hell gegenüber nicht wie ein Kind vorkäme.
Er lachte kurz.
»Ich kriege das Kindergeld von achtzehnhundert im Monat. Aber mein Taschengeld ist schon alle.«
»Dein Haschengeld?« scherzte ich, und er hatte verstanden.
»Genau.«
»Und wozu brauchst du sonst noch Geld?«
»Weinich«, antwortete er zögernd. »Bier ... Gitarrensaiten ... Miete für den Übungsraum ... coole Klamotten ... ich weinich. Mit Kohle lassen sich doch immer alle möglichen Löcher stopfen.«
»In Löcher läßt sich vieles stopfen«, erwiderte ich vielsagend. »Das ganze Leben ist doch ein klaffendes Loch, oder etwa nicht?«
»Ja, zum Teufel«, Jocke kicherte. Danach schien er Anlauf zu nehmen, ehe er fragte. »Wie lange kennst du meine Alte schon?«
»Ungefähr ein Jahr. Aber wir hatten bisher nur beruflich miteinander zu tun. Angefreundet haben wir uns erst in letzter Zeit.«
Der frühreife Teenie wollte weiterkommen, denn jetzt nahm er abermals Anlauf.
»Äääh, wie soll ich das sagen ... also ... fährst du auch auf Frauen ab?«
»Aber Herzchen!« rief ich. »Das mußt du doch begriffen haben!«
Er seufzte enttäuscht und verstummte. Göttin, bald hatte ich ihn!
»Begriffen, daß das nicht der Fall ist«, hakte ich mit lautem Lachen nach, in das er brav sein kleines heiseres Kichern mischte.
»Mmm. Du bist bestimmt verheiratet und der ganze Scheiß.«
»Seh ich so aus? Bin ich fett? Blaß? Schlecht angezogen? Langweilig?«
»Nein, wirklich nicht.«
»Na also. So werden Frauen nämlich, wenn sie eine feste Beziehung haben.«
Ai, da war ich in eine Sackgasse geraten. Rasch ruderte ich zurück: »Wenn sie sich mit einem öden Kerl abschleppen müssen, meine ich.«
»Dazu wird ja wohl keine gezwungen«, wandte Jocke ein.
»Doch. Von der Angst vor Einsamkeit. Selbst das noch so öde Reihenhausleben ist den meisten lieber, als daß sie ihre eigenen Entscheidungen treffen und als Herzensreiterinnen das blutige Schlachtfeld der Leidenschaft überqueren müssen, um die himmlischen Oasen zu erlangen.«
»Meine Fresse, hast du das in irgendeinem Buch gelesen, oder was?« frage Jocke erstaunt.
»Hör doch auf«, sagte ich mit leisem Wiehern. »Das war bloß ein Klischee.«
»Herzensreiterinnen, was heißt das wohl auf Englisch?« überlegte Jocke.
»Heartrider, würde ich vorschlagen«, sagte ich.
»So werde ich ein Stück nennen. Oder Rider of my heart.«
»Wie heißt eure Band?«
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