1 ...8 9 10 12 13 14 ...19 Regina stand in einem weißen Kleid, das ihren breiten Hintern sehr schmeichelnd umgab, vor dem Altar. Ihre sonst kurzgeschorenen mausgrauen Haare waren jetzt zu Locken gelegt, und die Frisur war so sorgfältig geföhnt und toupiert worden, daß die Haarenden geschwungen auf Reginas Schultern lagen. Inger, ihre Lebensgefährtin, stand mit dem Baby im Arm daneben, stolz und froh wie ein frischgebackener Vater. Das Gelaber des Pastors war ein Störelement von agitatorischen Floskeln über die späte, aber willkommene Akzeptanz der Tatsache, daß auch Homosexuelle ein Recht auf die Bildung von Familien hatten. Zwei hartgeschminkte Transsexuelle in den hinteren Reihen fingen während dieser endlosen Betrachtungen an zu kichern und zu tuscheln, denn die Ausführungen waren absolut überflüssig in dieser vorurteilslosen Gesellschaft aus alternden Schwulen, gutmütigen Verwandten und kurzgeschorenen jungen Lesben mit gepiercten Lippen, Nasen, Augenbrauen und Zungen. Dann wurde das Kind endlich auf den Namen Fabian Alexander getauft, der Choral »In deiner treuen Hut, o Herr« wurde gemurmelt, ein Junge (viel zu jung, höchstens zehn) sang »Wer segelt denn wohl ohne Wind«, und die Menge strömte dem Ausgang entgegen. Ich hatte eigentlich das Taufgelage bei Regina zu Hause überspringen wollen, mußte aber in der Kirche bleiben, bis ich meine Philippe Starck-Vase überreicht hatte. Als Regina und Inger vor einer Empore Aufstellung nahmen und alle sofort den Finger in die winzige Hand des Kindes schieben wollten, um dessen Greifreflex zu testen, kam aus dem Dunkeln ein Jüngling zum Vorschein. Er hatte sich offenbar hinter der Treppe versteckt, die zur Empore hochführte, und jetzt sah ich nur noch ihn. Die feierlichen Klänge der Kirchenorgel hüllten ihn ein, und er zwinkerte mir zu.
Die Offenbarung war ein jeanstragender Junge, dessen Schlüsselkette in langem Bogen über seinen mit seltener Vollkommenheit modelliertem Oberschenkel hing. Es war ein weizenblonder Bube mit Pagenfrisur, der eine hellgrüne Jacke trug, unter der sich zwei leicht gewölbte Brüste und ein T-Shirt mit Kizz-Emblem zeigten. Ein Teenieschlingel mit niedlicher Stupsnase, glatten himbeerroten Lippen und gesenktem Blick. Bis er die hingerissene Schmuddeltante Hella Hell entdeckte, deren Katzenaugen ihn auszogen, ja, ihm die Kleider vom Leib rissen. Worauf sein schwarzgerahmter Blick sich wie eine Welle über mich ergoß und wir beide lächelten, indem wir einen Mundwinkel hoben. Smash! , jubelte eine Stimme in mir. Dieser waschechte Joy Boy war dermaßen formvollendet, daß unser Schöpfer seinen Stab bestimmt einige zusätzliche Male geschwungen hatte, während er heimlich kicherte und sich auf die explosive Wirkung freute, die sein Produkt auf die hypersensible Hella Hell ausüben würde. Das Produkt bekam in jeder Hinsicht die höchste Punktzahl! (Ach, möge das deutliche Bild, das ich von Jocke noch behalten habe, niemals verbleichen!)
Regina unterbrach den wortlosen Dialog, in den der Junge und ich bereits vertieft waren.
»Ach, wie gut«, rief sie. »Jetzt lernst du endlich Jocke kennen.«
Ich riß mich los aus der blauen Lagune, in der ich mich verloren hatte, und schaute Regina verwirrt an. Jocke, Jokke ... Regina hatte diesen Namen nebenbei einmal erwähnt, wie den eines Nachbarn oder eines homosexuellen Freundes.
»Jaaa«, sagte sie jetzt. »Also, mein Sohn.« Dann drehte sie sich zu Jocke um, stellte mich vor und erzählte, was ich so machte. In diesem Fall freute ich mich über Reginas enge Perspektive, denn sie sagte nur, ich sei AD bei ihrem Homoblatt, das ihm natürlich bekannt war. Meine dubiose Karriere als Skandal- und Kultautorin erwähnte sie dagegen mit keinem Wort. Jocke streckte die Hand aus, und ich wagte kaum, sie zu berühren, so peinlich war mir die Sturzflut aus Handschweiß, die ich zweifellos von mir geben würde.
»Ich wußte ja gar nicht, daß du schon ein Kind hast«, brachte ich als Entschuldigung für meine Verwirrung vor. (Wenn dieses halbwüchsige Kind eine Tochter gewesen wäre und kein absolut perfekter Schlümmel, dann hätte ich natürlich in Rekordzeit wieder zu mir gefunden.) Aber Regina schöpfte keinen Argwohn.
»Ach herrje! Ich war mir ganz sicher, daß du das wüßtest. Aber das kann ja daran liegen, daß er im letzten Jahr bei seinem Vater in Hudiksvall gewohnt hat. Das ist doch jetzt ein Jahr, Jocke, oder?« fragte sie ihren Sohn.
Er nickte und bohrte eine Welpenfaust in seine Hosentasche, was mir eine Vorahnung davon gab, was sich noch dort unten befand, und diese Ausbeulung verdrängte alle anderen Gedanken, als wir in redseliger Prozession zu Reginas und Ingers Wohnung bei Slussen zogen. Während des kurzen Weges versuchte ich, mich mit dem schlaksigen und hochaufgeschossenen Schelm zu unterhalten, der mit den Händen in der Tasche in seinen achtlos gebundenen Doc Martens neben mir dahinlatschte.
»Wie ist es denn so in Hudiksvall?« fragte ich angespannt, während ich mir den Kopf darüber zerbrach, was es wohl für ein Gefühl sein würde, die Zähne in seine festen Hinterbacken zu schlagen.
»Ach, eben so«, antwortete er. (Ich muß übrigens auch von seiner Stimme erzählen. Stellen Sie sich einen Sprung in eine Sandgrube vor. Oder eher von einer hohen Sanddüne in glatten weißen Sand. Das Geräusch, das bei der Reibung mit dem Sand entsteht. Das war die Qualität von Jockes Stimme.)
»Wie das denn?« fragte ich mit echtem Interesse, ich wollte alles über die Innenwelt dieses von Gott gesandten Wunders wissen.
»Ähh«, sagte er und bedachte mich mit einem blauen Knabenblick. »Keine Bräute und kein Spaß.«
»Gibt’s mit Bräuten denn mehr Spaß?« Ich lachte ein wenig beleidigt, aber auch erleichtert, da ein echter Schlümmel immer offen ist für die geschlechtlichen Verlockungen, und da die Erfahrung, die er auf diesem Gebiet offenbar schon gesammelt hatte, darauf hindeutete, daß er sexuell mündig war. Er hatte meinen scharfen und eindringlichen Blick richtig erfaßt, denn er antwortete mit einem halben Lächeln:
»Jaa. Wenn sie wissen, was Sache ist ...«
Hier wurde die Konversation, die zweifellos die Sperren zwischen mir und einem echten Joy Boy auflösen könnte, leider abgebrochen. Wir standen nämlich bereits auf der Schwelle zum angekündigten Kaffeeklatsch mit Reginas und Ingers Angehörigen.
Als der Grund meines Hierseins sich in die inneren Gemächer der Wohnung verzog und mich der Gesellschaft der Erwachsenen überließ, fing ein zottiger Vogel mit ausgebreiteten Schwingen an, in meiner Brust umherzuflattern. Mein Herzrhythmus steigerte sich, ich konnte nicht mehr schlucken, und meine Wangen glühten. Ich kann mich nicht daran erinnern, jemals eine solche Panik erlebt zu haben, aber von diesem Moment an hatte sie in meiner Brust Wurzeln geschlagen und fand nur noch Ruhe, wenn mein Geliebter sich in meiner unmittelbaren Nähe befand.
Als ich dann vor meiner Kaffeetasse, die ich aus Angst vor einem Herzanfall nicht umzurühren wagte, und einem Muffin dasaß, versuchte ich, Reginas Mutter zuzulächeln, deren Wortschwall ich nicht einmal zur Hälfte begriffen hatte. Vermutlich hatte es sich nur um unwichtiges Gerede zum Thema Kinder gehandelt. Ich konnte meinen Blick auf keins der kauenden und redenden Gesichter konzentrieren, die einfach so in der Luft zu hängen schienen. Ich hatte schon Angst, sie könnten sich um mich zusammendrängen, um mich in meinem freien Fall genauer in Augenschein zu nehmen und dabei die sündhaften Phantasien zu entdecken, die tief in mir umherkrochen. Seltsamerweise war mir noch kein Horn auf der Stirn gewachsen.
Während meine Blicke sich auf Reginas und Ingers uneinheitliche, stillose und in Bezug auf alle ästhetischen Grundlagen geradezu ketzerische Einrichtung richteten, fand in meinem siedenden Herzen eine fieberhafte Denkarbeit statt. Als ich den Mahagonisekretär betrachtete, der mit karierten und getupften Vasen voller Plastikblumen zugestellt war, beschloß ich, zur Toilette zu gehen und mich dabei in der Zimmertür zu irren, bis ich ihn gefunden hätte. Aber als mein Blick auf zwei afrikanische Masken von der Sorte fiel, wie Reisende sie gern aus exotischen und übermäßig ausgebeuteten Reisegegenden mitbringen, riß ich mich zusammen. Denn was hätte ich als nächstes tun sollen? Ich mußte ihm eine Falle stellen, das Interesse des Kleinen erwecken und nicht die wohlmeinende erwachsene Dame spielen, die nette Fragen stellt und nette, aber wortkarge Antworten erhält. Neben den Grimassen schneidenden Masken aus Afrika stand ein schiefes Bücherregal mit den obligatorischen gerahmten Fotos. Sofort entdeckte ich ein Farbbild des Jungen als kleinem Knaben. Warum war er zum Papa nach Hudiksvall verbannt worden? Vielleicht könnte ich ihm eine Unterkunft in meiner standesgemäßen Hundertvierzigquadratmeter-Wohnung anbieten, die ich aus meinen goldenen Zeiten behalten hatte? Dieser Gedanke feuerte mich dermaßen an, daß sich mir die Haare sträubten, aber sie blieben dann an dem dilettantisch gemalten Bild an der mir gegenüberliegenden Wand hängen. Nein, bremste ich mich. So ein Vorschlag könnte den Jungen verscheuchen, denn dann würde er ahnen, was ich zwischen den Zeilen zu lesen wünschte. Er würde sich als angehender Gigolo sehen, und Beziehungen zu Gigolos waren noch nie Hella Hells Stil.
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