»Du bist zu wichtig, als dass du da draußen fröhlich rumspazieren kannst, Prinzessin.«
»Ich habe nicht darum gebeten!«
Lucans Augen verdunkelten sich bei meinem kleinen, spontanen Ausbruch noch weiter und er erstarrte.
»Wie bitte?«
»Ich habe nicht darum gebeten!«, rief ich erneut. »Weder um diese Position noch darum, rund um die Uhr beschützt zu werden.«
Fassungslos starrte er mich an.
Sogar in meinem eigenen Kopf klangen meine Worte unüberlegt und dumm. Mein Verhalten war kindisch und dennoch konnte ich nicht anders. Ich war einfach … überfordert. Diese letzten Tage, Himmel, die letzten Wochen … endlich hatte ich das Gefühl gehabt, die Kontrolle zu bekommen. Sogar meine Magie hatte mitgespielt und dann passierte so etwas und ich war erneut am Schwimmen.
»Ich habe nicht darum gebeten«, flüsterte ich leise.
»Nein, das hast du nicht«, erwiderte Lucan und ich hörte die unterdrückte Wut in seiner Stimme. »Aber du hast dich deiner neuen Realität gut angepasst, nicht wahr?«
»Was soll das denn jetzt heißen?«, fragte ich, dabei wusste ich genau, was er meinte.
»Die Prinzessin, die mit der Balance spricht. Die Retterin der Welten … tu nicht so, als ob dir diese Rolle nicht gefällt. Niemand hat gesagt, dass es leicht wird, aber du hast dich aktiv für den schweren Weg entschieden, Prinzessin, und dafür respektiere ich dich. Also hör auf mit diesem unnötigen Drama und benimm dich wie die Monarchin, die du bist und sein willst.«
Verdammt.
Ich hatte doch gewusst, dass Lucan mich mit ein paar wohl überlegten Worten auf den Boden der Tatsachen zurückholen würde. Das musste ich ihm jedoch nicht gleich unter die Nase reiben.
»Im Gegensatz zu dir habe ich nicht hunderte von Jahren Erfahrung mit Morden, Intrigen und Machtspielchen.«
»Dafür machst du das aber ganz gut.« Huch. »Wie bitte?«
Lucan seufzte. Wie immer, wenn er das tat, war das Geräusch irgendwie fremd und gleichzeitig furchtbar … menschlich.
»Lilly«, begann er und fuhr sich mit beiden Händen durch die dichten, schwarzen Haare. »Du bist jung und impulsiv …« Ich wollte protestieren, aber Lucans strafender Blick hielt mich davon ab. »Du bist jung«, wiederholte er, »und voller Tatendrang. Idealistisch. Das ist etwas Gutes, Prinzessin, also sieh mich nicht so an. Aber in Momenten wie diesen musst du innehalten und dich daran erinnern, was deine Entscheidungen nicht nur für dich, sondern auch für dein Volk bedeuten. In deinem Fall für die gesamte Anderswelt.«
»Eine Lektion in Sachen Politik vom großen Lucan Vale, hm?«
»Ich weiß, wie du dich fühlst«, murmelte er, eher zu sich selbst.
»Die Verantwortung, die du trägst, ist groß, aber gerade jetzt, wo du anfängst etwas zu verändern und einen bleibenden Eindruck in den Welten hinterlässt, darfst du keine Schwäche zeigen.«
»Was genau ist dein Rat?«
»Reiß dich zusammen«, sagte er, ohne jegliche Schärfe in der Stimme. »Trauer von mir aus. Schieß ein paar Magazine leer oder betrink dich mit Duncan, aber morgen bist du wieder du selbst.«
»Keine Schwäche zeigen«, wiederholte ich seine Worte leise.
»Nicht den Ministern und den anderen Herrschern gegenüber, nein.«
Und dir? Beinahe hätte ich die Worte laut ausgesprochen. Beinahe.
Aber ich wollte nicht darüber reden, was gestern zwischen uns passiert war oder was ich gelernt hatte, jedenfalls nicht jetzt.
»Lilly …«
»Danke, Lucan. Für deinen Rat.«
Wie so oft waren seine Worte hart, aber fair. Und sie halfen. Seine reine Präsenz half mir, mich zu beruhigen und wieder klarer zu denken. Gereizt wischte ich mir meine leicht feuchten Hände an meiner Hose ab. Was für ein beschissener Tag.
»Ich soll mich also aus den Nachforschungen raushalten?«
»Vorerst, ja.« Er nickte. »Sobald die Zauberer aus Dhanikans und Runak die Leiche untersucht haben, wird Malik dir Bericht erstatten. Solange wir aber nicht wissen, womit wir es zu tun haben, hältst du dich raus und machst weiter im Text.«
»Weiter im Text?« Unwillkürlich begann ich zu grinsen.
»Wenn mich nicht alles täuscht, warst du gerade dabei, Olli den Befehl zu geben, eure Handelsverträge mit Crinaee zu kündigen, als man euch störte …«
»Woher … ach, egal.« Ich winkte ab und beschloss, mich nicht darüber zu wundern, woher Lucan diese Information hatte. »Sind wir denn jetzt sicher im Palast?«
Lucans schwarze Augen blitzten.
»Ja.«
Ich musterte ihn zähneknirschend. Die Arme vor der Brust verschränkt sah er stur auf mich herab. »Ein wenig mehr Informationen bitte.«
»Meine Männer haben sich rund um den Palast positioniert. Niemand kommt unbemerkt hier rein.«
Das hatten wir vor dem Tod des Ministers auch gedacht. Aber wenn Laurenti wirklich dahintersteckte, dann hätte er es vielleicht gar nicht so weit gehabt. Immerhin lagen das Adelsviertel und die Villen direkt hinter dem See der Balance und …
Ich kniff die Augen zusammen.
»Die Villen.«
Lucan nickte. »Laurentis Villa ist nicht einmal hundert Meter vom See entfernt.«
»Und er ist bereits in Arcadia, das heißt, er hätte die Schutzzauber nicht umgehen müssen.« Nervös sah ich mich im Thronsaal um. Mein Blick glitt über die Throne, die kostbar verzierten Wände bis hin zum enormen Eingangstor und dem Korridor dahinter. Ein Korridor, der Richtung Terrasse und damit Richtung See führte. Ein See, hinter dem die Adelsvillen lagen.
»Ist es möglich, dass er eine ähnliche Magie wie deine Schatten benutzt hat?«, fragte ich mich laut.
»Nein.« Lucan warf mir einen pikierten Blick zu. Scheinbar hatte ich ihn mit meiner Frage beleidigt. »Mit Sicherheit nicht.«
»Aber es gibt ähnliche Zauber?«
»Ja.«
Hm.
»Prinzessin …« Er zog das Wort in die Länge und ich verstand es als genau das, was es war: eine Warnung.
»Ich halte mich raus.«
Das hieß jedoch nicht, dass ich nicht ein wenig nachforschen konnte. In meiner Bibliothek. Mit Olli. Vielleicht konnte ich Malik und den anderen so helfen.
Erst einmal würde ich jedoch tatsächlich weiter im Text machen. Olli und ich hatten einen Plan und aktuell sah dieser Plan so aus, dass ich Narcos das Leben schwer machen würde. Phase Eins dieses Plans beinhaltete das Auflösen unserer Handelsverträge. Unsere Beziehungen zu Crinaee waren überschaubar und wir betrieben bei weitem nicht so viel Handel mit Narcos wie Drake, aber es reichte aus, um den falschen König – so nannte ich Narcos stets in meinen Gedanken – vor den Kopf zu stoßen.
Nach ein paar weiteren, nicht nennenswerten Floskeln trennten sich unsere Wege. Es gab so vieles, was Lucan und ich zu bereden hatten, aber dafür fehlte mir aktuell jegliche Motivation. Benimm dich wie die Monarchin, die du bist und sein willst .
Ein wirklich guter Rat.
Als ich die Palastküche betrat, war Nick bereits verschwunden und hatte Alina und Cora mit Olli zurückgelassen.
Also durfte mein Bruder mithelfen, ich jedoch nicht. Wut durchfuhr mich und ich begrüßte sie mit offenen Armen. Wut war so viel besser als die nervöse Überforderung, die ich seit heute Morgen empfand.
Ich trat an den großen Esstisch und meine Freunde sahen zu mir auf, wobei ihnen das aufgebrachte Funkeln meiner Augen nicht entging. Mittlerweile kannten sie mich einfach zu gut.
»Ist alles in Ordnung?«
»Du meinst abgesehen davon, dass man mich in Watte packen und in mein Zimmer sperren will?« Ich schnitt eine Grimasse.
»Alles bestens.«
»Lilly, ich weiß, dass sich raushalten nicht unbedingt deinem Naturell entspricht …« Wer hätte das jemals gedacht? »Aber du solltest den Palast wirklich nicht verlassen, solange wir nicht mehr wissen.«
»Ich stimme Alina zu«, Cora musterte mich streng. »Wir haben ein paar mehr Minister, aber nur eine zukünftige Königin.«
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