Mit der Wagner’schen und dem Universitätsverlag Wagner ist jetzt ausgemacht, dass ich das Projekt trotzdem vollenden soll, die langen Straßen werde ich halt mit der Vespa abfahren. So komme ich auch in jede Gasse und Straße Innsbrucks, wenn auch nicht per pedes. Das ist unendlich schade, ich wäre so gerne weitermarschiert! Hat mich also mein Gefühl doch nicht getäuscht – ich hätte mein „Ich bin dann mal nicht weg“ schon vorigen Sommer durchziehen sollen. Ohne Corona, ohne PAVK – das Buch wäre längst am Markt. Aber – ich war nie ein Hatti-Wari-Typ, die Situation ist jetzt so, wie sie ist, und wird durch Jammern und Selbstbemitleidung keinen Deut besser. Die Motivation ist halt leider weg – mit der Vespa ist das keine richtige Herausforderung mehr, das kann mir ja jeder nachmachen.
Trotzdem setzen wir mein Projekt fort, das Wetter ist perfekt und Ilse bringt mich in die Roßau hinunter. In diesem Stadtteil fehlen mir nur noch wenige Adressen und spontan beschließe ich, die alle noch zu Fuß zu gehen. Dann habe ich wenigstens die ersten drei Stadtteile Innsbrucks „ordnungsgemäß“ erledigt. Die Vespa kommt dann ab morgen zum Einsatz.
Beim Kreisverkehr neben der Jet-Tankstelle steige ich aus, der Griesauweg (alte Grundbuchbezeichnung) ist heute als Erstes dran. Ich habe mir ein Fitnessarmband gekauft und teste gleich aus, wie viele Schritte ich schmerzfrei gehen kann. Es sind selten über 230. Das werden bei meinem Schrittmaß gerade mal 170 Meter sein. Zach! Ilse muss mich am Griesauweg dreimal einsteigen lassen, aber dann ist die letzte längere Straße der Roßau erledigt. Auch hier reiht sich Firma an Firma und als ich beim Autohaus Denzel vorbeikomme, schaue ich, ob er mal wieder einen McLaren-Sportwagen in der Auslage stehen hat. Leider nicht, aber wie als Kompensation fährt ein weißer Audi R8 an mir vorbei, mein Lieblings-Supersportwagen.
Als Nächstes nehmen wir uns die Dr.-Adolf-Hörhager-Straße (Innsbrucker Politiker, 1884–1940) vor, sie verbindet die Roßaugasse mit der Trientlgasse und ist 200 Meter lang. Und wie ich diese kurze Straße so entlangspaziere, trifft mich nach gut 150 Metern plötzlich ein Blitz der Erkenntnis: Wenn ich mich nach meinen 170 bis 200 Metern ins Auto setze, dort eine halbe Minute raste, dann beginnen die nächsten 170 schmerzfreien Meter. Und wieder und wieder und wieder. Immer wieder von vorne. Zwar muss ich mich pro Kilometer fünf- bis sechsmal ausrasten, aber dann bin ich immerhin einen Kilometer weit gekommen. Ob das auch 50 Mal hintereinander möglich wäre? Dann könnte ich ja zehn Kilometer und mehr am Tag schaffen, na das wär’ was …
Ich teste das gleich weiter aus und lasse mich zur Eduard-Bodem-Gasse (Pionier des Flugrettungswesens, 1910–1977) führen. An der Ecke zum Grabenweg gehe ich los und komme gleich einmal bei dem Gebäude vorbei, wo sich früher die Redaktion des Tiroler Nachrichtenmagazins ECHO befunden hat. Ich war als Journalist und Redakteur fast zehn Jahre lang mit an Bord, bis das Monatsmagazin leider eingestellt worden ist. Im Gebäude daneben bin ich auch drei Jahre lang aus- und eingegangen, denn da war das Tirol TV untergebracht und ich war dort Fernsehredakteur. Überhaupt ist das eine richtige Medien-Ecke hier, denn auch das Innsbrucker Stadtblatt hat in der Eduard-Bodem-Gasse seine Redaktionsräumlichkeiten. Die ich auch von innen kenne, denn beim Stadtblatt war ich als Fotoreporter beschäftigt, mein erster Job im Journalismus überhaupt.
Beim Durchmarsch der Eduard-Bodem-Gasse komme ich dann beim Helga-Krismer-Platz (Mitbegründerin des Technologieparks Roßau, 1940–1993) vorbei. Von dem höre ich heute das erste Mal, der dürfte noch nicht lange so heißen. Aber schön, dass ich gleich eine weitere Adresse aus meiner Liste streichen kann. Die Eduard-Bodem-Gasse reicht eh nur bis zur Valiergasse vor, ich bin ohne Pause durchgekommen. Ilse wartet genau an der Ecke, ich steige ins Auto ein und lass meine Frau schon nach 300 Metern wieder anhalten. Schließlich wollen wir nicht an der Etrichgasse (Flugzeugkonstrukteur, 1879–1967) vorbeifahren. Auch diese Straße verbindet die Valiergasse mit dem Grabenweg, also liegt auch sie innerhalb meiner Geh-Weite. Die kurze Pause während der Herfahrt hat meinen „Waden-Akku“ so weit aufgeladen, dass ich die Gasse ohne Pause bewältigen kann. Auch wenn die letzten 30 Meter hart waren. Langsam kriege ich ein Gefühl dafür, wie lange ich jeweils pausieren muss. Länger als eine halbe Minute brauche ich nicht, allerdings nur dann, wenn ich sitzen kann. Im Stehen erhole ich mich erstens langsamer und zweitens schlechter. Da gehen nach einer Pause kaum mehr als 100 Meter schmerzfrei.
Die nächste Adresse geht mitten in der Etrichgasse in Richtung Westen ab und nennt sich Stadlweg (eventuell ein alter Flurname). Gleich links steht die große Tennishalle und als sie erbaut wurde, stellte sie durchaus eine architektonische Subdominante in der Roßau dar. Sie war schon von Weitem zu sehen, doch mit jedem Jahr ist sie mehr und mehr hinter den Neubauten des Gewerbegebiets verschwunden und heute muss man sie schon suchen. Im Winter war die Tennishalle bei uns Taxifahrern gefürchtet, weil die steile Außentreppe oft stark vereist war. Und dann hast du noch einen schwer Angeheiterten stützen und die extrem rutschigen Stufen hinunterbegleiten dürfen – Rupalwand light, sag’ ich nur …
Der Stadlweg macht dann beim Automobilclub ARBÖ eine scharfe Biege nach links, ehe er neben dem OBI Heimwerkermarkt in der Bernhard-Höfel-Straße (Innsbrucker Juwelier und Mäzen, 1862-1943) aufgeht. Das ist für heute meine letzte Straße, Ilse führt mich zur Kreuzung mit dem Langen Weg vor. Die Bernhard-Höfel-Straße wird mich bis zum Grabenweg bringen und während des Gehens bin ich ganz in Gedanken versunken, was die Fortsetzung meines Projekts betrifft. Wie sich heute gezeigt hat, muss ich mich zwar spätestens alle 200 Meter für eine halbe Minute lang niedersetzen, aber das lässt sich doch machen, oder? Ich habe heute nach jeder Pause darauf gewartet, dass sich meine Gehstrecke irgendwann zu verkürzen anfängt. Nix da, wie ein Uhrwerk kann ich meine 220 bis 230 Schritte schmerzfrei abrufen, immer wieder aufs Neue. Wie oft das aber wirklich hintereinander geht – spätestens morgen weiß ich es. Denn ich bin gerade derart euphorisiert von der Möglichkeit, meine „Erstbegehung von Innsbruck“ doch noch zu Fuß zu schaffen, dass ich mir für morgen gleich ein Irrsinns-Programm auferlegt habe. Eh schon wissen, es gilt mein Projekt-im-Projekt umzusetzen, „Die Reichenau an einem Tag“. Wenn ich das schaffe, dann schaffe ich auch alles andere. Und mit diesem schönen Gedanken im Kopf bin ich am Ende der Bernhard-Höfel-Straße angelangt und steige nach dem Hotel „Austrotel“ zu meiner Frau ins Auto. Passt – Stadtteil Nummer 3 ist erledigt, morgen ist die Reichenau dran.
Oh, bevor ich es vergesse: Da war ja noch was mit Corona. Das Virus ist zwar noch nicht verschwunden, wütet aber derzeit anderswo. In Österreich sind fast alle Beschränkungen aufgehoben worden, die Geschäfte und Gastgewerbebetriebe haben wieder geöffnet und der als Abstandsmaß berühmt gewordene Babyelefant hat offenbar ausgedient. Wir werden sehen, ob das gutgeht …
Reim des Tages:
Ich danke Doktor Schnapka von ganzem Herzen,
denn jetzt weiß ich endlich den Grund meiner Schmerzen.
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