Wir müssen langsam los, wenn wir rechtzeitig zu der Zeremonie kommen wollen,erinnerte Levitas ihn und riss Craibian damit aus seinen Gedanken.
War das heute?,fragte Craibian und schrak auf.
Ja, wir haben noch ’ne halbe Stunde. Craibian schaute auf seinen Kommunikator, den er um sein Handgelenk trug, und stellte überrascht fest, dass er wirklich schon seit zwei Stunden hier saß und grübelte. Die Sonne stand schon hoch am Himmel und bald war es schon wieder Mittag. Der Tag auf Atlantis dauerte aufgrund der schnellen Drehung des Planeten nur vierzehn Stunden, und davon war es zu dieser Jahreszeit nur sechs Stunden hell. Er packte rasch seine Sachen zusammen und machte sich auf den Weg in sein Quartier, das zum Glück nicht weit entfernt war, um sich umzuziehen. Heute war ein besonderer Tag für die jüngsten Mitglieder ihrer Gesellschaft und die einzigen Menschen, die unter ihnen lebten. Sie waren Kinder und zwischen sieben und zehn Jahren alt, die sie vor einem Angriff der Menschen auf die Unterwasserbasis der Atlantae in Sicherheit gebracht hatten. Eine Nuklearexplosion, die den Atlantae hatte gelten sollen, hatte damals kurzen Prozess mit den Inseln in der Nähe ihres Stützpunktes gemacht und alle Menschen, die dort gelebt hatten, getötet. Craibian und ein paar andere Atlantae, die Zufällig in der Nähe gewesen waren, hatten nur eine Handvoll Kinder retten können und diese dann auf ihre Odyssee mitgenommen. Es hatte einfach keine Möglichkeit mehr gegeben, die Kinder an die Menschen zurückzugeben und mittlerweile waren sie ein Teil ihrer Gemeinschaft. Heute sollten sie in einer feierlichen Zeremonie endlich ihre Interfaces bekommen und damit ebenfalls genetisch zu Atlantae umgewandelt werden. Craibian hatte dies eigentlich erst durchführen wollen, wenn die Kinder volljährig waren, doch sie hatten mehrfach darum gebeten, die Prozedur vorzuziehen und Craibian konnte es ihnen nicht verübeln. Sie waren die einzigen Menschen unter Hunderten von Atlantae und obwohl sie nicht anders behandelt wurden, waren sie doch anders. Es war für die Kinder schwer, ständig zu sehen, wie stark und mächtig alle waren, außer sie. Egal wie sehr sie sich anstrengten, alles, was sie taten, blieb hinter dem zurück, wozu ein Atlantae fähig war. Sie waren schwächer, langsamer und auch die Magie blieb ihnen verwehrt. Craibian hatte schließlich beschlossen, dass sie reif genug waren, um sich wirklich im Klaren zu sein, was eine Transformation bedeutete, und da es ansonsten keinen Grund gab, weiter zu warten, hatten sie einen Tag dafür festgelegt und die Implantation des Kerns in eine kleine Zeremonie verpackt. Als König von Atlantis musste er die Zeremonie eröffnen, bevor ihre Priesterin Leila übernahm. Seltsamerweise war er deswegen noch kein bisschen nervös. Vielleicht weil das atlantische Volk mehr wie seine Familie war als wirkliche Untertanen.
„Wir haben uns heute hier versammelt, um die Aufnahme von Lif, Coran, Quen, Duke, Relko, Zeri, Sarolf, Hathor und Jerri in die Gemeinschaft der Atlantae zu feiern“, rief Craibian laut. Er stand auf einem Steinpodium, das am Kopf des Tempels stand, in dem auch der erste Gottesdienst stattgefunden hatte, den Craibian vor zwei Monaten besucht hatte. Fast fünfhundert Atlantae waren heute hier versammelt und damit fast ihr gesamtes Volk. Die neun Menschenkinder saßen auf Stühlen zu seiner Rechten und sahen mit ernstem Blick zu ihm hinauf. Sie schienen alle ziemlich nervös zu sein. „Sie kamen nicht freiwillig zu uns, sondern durch ein furchtbares Unglück, an dem wir eine Mitschuld tragen und doch haben sie hier neue Freunde und ein Heim gefunden“, sprach Craibian weiter. „Nachdem sie so viel ertragen mussten und sich dennoch ihr Herz bewahrt hatten, ist das Mindeste, was wir tun können, ihnen dieselben Gaben zu geben, mit denen auch wir beschenkt wurden.“ Damit übergab er das Podium an Leila und stellte sich neben die neun Menschenkinder. Im vorbeigehen lächelte er ihnen aufmunternd zu.
Leila unterdessen erhob ihre Stimme in einem beschwörenden Tonfall: „Ich rufe zu euch, ihr Elemente. Ich bin Leila, eure ergebene Dienerin. Seht diese Kinder, die wie wir ohne euren Segen geboren wurden.“ Sie machte eine kleine Pause und Craibian musste sich zusammenreißen, um nicht die Augen zu verdrehen. Leila war ihm manchmal etwas zu theatralisch. Er glaubte kaum, dass die Magie sie wirklich hören konnte. Außerdem war die Transformation in einen Atlantae ein rein wissenschaftlicher Prozess. Das, was Leila gerade machte, war nur etwas, was mit einer Art Taufe zu vergleichen war. Der Segen der Elemente sollte darüber bestimmen, welche Magieströme die Kinder nutzen konnten, doch alle bisherigen Atlantae hatten auch ohne diesen Segen ihre Magie nutzen können. Leila holte tief Luft und setzte erneut an: „Ich beschwöre euch nun, gebt ihnen euren Segen, auf dass sie ganze, vollwertige Mitglieder unserer Glaubensgemeinschaft werden können! Infreet, leihe ihnen deine Kraft. Gaia, stärke ihren Willen. Undine, kühle ihr Blut. Sylph, befreie ihren Geist. Luna, verstecke sie vor Gefahren. Aska, gebe ihnen ein Licht in der Dunkelheit. Martel, erfülle sie mit Leben. Und Theis, schüre ihre Neugier.“ Neun Atlantae traten nun aus der Menge und stellten sich hinter die Kinder, eine Hand auf ihre Schultern gelegt. Die Kinder hatten sich diese Atlantae ausgesucht und sie sollten ihnen nun den Kern implantieren. „Nun frage ich euch meine Kinder, nehmt ihr das Geschenk der Elemente an und alle Verpflichtungen, die damit einhergehen?“, richtete Leila ihr Wort nun an die Kinder.
„Ja, das tun wir“, riefen sie im Chor.
„Dann empfangt den Segen der Magie und erwacht als Kinder von Atlantis.“ Bei den letzten Worten kam Craibian ein säuerlicher Geschmack hoch. Die Kinder von Atlantis. So hatten sie sich den Menschen gegenüber genannt. Es gefiel ihm überhaupt nicht, dass Leila diesen Namen nun für ihre Kirche erwählt hatte, wo er doch einst ihr ganzes Volk repräsentierte. Doch er konnte schwer etwas dagegen sagen. Staat und Religion agierten getrennt voneinander, und das war auch gut so. Er würde Leila genauso wenig vorschreiben, wie sie zu predigen hatte, wie sie ihm sagen würde, wie er zu regieren hatte. Die Atlantae hinter den Kindern drückten nun ein kleines Metallröhrchen an die Schultern der Kinder und implantierten damit den erbsengroßen Interfacekern. Von jetzt an würde es nur noch wenige Tage dauern, bis es genetisch gesehen keine Menschen mehr unter ihnen gab. Auf der einen Seite freute Craibian es, dass die Kinder nun vollkommen zu ihnen gehörten, auf der anderen Seite kam es ihm nun vor, als hätten sie damit etwas verloren. Die Menschen waren immerhin ihre Vergangenheit und mit diesem Schritt hatten sie erneut einige Bande an sie verloren. Alles in allem jedoch würde dieser Schritt mehr Probleme beseitigen als verursachen. „Lasst euer altes Leben nun hinter euch und tretet ein in euer neues“, schloss Leila. „Mögen euch die Elemente durchdringen und über euch wachen.“
Nach der Zeremonie folgte eine allgemeine Feier auf dem Tempelgelände. Als Craibian Ranora in der Menge fand, stellte er sich zu seiner alten Freundin und begann mit ihr zu reden, während die anderen Atlantae sich entweder selbst unterhielten oder zurück zu ihren Wohnungen gingen. „Fandest du die Zeremonie auch etwas übertrieben?“, fragte er sie direkt.
Ranora schüttelte den Kopf. „Nein, eigentlich nicht, wieso?“
„Ach, nur so“, wich Craibian aus und wechselte rasch das Thema. „Ich hab gehört, du bist mit Evan zusammengezogen.“ Evan war ein Atlantae, der mit Cyran zusammen an KIs, Drohnen und Droiden arbeitete und mit dem Ranora sich seit ein paar Monaten immer wieder traf.
„Jep.“ Ranora nickte und ein Grinsen breitete sich auf ihrem Gesicht aus.
„Geht das nicht etwas schnell?“, fragte Craibian skeptisch. „Ich meine, so lange kennst du ihn doch noch gar nicht.“
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